Kennung: 2259

München, 2. April 1902 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • [Unbekannt]

Inhalt

Hochgeehrte gnädige FrauDie Dame konnte noch nicht identifiziert werden. Dem vorliegenden Brief zufolge war sie eine Schriftstellerin („Dichterin“ und „Künstlerin“).!

Darf ich Sie bitten, es mir nicht als Unzuverlässigkeit anzurechnen, wenn ich so lange brauchteDas Lied „Die neue Communion“ taucht auf Repertoirelisten auf, die Wedekind zur Vorbereitung der Tournee der Elf Scharfrichter vom 29.7.1901 bis 4.8.1901 dienten [vgl. KSA 1/IV, S. 1024f.], die mit dem Gastspiel am Wilhelma-Theater in Stuttgart ihren Auftakt (20./21.7.1901) nahm und mit dem Gastspiel im Spielhaus der Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe in Darmstadt (26. bis 30.7.1901) ihren Höhepunkt hatte; auf einer der Stationen dieser Scharfrichter-Tournee dürfte Wedekind der nicht identifizierten Dame versprochen haben, ihr das Lied zu schicken., um Ihnen beiliegende Zeilen zu senden; aber die Feder streubt sich gegen manches, was der Mund auszusprechenWedekind hat den nun aufgeschriebenen Liedtext „Die neue Communion“ bei Auftritten der Elf Scharfrichter während ihrer Tournee vom 29.7.1901 bis 4.8.1901 gesungen [vgl. die vorige Erläuterung]; zugleich darf die Bemerkung als Hinweis darauf verstanden werden, dass die Bitte der Dame an Wedekind, ihr das Lied zukommen zu lassen, mündlich in einem Gespräch erfolgt ist. | wagt. Um so höher kann ich mich dafür auch durch Ihre liebenswürdige Bitte geehrt betrachten.

Erlauben Sie mir, diese Gelegenheit wahrzunehmen, um Ihnen für so manchen Genuß zu danken, den Sie mir als Dichterin und als Künstlerin bereitet haben. Indem ich Sie bitte, den Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochschätzung entgegenzunehmen
Ihr ergebenster
Frank Wedekind.


München

2. April 1902.


[Beilage:]


[2 Zeilen Noten]


Die neue CommunionDas nach dem 1891 entlegen abgedruckten Gedicht „Die neue Communion“ [KSA 1/I, S. 312-314; vgl. KSA 1/II, S. 2123-2126] entstandene Lied „Die neue Communion“ [KSA 1/III, S. 121-122; vgl. KSA 1/IV, S. 1017-1028] erscheint in der Beilage zum vorliegenden Brief erstmals unter diesem Titel [vgl. KSA 1/IV, S. 1017]..


Lischen kletterte flink hinauf
Bis in die höchsten Äste,
Fing in der Schürze die Äpfel auf,
Ihrer Mutter zum Feste.


Ich lag unten verliebt und faul
Auf dem Rücken im Grase;
Mancher Apfel fiel mir ins Maul,
Mancher mir auf die Nase. |


Jetzt stand Lischen auf starkem Ast,
Schelmisch sah sie hernieder;
Ihres Leibes liebliche Last
Wiegte sich hin und wieder.


Innig umschlungen hielten sich
Splitternackt ihre Füße,
Öffneten sich und befühlten sich,
Winkten mir tausend Grüße.


Durch das Röckchen sandte der Tag
Seine goldenen Strahlen,
Was darunter geborgen lag
Farbenprächtig zu malen.


Schimmernd rings um die weiße Haut
Wob sich gedämpfte Helle;
Welcher Meister hätt’ je gebaut
Prächtiger eine Capelle! |


Das Gewölbe so luftig leicht,
Schlanke, stolze Pilaster,
Unter Flammenküssen erweicht
Lebender Alabaster;


Voller strömte das Licht herein,
Bunter bei jedem Schritte;
Ach und ein flimmernder Heiligenschein
Floß um des Hauses Mitte.


Kindlich faltet’ ich da die Händ’,
Betete fromm und brünstig:
Du mein heiligstes Sacrament,
Werde dem Sünder günstig.


Laß michs küssen in seinem Schrein,
Lieblichster Himmelsbote;
Laß mich nippen an deinem Wein,
Naschen von deinem Brote. |


Sieh und am nämlichen Abend schon
Tief in die Kissen gebettet
Ward in andächtiger Communion
Meine Seele gerettet.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 6 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 1 Doppelblatt. 2 Seiten beschrieben. Seitenmaß 13,5 x 17,5 cm. Gelocht. Beilage. 1 Doppelblatt. 4 Seiten beschrieben. Seitenmaß 13,5 x 17,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Der Brief enthält als Beilage eine Reinschrift des Gedichts „Die neue Communion“, das als Lied präsentiert ist: „Die Reinschrift überliefert 11 Strophen des Liedes sowie die Zeilen 1 u. 2 der Melodie ohne Textunterlegung. Die Notation bricht danach ab.“ [KSA 1/IV, S. 1919]

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    2. April 1902 (Mittwoch)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort


    Datum unbekannt

Erstdruck

Werke. Kritische Studienausgabe. Band 1/III. Lieder. Liedfragmente und -entwürfe.

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Friederike Becker
Verlag:
Darmstadt: Häusser.media Verlag
Jahrgang:
2007
Seitenangabe:
121-122
Kommentar:
Nur die Beilage ist bisher gedruckt [KSA 1/III, S. 121-122]. Der Brief ist ungedruckt.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
L 3478
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an [Unbekannt] , 2.4.1902. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

12.11.2021 13:55