Kennung: 3250

Straßburg, 24. Juni 1883 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Huber, Hermann

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Strassburg, den 15/24/ten Juni 1883.


Mein Freund!

Deine AntwortWedekind hatte auf den letzten Brief des Freundes [vgl. Hermann Huber an Wedekind, 31.5.1883] nicht geantwortet, was Hermann Huber, wohl um eine Reaktion Wedekinds zu provozieren, als Bejahung seiner dramatischen Vorschläge interpretierte [vgl. Hermann Huber an Wedekind, 22.7.1883]. freut mich recht herzlich und aus mehr als einem Grunde: denn Dein Schweigen scheint mir anzudeuten, dass Du mit meinen Bemerkungen im letzten BriefeGemeint waren Hermann Hubers Ausführungen über sein geplantes Schauspiel „Arabi“ [vgl. Hermann Huber an Wedekind, 31.5.1883]. einverstanden bist, und dass Du noch immer so genial sömmerlich träge bist – möge Dir diese fromme Eigenschaft verbleiben! –

Inzwischen bin ich aber mit meinen Ausführungen nicht mehr ganz im Einklang, ich suche mich Deinem VorschlageHinweis auf den nicht überlieferten Brief: Wedekind an Hermann Huber, 18.5.1883. betreffend Rezias Character zu folgen und statt einer Heldindie von Hermann Huber erfundene Geliebte des Dramenhelden Achmed Arabis. ein Weib zu zeichnen. – Der erste Act ist bereits roh bearbeitet fertig und ich gehe nun daran, ihn in „das aristocratische Gewand“ zu kleiden, wobei ich die Bemerkung mache, dass ungehobelt grobe, kräftige Worte nicht zu gebrauchen sind; und doch wäre das Toben nun einmal eine Zierde eines jungen Dramaschmiedes: Dem ganzen StückHermann Hubers Drama "Arabi" ist nicht überliefert. werde ich einen Prolog voran setzen; mir däucht eine Einführung durchaus nothwendig. – |

Wenn Du nun nachgerade etwas ungehalten wirst über meine ewige Schreiberei über die Pläne, so kann ich es Dir gar nicht verargen; aber binnen kurzer Frist – nach Empfang eines Briefes von Dir – werde ich Dir etwas vollendet zusenden. Ziehe Deine Mundwinkel nicht zu einem Lächeln zusammen, nein, meine Aussage wird zur Wahrheit und zwar aus einem ganz einfachen Grunde: Nun ist bald das Ende des Monates da, dh. die Zeit da ich kein Geld mehr habe und das ist wohl das beste Mittel, mich zur Arbeit anzuhalten. – Vor Allem bitte ich, wie gewohnt, mir eine grausame Kritik aus, streiche was Dir nicht gefällt an, füge Gedanken bei – für Alles bin ich Dir sehr verbunden. Täusche mich ja nicht, bleib’ Deinem Worte: „Sei sicher, dass Du Dich, soweit es in meiner Gewalt steht, nicht blamiren wirst“ treu. Christlicher Milde bedarf ich nicht; denn ich bin kein Christ; da gefällt mir der Mohamedanismus besser. |

Ein ander Mal über diesen Gegenstand. –

Es sind nun 8 Tage hervermutlich die Ursache für die Datumskorrektur in der Kopfzeile; Hermann Huber dürfte am 15.6.1883 begonnen haben, den Brief zu schreiben. seit ich die vorigen Seiten geschrieben und unterdessen ist Vieles, vieles geschehen, so dass ich nun zur Arbeit genöthigt bin: Du wirst mich verstehen! Keine Rose ohne Dornen, kein Rausch ohne Kater, und bei den Türken kommt es vor, dass sie auf die treibende Liebe krank werden, welche Unahnnehmlichkeit sich auch bei den Völkern eingebürgert hat, die die türk. Sitten nachgeahmt haben und so ist es denn gekommen, das auch im Abendland, speciell in Strassburg Ereignisse eintreten, so wonnevollen Anfanges, lebenspendenden Verlaufes und – aergerlichen Endes. – Darum erhei/ä/lstSchreibversehen, statt: erhältst. Die erwähnte Beilage ist nicht überliefert. Du nun die ersten 2. Scenen, die Du mir beurtheilen magst. Bald soll der Rest des Iten Actes nachfolgen. Behalte alle Manuscripte bei Dir zurück. Vielleicht werde ich den 5füssigen JambusVersmaß mit 5 unbetonten und 5 betonten Silben im Wechsel. doch begraben. –

