Kennung: 3565

München, 25. August 1903 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Zellner, Hildegarde

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

25.8.1903.


Lieber Frank!

Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Hildegarde Zellner, 1.8.1903. hätte ich längst beantwortet wenn ich geahnt, daß Du so lange von München fortWedekind hielt sich von Mitte Juli bis Mitte September in Lenzburg auf. bleiben könntest. Der Grund, warum ich Dir Deine Schlüssel nicht zusandte, liegt darin, weil ich nicht wollte daß Deine Pflanzen, der Gärtner hatte auch die Bäume gebracht, nochmal zum Teufel gehen. Warum bleibst Du so lange aus? Hoffentlich bist Du nicht krank geworden. Oder hast Du immer auf die Schlüssel gewartet, um sicher zu sein, daß ich Dein Haus verlassen? Zu deiner Beruhigung kann ich Dir mitteilen, daß ich Deine Wohnung schon seit 1. August verlassen, du | also ungeniert zurückkehren kannst, als freier Mann.

Glaube ja nicht daß ich Dir ferner im Wege stehe. Nein. Ich werde sobald wie möglich München verlassen, und versuchen mein Brot in der neuen Welt zu verdienen.

Sollte ich Dich nicht mehr sehen, dann habe ich nur die eine Bitte an Dich, für Dein Kind, solange ich nichts weiter thun kann, weiter zu bezahlenWedekind war vom Amtsgericht Landshut zu einer vierteljährlichen Unterhaltszahlung von 360 Mark verpflichtet worden [vgl. Vinçon 2014, S. 153 und Regnier 2008, S. 212]. Franklin Zellner wuchs bei seinen Großeltern in Landshut auf. Die im Tagebuch und später in Wedekinds Kontobüchern dokumentierten monatlichen Zuwendungen belaufen sich auf 40 bzw. 50 Mark.. Hoffentlich wirst Du meine Bitte erfüllen, damit ich mich nicht auch noch um das kümmern muß. Ich werde die nächsten Tage nachhause fahren. Meinen Eltern sage ich nicht daß ich nach Amerika gehe. Ich schrieb Ihnen nur, sie möchten mir meine Papiere besorgen, da ich eine Stelle ins Ausland annehme. Ich will meiner Mutter nicht unnütz Sorgen machen, und teile es ihnen erst | mit, wenn ich drüben bin. Dein Almosen ermöglicht mir es ja. Du wirst froh sein, mich so leicht losgebracht zu haben – was? Ich kann mir Dich jetzt vorstellen, wie Du beim lesen dieser Zeilen höhnisch lachen wirst, und dann zu singen und pfeifen anfängst vor Freude, wieder einmal einerSchreibversehen, statt: eine. los zu sein, wieder eine zu den vielen, an der man abgerf/fr/eßen hat. Ich kann mir ganz genau sagen, daß Du denkst, Du hast nur das aus mir gemacht, zudemSchreibversehen, statt: zu dem. ich geschaffen bin, zu einer Dirne. Du hast Dein Ziel erreicht. Mag ich drüben v/st/erd/b/en und verderben wemSchreibversehen, statt: wen. kümmerts, ich habe wenigstens keineSchreibversehen, statt: keinen. schadenfrohen Blicke zu begegnen. Sage aber dann unserm Kinde, daß es nicht so ist. Sage ihm daß ich auf dem Boden, wo ich ihm das Leben gab, wo ich so viel herbes und bitteres erfahren | nicht den Kampf um’s Dasein aufnehmen konnte. Mehr habe ich Dir nicht mehr zu sagen denn ich weiß, wie Du das nimmst.

Solltest Du bis zu meiner AbreiseHildegarde Zellner verließ am 10.10.1903 Bremen per Schiff auf der S. S. Neckar und erreichte New York am 22.10.1903. Sie reiste mit 56 Dollar in die USA ein [vgl. List or Manifest of Alien Passengers for the U. S. Immigration Officer at Port of Arrival, 22.10.1903, List 5; www.ancestry.com]. nicht zurück sein, dann übersende ich Dir Deine Schlüssel

Lebe wohl
Hildegarde

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Liniertes Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11,5 x 18 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    25. August 1903 (Dienstag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 186
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Hildegarde Zellner an Frank Wedekind, 25.8.1903. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

03.11.2022 09:05