Mondsee 10/11 1913
Sehr geehrter Herr Wedekind!
Fritz schrieb heuteDer Brief von Friedrich Strindberg an Marie Uhl ist nicht überliefert., daß, geehrter Herr, den BesuchWedekind erfragte schon zu Beginn seiner Korrespondenz mit Friedrich Strindberg die Münchner Adresse von dessen drei Jahre älterer Halbschwester Kerstin [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.9.1913 und 19.9.1913], die, wie ihr Halbbruder, als Kind in der Obhut der Großmutter aufgewachsen war. Kersti’sSchreibversehen, statt: Kerstin’s. wünschen. Ich erlaube
mir bezüglich dessen Ihnen einige Aufklärungen zu geben, die Sie vielleicht
bestimmen werden den
Wunsch Kerstinen kennen zu
lernen, aufzugeben.
Was ich Ihnen jetzt sagen will geht mir ganz contre coeurzuwider (von frz. ‚contre‘ = ‚gegen‘ und ‚coeur‘ = ‚Herz‘)., denn ich liebe meine Enkelin
aus ganzem Herzen u. geht mir ihr Schicksal ungemein nahe. Dennoch aber fühle
ich mich verpflichtet Ihnen zu sagen )/(/ich könnte es nicht
verantworten zu schweigen) |
daß sie ihrer Mutter leider sehr ähnelt, ja sogar
noch im verschärften Maaße, gepaart mit Strindbergs NeurasthenieNervenschwäche, um 1900 ein Modeleiden; die Veranlagung dazu galt als ererbt.,
also ein Wesen hat, das wohl zeitweilig reizend u. liebenswürdig sein kann,
aber in ihrer Grundnatur ihrer Umgebung Entsetzen einflößt, ein trauriges Bild
dieser unglückseligen Abstammung. Es ist nicht ohne Gefahr mit ihr zu
verkehren, sie übt großen Sinnenreiz aus, wer sie nicht kennt vermutet eher
alles andre, als die Wahrheit. |
Ich kann nicht mehr darüber sprechen, es widerstrebt mir schon dieses aufs
Äußerste, denn unter all dem Gesagten verstehe ich nur ihre Anlagen, die sich
wohl bisher nicht bestätigen konnten. Meiner Pflicht habe ich nun genügt,
nehmen Sie es, geehrter Herr, nicht übel, seien Sie überzeugt, daß es nur in
wohlmeinender Absicht geschah. Bitte noch recht sehr dieses Briefes Fritz
gegenüber niemals etwas zu erwähnen.
In Hochachtung
ganz ergebenste
Marie Uhl