Kennung: 2217

Dresden, 31. Januar 1907 (Donnerstag), Brief

Autor*in

  • Rudinoff, Willy

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

[Zeichnung: Tierbändiger]


Herrn
Frank Wedekind
ThierbändigerAnspielung auf den Prolog zum „Erdgeist“, in dem Wedekind am 13.3.1906 bei dem „Erdgeist“-Gastspiel des Berliner Deutschen Theaters am Dresdner Residenztheater als Tierbändiger auftrat. Rudinoff hat sich in einem ausführlichen Brief über diesen Auftritt zwar begeistert geäußert [vgl. Willy Rudinoff an Wedekind, 14 bis 16.4.1906], in selben Brief aber auch ausgeführt, dass er Wedekinds „Erdgeist“ von George Bernard Shaw inspiriert sehe, was Wedekind ihm übel genommen habe, wie Rudinoff am 11.10.1906 Paul Fechter berichtete: „Ich schrieb in diesem Sinne an Wedekind, und er hat mir’s nicht verziehen.“ [Raff 2015, S. 115] Der Tierbändiger aus dem Prolog zum „Erdgeist“, der als Zeichnung und begrifflich forciert das Kuvert prägt, mag als humoristisch angelegter Versöhnungsversuch gewertet werden.
in
Berlin
Deutschland |


[roter Buntstift, Querformat:]

Adressat unbekannt als Thierbändiger!
W.R.Mit seinen Namensinitialen hat Willy Rudinoff sich hier als Absender zu erkennen gegeben.


[Tinte, um 90 Grad nach links gedreht:]

Adressat ist nicht unter die Thierbändiger zu finden.

Briefträger
August LampeEin Briefträger dieses Namens ist in Berlin nicht nachweisbar; verzeichnet sind mit dem Namen August Lampe ein Maurer, ein Molkereibesitzer, ein Schlosser, ein Telefonarbeiter [vgl. Berliner Adreßbuch 1907, Teil I, S. 1330]..


Adressat ist obdachlos daher nicht bekannten Aufenthalsbewusst falsche Schreibweise (komisch intendiert), statt: Aufenthalts..


[Tinte, um 180 Grad nach rechts gedreht:]

Nicht auffindbar im AdressbuchWedekind war im „Berliner Adreßbuch 1906“ nicht verzeichnet, dann allerdings schon (Stand Ende 1906), als Schriftsteller Frank Wedekind (W 62, Kurfürstenstraße 125, 3. Stock) [vgl. Berliner Adreßbuch 1907, Teil I, S. 2583; Teil III, S. 429].bei die Dichterbewusst falsche Schreibweise (komisch intendiert), statt: bei den Dichtern. nachfragen!

WillemDer Nachname „Willem“ kommt im „Berliner Adreßbuch 1907“ nicht vor; es dürfte sich bei dem Namen des fiktiven Postinspektors um eine Camouflage auf Willy Rudinoffs Vornamen „Wilhelm“ handeln..
Postinspector


[Tinte, um 270 Grad nach rechts gedreht:]

Das Bild is gut!fingiertes Zitat, das hier dem bekannten Berliner Kunstkritiker Fritz Stahl in den Mund gelegt ist, der als Feuilletonredakteur für das „Berliner Tageblatt“ Ausstellungen besprach.

Fritz Stahl geborner LevisohnFritz Stahl (ein Pseudonym) hieß eigentlich Siegfried Lilienthal, worüber ein Stadtbuch mit humoristischem Einschlag auch informierte. „Siegfried Lilienthal, Wilmersdorf, Uhlandstr. 66. Bekannter unter dem Namen Fritz Stahl. Berlins lautester Kunstkritiker. Wie sah Goethe aus? Wie sah Bismarck aus? Wie sieht Fritz Stahl aus?“ [Berlin und die Berliner. Leute. Dinge. Sitten. Winke. Berlin 1905, S. 122].


Neues Theater sendenDas Neue Theater (Direktion: Max Reinhardt) in Berlin (NW, Schiffbauerdamm 5) hat zum Deutschen Theater gehört [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 272], das den „Erdgeist“ inszeniert hat. So notierte Wedekind am 19.2.1906 „Erdgeistprobe im Neuen Theater“ [Tb] oder am 25.2.1906 „spreche den Prolog im neuen Theater“ [Tb]..


[blauer Buntstift, um 360 Grad nach rechts gedreht:] Verzogen oder verheiratet.

Im zoologischen Gartenvermutlich Anspielung auf eine humoristisch gemeinte Bildpostkarte, die Rudinoff (zusammen mit befreundeten Leuten) aus dem Berliner Zoologischen Garten mit Abbildungen aus dem Affenhaus einmal an Wedekind geschickt hat [vgl. Gustav Rickelt, Willy Rudinoff, Julia Rickelt an Wedekind, 8.10.1900]. unbekannt.


[Tinte, Querformat:]

Zurück!
wxBedeutung nicht eindeutig aufzulösen; im Englischen ist „wx“ eine Abkürzung für „Wetter“ („weather“)..


