Kennung: 2823

München, 28. Juli 1905 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Denk, Berthe Marie
  • [Hund], Fischmann

Inhalt

Mein lieber FischmannBerthe Marie Denks Hund, dessen Name durch Briefe von Karl Kraus an sie belegt ist. Karl Kraus, der den vorliegenden Brief unter der Überschrift „Frank Wedekind an einen Hund“ auch erstmals abgedruckt hat (siehe die Angaben zum Erstdruck), schrieb Berthe Marie Denk am 16.1.1907: „Ich bin gerade jetzt von allen Hunden gehetzt. (Was macht Dein Fischmann?)“; und in einem undatierten Brief schrieb er ihr: „Gestern habe ich Dich in Deinem stolzesten Kleid, den ganz unterwürfigen Fischmann zur Seite, gesehen.“ [Salvesen 1981, S. 135]!

Du wirst Dich nicht besonders wundern, daß ich Dir schreibe, denn Du weißt ja jedenfalls, daß ich von unserer schönen süßen angebeteten Herrin seit drei Wochenzurückgerechnet der 7.7.1905 – auf diesen Tag datiert in der Tat ein Brief der Geliebten [vgl. Berthe Marie Denk an Wedekind, 7.7.1905], dem aber zwei weitere Briefe gefolgt sind [vgl. Berthe Marie Denk an Wedekind, 11.7.1905 und 15.7.1905], die Wedekind somit übergangen hat – vielleicht aufgrund jener gewissen Missstimmung, die bei ihm aufgekommen ist, nachdem er den ersten dieser beiden Briefe erhalten hatte. keine Nachricht mehr erhalten habe. Nun quält mich aber die Angst, unsere schöne angebetete Herrin könne vielleicht leidendBerthe Marie Denk hatte in der Tat gesundheitliche Probleme; sie war gerade in einer Kur, wie sie ihm aus Franzensbad in einem Brief schrieb, der sich mit dem vorliegenden überkreuzte [vgl. Berthe Marie Denk an Wedekind, 28.7.1905]. sein, sie könne vielleicht zu Bett liegen müssen, | sie könne sich vielleicht nicht so ihres Lebens freuen, wie sie es durch ihre tausend Reize verdient. Deshalb bitte ich Dich, mein lieber Fischmann, mir sofort nur eine kurze Nachricht zu senden, wie es unserer geliebten theuren Herrin ergeht. Deine SchriftBerthe Marie Denk hatte eine sehr gut lesbare Handschrift. werde ich ja wol entziffern können, denn sie wird sich wie ich sie beurtheile nicht sehr von der unserer schönen Königin unterscheiden. Bist Du, lieber Fischmann doch das einzige Geschöpf auf dieser Welt, das unsere angebetete Göttin völlig ernst | nimmt, und um diesen Vorzug bist Du wirklich zu beneiden. Sobald Du in Frage kommst, hören plötzlich Scherz und Laune auf. Ich mag nicht sagen, wieviel tausend Menschen sie um Dich, lieber Fischmann, freudig abgeschlachtet sehen würde. Ich bitte Dich nur, unserer herrlichen Göttin nichts von meiner Liebe zu ihr zu erzählen. Du fühlst ja wohl heraus wie es damit in mir aussieht. Aber solche Dinge fallen ihr auf die Nerven. Im Vertrauen gesagt, steht es jetzt thatsächlich so mit mir, daß ich die Augen | nicht mehr schließen kann, ohne sofort von Allem, was sie innen und außen ist zu träumen. Ich bin hier noch bis nächsten Mittwochder 2.8.1905. Wedekind hatte am 31.7.1905 sein vierwöchiges Gastspiel am Münchner Künstlerkabarett beendet – er notiert ein letztes Mal „Intimes Theater“ [Tb], am 1.8.1905 war er nochmals in der „Reitschule“ [Tb]; insofern war er danach durch kein Terminverpflichtungen mehr in München gebunden (der Besuch aus Wien von Karl Kraus und Carl Leopold Hollitzer am 1. und 2.8.1905 dürfte überraschend erfolgt sein und war auch kein Hindernis). gebunden. Wenn Du mir verrätst, wo Ihr dann seid, werde ich den Versuch machen, sie zu versöhnen. Aber zeige ihr diesen Brief nicht. Sie würde ihn furchtbar albern finden. Eigentlich sind wir doch Lebensgefährten; unsere schöne Herrin führt uns Beide an der Leine, nur mit dem Unterschied, daß Du eine bessere Erziehung genossen hast.

Mit herzlichsten Grüßen
Dein getreuer Freund und Bruder
Wedekind.


München, Franzjosefstraße 42.II. 28.7.5.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 12,5 x 20 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der Brief dürfte nach Wien adressiert gewesen sein, da Wedekind erst durch einen Brief, der sich mit dem vorliegenden kreuzte [vgl. Berthe Marie Denk an Wedekind, 28.7.1905], erfuhr, dass Berthe Marie Denk sich in Franzensbad aufhielt (wohin der Brief dann weitergeleitet worden sein dürfte).

  • Schreibort

    München
    28. Juli 1905 (Freitag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Zwischenstation

    Wien
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Franzensbad
    Datum unbekannt

Erstdruck

Die Fackel

Herausgeber:
Karl Kraus
Verlag:
Wien: Verlag "Die Fackel"
Jahrgang:
1930
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Frank Wedekind an einen Hund. (Aus der Handschrift, anläßlich der fünfundzwanzigsten Wiederkehr des Tages der „Büchse der Pandora“: Trianontheater 29. Mai 1905). In: Die Fackel, Jg. 32, Nr. 834-837, Mai 1930, S. 74-75. – Nachdruck des Erstdrucks: Waldmann 1996, S. 109-110 (Nr. 15).
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Wienbibliothek im Rathaus

Felderstraße 1
1082 Wien
Österreich

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Karl-Kraus-Archiv
Signatur des Dokuments:
H. I. N. 139726
Standort:
Wienbibliothek im Rathaus (Wien)

Danksagung

Wir danken der Wienbibliothek im Rathaus für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstückes.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Berthe Marie Denk, Fischmann [Hund], 28.7.1905. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

29.04.2024 12:44