Es ist doch etwas Schönes um die Erfahrung und um die Welt, | Ohne Dich zu beleidigen, aber in Bezug auf die Welt, ist man in Aarau doch jämmerlich dumm. –

Dass Du mir nicht schreibst ärgert mich nicht; denn von Dir ist nichts Anderes zu erwarten und doch würde mich so ein Brieflein grossminniglich(frühneuhochdeutsch) sehnlich; grössiglich (frühneuhochdeutsch) sehr. freuen, da meine Minne für 14 Tage nun zum Teufel ist. – Wie freue ich mich auf unser Wiedersehen! – Aproposübrigens; nebenbei bemerkt.: Jetzt fällt mir ein, warum Du so still: Beschäftigt Dich etwa bereits das JugendfestDer Maienzug, das Aarauer Jugendfest mit Tradition (seit 1587), wurde wie jedes Jahr am Freitag vor den Sommerferien gefeiert. Am Vorabend (12.7.1883) um 20 Uhr wurde mit Zapfenstreich und 22 Kanonenschüssen das Fest eingeläutet. Am 13.7.1883 um 6 Uhr kündigten „Kanonenschüsse und Tagwacht der Tambouren den Beginn des Jugendfestes“ an. Um 8 Uhr versammelten sich Cadetten und Schuljugend am Graben, um 8.30 begann der Maienzug der Jugend durch die Aarauer Straßen, der mit kirchlicher Feier und Festrede des Pfarrers sowie Gesangsvorträgen fortgesetzt und mit der Entlassung der Schuljugend endete. Am Nachmittag versammelten sich die Jugendlichen um 13.30 Uhr am Graben, liefen mit Musikbegleitung auf die Schanze, wo um 14 Uhr das erste Essen der Schuljugend und die Kadettenmannöver begannen. Bis zum zweiten Essen um 16.30 wurden Spiele veranstaltet, anschließend wurde der Tanz eröffnet, den die jüngeren um 20 Uhr, die älteren Jugendlichen um 22 Uhr verlassen mussten. Der Tanz für die Erwachsenen ging bis in die Nacht. In Anzeigen wurden die Eltern aufgerufen, „Platten mit Schmelzkuchen, Früchtekuchen, Nüßli, Kalbsbraten, gebratenes Rindfleisch, Zunge Lümmeli, alles zerlegt u. garnirt“ und insbesondere „[k]alte Fleischplatten“ für die Mädchen Mittags um 13 Uhr abzuliefern oder Geldbeiträge von 1 bis 3 Franken je Kind zu zahlen [Aargauer Nachrichten, Jg. 29, Nr. 163, 12.7.1883, S. (4)].“ in Aarau, es ist doch schön, ein Kind zu sein; über dieses „Aarauer Nationalfest“ habe ich dem Philister einen langen Brief geschrieben, er hat auch eine grosse Freude daran. – Ich will aber nicht hoffen, dass Du wie DecoppetGemeint sein dürfte der Notar und radikale Demokrat Lucien Decoppet aus Yverdon, der im Winter 1882 in den Nationalrat gewählt worden war und wegen der im Waadtland diskutierten Unvereinbarkeit kantonaler mit politischen Ämtern am 2.4.1883 sein Mandat zurückgab [vgl. La Liberté, Jg. 15, Nr. 77, 5.4.1883, S. (2)]. Er war ein Cousin von Maurice Decoppet, der im Oktober 1883 an der Gewerbeschule der Kantonsschule Aarau die Matura bestand. (der Graf ohne Grafschaft, wie ihn m. ex-Philisterehemaliger Pensionsvater; Hermann Huber dürfte sich auf Aarau beziehen. In Straßburg bewohnte er seit Studienbeginn ein Zimmer bei Drechslermeister Josef Stritt am Münsterplatz. nennt) Paschahoher Beamter; (umgangsprachlich, pejorativ) keine Kritik duldend, bequem. geworden: aber das muss verflucht langweilig sein, nur Zuckerwasser zu trinken, statt sich mit starkem Kaffee zu stärken, ich begreife, warum er ein solches Gerippe ist.

Dir grosses Vergnügungen wünscht DeinDein (Verschleifung)
Hermann

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Rautiertes Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13,5 x 21,5 cm. Gelocht
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Straßburg
    24. Juni 1883 (Sonntag)
    Sicher

  • Absendeort

    Straßburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Aarau
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 75
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Hermann Huber an Frank Wedekind, 24.6.1883. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

03.10.2022 19:41