[Tinte, um 360 Grad nach rechts gedreht:]

1 teBedeutung nicht eindeutig aufzulösen; möglicherweise eine Markierung für eine ‚erste‘ Sendung.
Rwohl nochmals Rudinoffs Nachnamensinitiale.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 1 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte. Buntstift.
Schriftträger:
Papier. 14 x 9,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Der in dem Kuvert als Einschreiben von Dresden nach Berlin transportierte Brief ist nicht überliefert. Die Vorderseite des Kuverts ist rechts neben der Empfängeradresse mit einer Tuschezeichnung versehen, die einen Tierbändiger (in der Adressierung benannt: „Thierbändiger“) in Frack, Stiefeln und mit Peitsche in der rechten Hand darstellt. Das Kuvert ist mit einer gestempelten Briefmarke (gezähnt, Motiv: Germania, blaugrau, Inschrift: „DEUTSCHES REICH“) von 20 Pfennig frankiert. Der Poststempel enthält die Ortsangaben „DRESDEN“ und „BERLIN“ sowie eine Uhrzeit, aber kein Datum. Die Vorderseite des Kuverts enthält außerdem einen gestempelten Aufkleber, rechts mit einem rot aufgedruckten „R“ (für frz. ‚recommandé‘ = ‚eingeschrieben‘) versehen, links mit der aufgedruckten Ortsangabe „Berlin 49“ sowie der Identifikationsnummer „No 925“ (beides schwarz), dazwischen (in rot) die Angabe „Eingeschrieben.“ Mit blauem Buntstift ist von fremder Hand der unterstrichene Berliner Postzustellvermerk „50“ notiert sowie mit rotem Buntstift das unterstrichene Wort „Thierbändiger“ zusätzlich unterstrichen. Die fingierten Zustellvermerke, die Willy Rudinoff mit Tinte, rotem und blauem Buntstift kreuz und quer auf der Rückseite des Kuverts unterschiedlich positioniert (im Querformat, im Hochformat, am linken und rechten Rand, mittig, dabei die Schreibrichtung mehrfach gedreht) notiert hat, sind in der vermuteten Reihenfolge ihrer Niederschrift wiedergegeben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 31.1.1907 ist als Ankerdatum gesetzt. Der Brief wurde als Einschreiben von Dresden (dort lebte Rudinoff seit 1905) nach Berlin (dort lebte Wedekind seit 1905, bis er seine Berliner Wohnung am 25.10.1907 kündigte und nach München zog) versandt. Die Zeichnung auf dem Kuvert mit den diversen Beschriftungen spielt auf Wedekinds Gastspiel in der „Erdgeist“-Vorstellung am 13.3.1906 in Dresden an, bei der Rudinoff Wedekind im Prolog als Tierbändiger gesehen und sich dazu ausführlich in einem ohne Kuvert überlieferten Brief geäußert hat [vgl. Willy Rudinoff an Wedekind, 14.4.1906 bis 16.4.1906]. Das vorliegende Kuvert kann nicht zu diesem umfangreichen Brief gehört haben, da er mitsamt den Beilagen (Theaterbillets, eine Radierung, ein ganzes Heft einer Zeitschrift sowie diverse Zeitungsausschnitte) nicht in diesen Briefumschlag hineingepasst haben kann. Das vorliegende Kuvert muss insofern einen später geschriebenen Brief enthalten haben, für den als Schreibanlass Rudinoffs Gastspiel vom 1. bis 10.2.1907 im Berliner Varieté Wintergarten angenommen werden darf, das er Wedekind knapp vor seiner Abreise von Dresden nach Berlin angekündigt haben dürfte. Im neuen Programm dieses Varietés zu sehen war „eine auserlesene Truppe von Artisten ersten Ranges“, darunter „Willi Rudinoff“, dessen „vielseitiges Können“ konstatiert ist, aber auch „seine nervöse Art der Darstellung.“ [Wintergarten. In: Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 68, 7.2.1907, Morgen-Ausgabe, 1. Beiblatt, S. (2)] Wedekind hat eine der Vorstellungen besucht, die täglich für 20 Uhr annonciert waren mit dem Programmpunkt: „Rudinoff, Universal-Künstler.“ [Berliner Volks-Zeitung, Jg. 55, Nr. 59, 5.2.1907, Morgen-Ausgabe, S. 4)] Er notierte am 5.2.1907 im Tagebuch, dass er die Vorstellung an diesem Abend mit Tilly Wedekind besucht und danach mit Hans von Oehlschläger und Willy Rudinoff im Weinhaus Zum Treppchen war: „Abends mit Tilly im Wintergarten. Nachher bei Treppchen mit Öhlschläger und Rudinoff.“

Uhrzeit im Poststempel: „9 – 10 V“ (= 9 bis 10 Uhr).

  • Schreibort

    Dresden
    31. Januar 1907 (Donnerstag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    Dresden
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Historisches Museum Schloss Lenzburg

CH-5600 Lenzburg
Schweiz
Schloss Lenzburg

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Wedekind-Archiv
Signatur des Dokuments:
D 486
Standort:
Historisches Museum Schloss Lenzburg (Lenzburg)

Danksagung

Wir danken dem Historischen Museum Schloss Lenzburg für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Willy Rudinoff an Frank Wedekind, 31.1.1907. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

29.10.2021 14:30