Kennung: 3316

München, 28. Mai 1900 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Oschwald, Walther

Inhalt

Lieber Walther,

ich habe Heiliger eben ein Ultimatum gestelltnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Hans Heiliger, 28.5.1900. Zu der sich in die Länge ziehenden Erbschaftsangelegenheit siehe die vorangehende Korrespondenz Wedekinds mit seinem Schwager seit dem 6.1.1900.. Wenn er mir darauf keine bündige Antwort giebt, dann ziehe ich die GarantieWedekind verpflichtete sich, eventuelle Ansprüche von Testamentserben zu übernehmen, um so die Auszahlung des Erbes zu beschleunigen [vgl. Wedekind an Walther Oschwald, 14.5.1900]., die ich ich ihm ausgestellt habe zurück und lasse den Dingen ihren legalen Verlauf. Du wirst wol auch kaum mehr darüber im Zweifel sein, daß wir von dem Menschen in der unverschämtesten Weise an der Nase herumgeführt werden. Er verspricht, die | Erbschaft gleich auszuzahlen statt, l/w/ie legal, erst in 9 Monatenals Wartefrist vermutlich abgeleitet aus § 1923 des Bürgerlichen Gesetzbuches, der regelt, wer erbberechtigt ist: „Erbe kann nur werden, wer zur Zeit des Erbfalls lebt. Wer zur Zeit des Erbfalls noch nicht lebte, aber bereits erzeugt war, gilt als vor dem Erbfalle geboren.“ [Das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Systematisch dargestellt und durch Formulare erläutert von Jacob Boehm. Hannover 1896, S. 302] und weiß die Erledigung dann bis jetzt auf 6 Monate hinauszuziehen. Vielleicht siehst Du jetzt auch ein, daß er dabei nach Kräften für seine eigene TascheDas Bürgerliche Gesetzbuch sieht in § 2221 vor: „Der Testamentsvollstrecker kann für die Führung seines Amtes eine angemessene Vergütung verlangen“ [Das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Systematisch dargestellt und durch Formulare erläutert von Jacob Boehm. Hannover 1896, S. 365]. arbeitet. Es wird mich nicht wundern wenn er uns morgen mittheilt, daß in Hannover wieder ein neuer Erbschaftsrichter eingesetzt worden ist der noch ganz andere Garantien verlangt. Oder glaubst Du vielleicht noch an den von ihm vorgeschützten | Erbschaftsrichterwechsel?!

Ich habe dieses Menschen mörderische Frühjahr in einer nassen unmöblierten Wohnung zugebracht und stehe vor der Alternative, die Pläne, die ich gefaßt, mit großen Verlusten aufzugeben oder bestimmt zu wissen, womit ich rechnen kann. Ich werde von heute ab diese Gewißheit mit allen Mitteln zu erzwingen suchen. Wenn die ganze Erbschaft darüber zum Teufel geht, wird mir dabei ein Stein vom Herzen fallen. Du sagtest mir in DresdenNach Verbüßung seiner Haftstrafe wegen Majestätsbeleidigung auf der Festung Königstein verbrachte Wedekind vom 3. bis 8.2.1900 einige Tage bei seiner Schwester Erika und seinem Schwager Walther Oschwald in Dresden, bevor er nach Leipzig reiste. selber, für die Vollendung der/s/ Er/S/tückesWedekind setzte in München die während der Haftzeit begonnene Überarbeitung des „Marquis von Keith“ fort [vgl. KSA 4, S. 413 und 416-419], auch als schon Teile davon publiziert wurden. das ich in Arbeit habe werde mir die bevorstehende pekuniäre Freiheit | eine große Erleichterung sein. Dafür brauche ich sie jetzt nicht mehr. Ich möchte mich aber für die Ausführung meiner weiteren Pläne von dieser Aussicht nicht länger zum Narren halten lassen. W/S/eit vierzehn Tagen, seit ich mit dem Stück zu Ende bin, ist für mich jeder Tag ein verlorner Tag. Du fragst warum ich Dir das alles schreibe? Weil du durch einen energischen Federstrich in deiner Qualität als kgl. Finanzassessor und Vertreter der Interessen deiner Frau die Auskunft erlangen kannst, die mir so unendlich werthvoll ist. Wenn du Heiliger unter irgend einem Vorwand, | (Reise nach Hannover oder Reise in die Schweiz) anfragst, wann die Erledigung stattfinden wird, dann muß er Dir und wird er Dir auf das genauste und liebenswürdigste darauf antworten, während er meine Anfragen als die eines Mannes der nicht über Kah/p/italien zu verfügen hat, nur zu weiteren Schleichwegen ausbeutet.

Ich werde dir dankbar sein, wenn du diesen Schritt thust. Von mir oder sonst einem anderen Interessenten dürfte natürlich nicht dabei die Rede sein. Im übrigen kann ich Dir versichern, daß ich den Humor | in dieser Angelegenheit verloren habe und daß mir die unangenehmste Gewißheit willkommener sein wird als die Aussicht, mich noch länger an der Nase herum führen lassen zu müssen.

Mit herzlichem Gruß
Dein Frank.


München 28. Mai 1900.
Franz Josefstraße 42.II.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 6 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 12,5 x 20 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf Seite 1 ist von fremder Hand mit Bleistift oben rechts die Zahl „21“ notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    28. Mai 1900 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Dresden
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
Konvolut Burkhardt, Nidderau
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Walther Oschwald, 28.5.1900. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

28.09.2022 16:32