Kennung: 3851

Berlin, 11. Juni 1907 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Berliner Tageblatt, (Zeitung)

Inhalt

In seiner Besprechung der Kammersänger-AufführungWedekinds Einakter „Der Kammersänger“ hatte zusammen mit der Szene „Rabbi Esra“ am 10.6.1907 im Rahmen seines Gastspiels am Kleinen Theater in Berlin (Direktion: Victor Barnowsky) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 262] Premiere; der Einakter wurde ungekürzt gespielt – mit Wedekind in der Hauptrolle des Gerardo. nennt Ihr geehrter Herr ReferentMonty Jacobs, seit 1905 als Theaterkritiker für das „Berliner Tageblatt“ tätig, hat die Premiere des Einakters „Der Kammersänger“ (siehe oben) besprochen [vgl. M.J.: Kleines Theater. Gastspiel Frank Wedekind. In: Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 290, 11.6.1907, Morgen-Ausgabe, S. (3)]. In der Nachbemerkung zu Wedekinds offenem Brief ist er als „unser Referent“ [Ein Brief Frank Wedekinds. In: Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 294, 13.6.1907, Morgen-Ausgabe, S. (2)] bezeichnet. den Einakter meine „geschlossenste BühnenschöpfungZitat aus der Besprechung von Monty Jacobs, in der es heißt, Wedekind sei „einer unserer interessantesten Autoren und einer unserer mittelmäßigsten Schauspieler […]. Der ‚Kammersänger‘, Wedekinds geschlossenste Bühnenschöpfung, kann auch in unzulänglicher Verkörperung die Wirksamkeit seiner verblüffenden Einfälle nicht einbüßen. Gestern schien er freilich seltsam verwandelt, keine Farce mehr, sondern ein Trauerspiel mit Exzentrik-Einlagen. Zweifellos entspricht diese Wirkung den Absichten seines Schöpfers, der um jeden Preis ernstgenommen sein will, und der zum Leitmotiv die Dissonanz gewählt hat. Je mehr sich der Darsteller des Kontraktsklaven vor Mätzchen hütet, desto sicherer wird er sein Publikum überrumpeln. Aber Frank Wedekinds schauspielerische Zurückhaltung erscheint leider nicht wie ein freiwilliger Entschluß, sondern wie das Resultat technischer Hilflosigkeit. Eine ängstliche Starrheit des Mienenspiels und ein ruckweis herausgestoßenes Sprechen machen den Zuschauer nervös. Nüancen fehlen völlig, es sei denn, daß man den Wechsel von Weste und Hose in den Entkleidungsszenen dafür ansieht.“ [M.J.: Kleines Theater. Gastspiel Frank Wedekind. In: Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 290, 11.6.1907, Morgen-Ausgabe, S. (3)]“. Wie es sich bis jetzt um die Geschlossenheit dieser Bühnenschöpfung verhielt, dafür habe ich leider den drastischsten Beweis darin erhalten, daß sich die Direktion des Deutschen TheatersMax Reinhardt, Direktor des Deutschen Theaters zu Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 258], seinerzeit Direktor des Neuen Theaters [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 245], wo er den „Kammersänger“ inszenierte (Premiere: 30.9.1903). seinerzeit genötigt gesehen hat, den SchlußBei der „Kammersänger“-Inszenierung, die am 30.9.1903 am Neuen Theater in Berlin Premiere hatte, strich Max Reinhardt den Text nicht nur stark zusammen, sondern variierte den „als ‚Berliner Schluß‘ bekannt“ gewordenen Ausgang so, „daß das Stück im einheitlichen Stil der Komödie gespielt werden konnte […]. In dieser Fassung täuscht Helene ihren Selbstmord nur vor, um den Abgang Gerardos mit den Worten zu kommentieren: ‚Nicht einmal darauf reagiert dieser Dummkopf!‘“ [KSA 4, S. 393] des Stückes in sein entgegengesetztes Gegenteil umzukehren, und daß, um die Aufführung zu ermöglichen, mehr als ein Dritteil des vorhandenen Textes gestrichen werden mußte. Aus diesem dramatischen Wechselbalg, dessen Darstellung so gewaltsame Korrekturen erforderte, ist nun auf einmal – nach dem schmeichelhaften Ausdruck Ihres Herrn Referenten − meine geschlossenste Bühnenschöpfung geworden. Nach Feststellung dieser Tatsache glaube ich das Urteil darüber, ob meine Verkörperung der Titelrolle wirklich so himmelweit hinter der bisherigen Darstellungsweise zurücksteht, ruhig dem geehrten Leser überlassen zu dürfen.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 0 Blatt, davon 0 Seiten beschrieben

Sonstiges:
Das Korrespondenzstück ist nur im Druck überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 11.6.1907 ist als Ankerdatum gesetzt. Der offene Brief – gedruckt am 13.6.1907 in der Morgen-Ausgabe des „Berliner Tageblatt“ – reagiert auf eine in der Morgen-Ausgabe des „Berliner Tageblatt“ vom 11.6.1907 veröffentlichte Besprechung der Gastspielpremiere des Einakters „Der Kammersänger“ am 10.6.1907 im Kleinen Theater in Berlin, in der Wedekind selbst die Hauptrolle spielte, und dürfte als Brief gleich nach der Lektüre verfasst worden sein.

  • Schreibort

    Berlin
    11. Juni 1907 (Dienstag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    Berlin
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Berliner Tageblatt

Ort der Herausgabe:
Berlin
Verlag:
Berlin: Mosse
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Ein Brief Frank Wedekinds. In: Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 294, 13.6.1907, Morgen-Ausgabe, S. (2). Der redaktionell eingeleitete offene Brief – „Der Verfasser und Darsteller des ‚Kammersängers‘ schreibt uns:“ – ist mit einer redaktionellen Nachbemerkung versehen: „Dazu bemerkt unser Referent: Gerardo, der Held des Wedekindschen Einakters, sagt: ‚Von meinem Urteil in diesen Dingen hält man ebensowenig, wie man mich als Sänger würdigt und hochschätzt.‘ Dem lyrischen und dramatischen Sänger Frank Wedekind geht es besser. Er wird gerade an dieser Stelle nach Verdienst gewürdigt und hochgeschätzt. Aber auch sein Urteil über die eigene mimische Begabung soll den Lesern nicht vorenthalten werden. Der verehrte Dichter, der durchaus als Schauspieler gelten will, vergißt nur eins: daß sein Schauspiel als Buch erschienen ist, daß Rezensenten Gedrucktes lesen können, und daß ihre Meinung über die Geschlossenheit eines Dramas in diesem Fall nicht von den Eindrücken einer Bühnenvorstellung abhängig ist.“
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an (Zeitung) Berliner Tageblatt, 11.6.1907. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

08.01.2024 12:56