Kennung: 2386

Aarau, 24. August 1913 (Sonntag), Bildpostkarte

Autor*in

  • Hirzel, Arnold

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Karl Henckell (geb. 1864)
hat sich lange Zeit eine falsche Einschätzung von der zünftigen
Literaturgeschichte gefallen lassen müssen: neuerdings nimmt das Bild seiner dichterischen Persönlichkeit festere Formen an, und man schätzt ihn heute unter den Lyrikern deutscher Zunge als einen der feinsten und eigensten Lange galt Henckell als der „Dichter der Sozialdemokratie“ Als Zwanzigjähriger kam er einst nach Berlin, noch ein etwas weicher Träumer, aber ein innerlich Gesunder, der auf die leisen Töne des Innern hörte Vorher schon hatte er Bismarck und das Reich besungen nun wandelte die Großstadt mit ihrem tausendfältigen Elend seine Gesinnung ‒ der Einfluß des Friedrichshagener Kreises, dem er sich anschloß, trug wohl auch dazu bei und ließ aus dem jungen lyrischen Träumer einen Wortführer der sozialistischen Dichtung werden. Diese Seite seines Schaffens und sein schneidiges Draufgängertum gegen den landläufigen lyrischen Bänkelsang machten Henckells Namen bald ebenso bekannt als verfehmt ‒ den Boden des Fasses schlug er 1884 mit seinem Vorwort zu ArentsModernen Dichtercharakteren“ aus. Im Frühjahr 1886 ging er nach der Schweiz, und von dort ging eins um das andere seiner Gedichtbücher in die Welt: 1887 die „Strophen“, 1888 die „Amselrufe“, 1890 „Diorama“, 1891 „Trutznachtigall“, 1892 „Aus meinem Liederbuche“, 1894 „Zwischenspiel“  Zwischendurch erschien eine Sammel-Auswahl „Gedichte“, gab er die „Sonnenblumen“ heraus, diese feinsinnige Anthologie in Form loser Blätter, dann folgte 1900 „Neues Leben“. 1901 „Gipfel und Gründe“. 1906 die „Schwingungen“ und die feine Auswahl „Mein Lied“, sicher heute eines der schönsten und individuellsten Bücher deutscher Dichtung. Eine Höherentwicklung ist von Band zu Band in dieser langen Reihe unverkennbar, nicht allein in der Beherrschung des dichterischen Ausdrucks, auch im Reiferwerden der Welt- und Lebensauffassung. In seinen beiden letzten Büchern hat sich Henckell zu einer fast kristallenen Klarheit, zu voller Lebensreife durchgerungen: jedes Buch ist ein reiner, großer Klang, und über manchen dieser Verse liegt eine fast goethesche Ruhe und Weihe
Literarisches Echo. 15./VI. 1907.


Postkarte.


Herrn Frank Wedekind
Schriftsteller
München.
Prinzregentenstrasse. |


[Foto]


Karl Henckell

Sämtliche Werke Henckell’s sind im Verlage „Die Lese“ in München erschienen.

Man verlange gratis den ausführlichen Prospekt „Drei Dichter der Lese“ mit Biographie, Gedichtproben und Urteilen, sowie den Spezialprospekt über die Liebhaber Bände: „Im Weitergehn“ und „Weltlyrik“.

Absender:


Aarau, 24.VIII.13

M. lieber Frank! Ich komme mit e. Bitte: soeben sehe ich im Xenien-AlmanSchreibversehen, statt: Xenien-Almanach. Im „Xenien-Almanach für das Jahr 1914“ (im Xenien-Verlag in Leipzig 1913 erschienen) ist das Exlibris (siehe unten) – aufgeführt auch im Inhaltsverzeichnis: „Wilm, Hubert: [...] Exlibris Frank Wedekind“ [Xenien-Almanach für das Jahr 1914, S. 216] – mit der Bildunterschrift „Hubert Wilm: Exlibris Frank Wedekind“ [Xenien-Almanach für das Jahr 1914, Bilder-Anhang, S. 1] abgebildet. e. Ex-libris von DirDer Grafiker, Kunstmaler und Kunstsammler Hubert Wilm hat eine Wedekind gewidmete kunstvolle Radierung angefertigt, ein Exlibris „FRANK WEDEKIND“ mit detailreichen umlaufenden Remarquen (14 x 20,5 cm), signiert „Hubert Wilm 1913“, das im „Xenien-Almanach für das Jahr 1914“ abgebildet ist (siehe oben). Wedekind hat sich dafür bedankt [vgl. Wedekind an Hubert Wilm, 11.5.1913]. v. Wilm, das gewiss sehr gut ist. Da ich solche Raritäten sammle, bin ich Dir sehr dankbar, falls Du mir 1 Exempl. schenkst. ‒ Sodann habe ich grosse Freude an d. schönen Ges.ausg. Deiner WerkeSeit dem Vorjahr erschien im Georg Müller Verlag in München die dann neunbändige Gesamtausgabe „Gesammelte Werke“ (1912-1921) von Frank Wedekind. bei Georg Müller, kann mir sie aber nicht leisten. Könntest Du mir nicht gelegtlich e. Ex., vielleicht schon gebraucht, für m. Bibl.Arnold Hirzel, seit 1892 Lehrer für alte Sprachen an der Bezirksschule in Aarau und seit 1900 dort Rektor, war nebenbei seit 1903 auch Stadtbibliothekar von Aarau – die Stadtbibliothek hatte seinerzeit ihren Sitz noch in der Kantonsschule; vermutlich aber meinte er hier seine Privatbibliothek. zukommen lassen? Es wäre mir e. l. Erinng. Warum sieht man Dich nie in Aarau mit GemahlinFrank Wedekinds Besuche bei Arnold Hirzel in Aarau waren dem Tagebuch zufolge selten; der letzte Besuch war am 10.8.1906 („Mati und ich fahren nach Aarau. Arnold Hirzel und Thea holen uns am Bahnhof ab. [...] Abendessen bei Arnold Hirzel“), der nächste erst wieder am 16.10.1914 („Mit Mati nach Aarau. [...] Zum Café bei Arnold Hirzel“) – beide Besuche ohne Tilly Wedekind.? Herzl. Grüsse v. TheaThea Hirzel (geb. Henckell), seit 1896 mit Arnold Hirzel verheiratet, war eine Schwester des mit Wedekind befreundeten Schriftstellers Karl Henckell, für dessen Werk die vorliegende Bildpostkarte warb. und mir
Dein Hirzel.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 1 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 14 x 9 cm. Mit Textaufdruck. Gelocht.
Schreibraum:
Im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Bei der Bildpostkarte handelt es sich um eine Werbekarte des Münchner Verlags Die Lese für das Werk Karl Henckells. Sie ist mit einer aufgeklebten Briefmarke von 10 Hellern frankiert. Wedekind hat auf der Textseite mit blauem Buntstift das Datum „24.8.13“ notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Uhrzeit im Poststempel Aarau: „X“ (= 10 Uhr).

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 70
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Arnold Hirzel an Frank Wedekind, 24.8.1913. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

13.04.2024 18:50