Kennung: 200

Leipzig, 9. Oktober 1897 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Martens, Kurt

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

LITTERARISCHE GESELLSCHAFTDie Litterarische Gesellschaft in Leipzig wurde im August 1895 durch eine Gruppe junger Akademiker gegründet, in deren Zentrum die angehenden Schriftsteller Franz Adam Beyerlein, Walter Harlan, Kurt Martens und Hans von Weber standen. Zu ihnen stieß der theatererfahrene Germanist Carl Heine. Zweck des Vereins, dessen Vorsitz nacheinander Walter Harlan und (ab Sommer 1897) Kurt Martens innehatten, war die Förderung der modernen Dichtung: „Es galt eine möglichst zahlreiche geschlossene Gesellschaft zu bilden, der dann in Theateraufführungen insbesondere die neue, naturalistisch gerichtete Kunst, neben ihr aber auch selten gehörte wertvolle Werke anderer Richtungen dargeboten werden sollten. An Gesellschaftsabenden war ferner die neue Kunst theoretisch zu erläutern, und schließlich sollten Dichter der Moderne sich gelegentlich dem Publikum vorstellen und ihre Schöpfungen vorlesen. Geschlossen aber musste die Gesellschaft sein, weil alsdann die Zensur in ihre Angelegenheiten zunächst einmal nichts hineinzureden hatte.“ [Beyerlein 1923, S. 58] An den sogenannten „Gesellschaftsabenden“ des Vereins traten zwischen September 1895 und März 1898 u. a. Otto Julius Bierbaum, Richard Dehmel, Georg Hirschfeld, Alfred Kerr, Detlev von Liliencron, Hermann Sudermann und Wedekind auf; im selben Zeitraum wurden Stücke von Max Halbe, Otto Erich Hartleben, Gerhart Hauptmann, Hugo von Hofmannsthal, Henrik Ibsen, Arthur Schnitzler und August Strindberg gespielt. Mit der Uraufführung von Wedkinds „Erdgeist“ im Februar 1898 beschloss der Verein seine Tätigkeit und löste sich kurze Zeit später auf. IN LEIPZIG


VORSITZENDER:
KURT MARTENS,
HAYDNSTR. 1, PT.


THEATER-LEITER UND SCHATZMEISTER:
DR. CARL HEINE,
LAMPESTR. 3, II.
SPRECHSTUNDE: 4–5 UHR.


SCHRIFTFÜHRER:
C. HANS V. WEBER,
SCHLEUSSIGER WEG 1A PT.
SPRECHSTUNDE: 12–1 UHR


am 9. October 1897.


Sehr verehrter Herr Wedekind,

Im Namen der Litterarischen Gesellschaft erlaube ich mir die Anfrage, ob Sie geneigt wären, uns die einmalige AufführungAuf Wedekinds Drängen hin beschloss die Litterarische Gesellschaft statt nur den ersten Akt das gesamte Drama aufzuführen. Die Uraufführung von „Der Erdgeist“ unter der Regie von Carl Heine – die erste Wedekind-Inszenierung überhaupt – fand am 25.2.1898 im Leipziger Kristallpalast vor geschlossenem Publikum statt. Das Stück wurde auf dem Theaterzettel als „Burleske in 4 Akten“ angekündigt. Die Rolle der Lulu spielte Leonie Taliansky, Wedekind selbst übernahm (unter dem Pseudonym Heinrich Kammerer, dem Mädchennamen seiner Mutter) die Rolle des Dr. Schön. Der große Erfolg der Aufführung, die am 1.3. in öffentlicher Vorstellung wiederholt wurde, veranlasste Heine, Wedekind als Sekretär und Schauspieler für sein neu gegründetes Ibsen-Ensemble zu verpflichten. Bei der anschließenden Tournee der Truppe, die Wedekind bis April 1898 begeleitete, kam der „Erdgeist“ in Halle/Saale, Hamburg und Breslau erneut zur Aufführung [vgl. zur Aufführungsgeschichte KSA 3/II, S. 1214-1220]. vom ersten Akt Ihres „Erdgeist“, event. auch der „Kaiserin von NeufundlandWedekinds Tanzpantomime „Die Kaiserin von Neufundland“ war erst kurz zuvor in der Sammlung „Die Fürstin Russalka“ (1897) veröffentlicht worden. Die von der Litterarischen Gesellschaft zunächst für Dezember 1898 geplante Aufführung kam nicht zustande, weil der Musiker Hans Merian die von Wedekind gewünschten Kompositionen nicht lieferte [vgl. Wedekinds Brief an Kurt Martens vom 15.11.1897].“ zu gestatten. Der „Erdgeist“ als Ganzes ist leider bei einigen Herren des Lese-|Komitéʼs auf Widerspruch gestoßen. Auch die Phantomime könnte Dr. Heine, äußerer Schwierigkeiten wegen, nur mit Kürzungen einstudieren.

Ferner würden wir uns freuen, wenn sie im Lauf des Winters einmal bei uns lesenWedekind las am 26.11.1897 im Hotel Pologne in Leipzig vor den Mitgliedern der Litterarischen Gesellschaft aus seinen Werken. Das sorgfältig mit Martens abgestimmte Programm der Lesung umfasste Szenen aus der Kindertragödie „Frühlings Erwachen“, Gedichte aus der Sammlung „Die Fürstin Russalka“, den Dialog zwischen Gerardo und Helene aus dem Einakter „Der Kammersänger“ (der damals noch „Das Gastspiel“ hieß) sowie die Prosafassung des „Rabbi Esra“ [vgl. Wedekinds Briefe an Kurt Martens vom 28.10. und 4.11.1897]. wollten. Als Entgelt pflegen wir, je nach Wunsch, die Reisekosten II. Cl. oder 50 M. zu bieten. Die Gesellschafts-Abende, von denen in diesem Winter fünf stattfinden, sind im Prinzip auf einen Freitag gelegt und finden, ebenso wie die Theater-Aufführungen, nur vor dem geschlossnen Kreise unsrer Mitglieder statt. Falls Sie einwilligen, teilen Sie uns, bitte, mit, in welche)m/n/ Monaten wir auf Sie rechnen dürfen.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener
Kurt Martens.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 17 x 22 cm. Mit gedrucktem Briefkopf. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Leipzig
    9. Oktober 1897 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Leipzig
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Dresden
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 113
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Kurt Martens an Frank Wedekind, 9.10.1897. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (08.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Mirko Nottscheid

Zuletzt aktualisiert

13.07.2020 23:01