Kennung: 1920

Berlin, 18. November 1906 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Reinhardt, Max

Inhalt

Berlin, 18. November 1906Wedekind hielt am 18.11.1906 (Sonntag) im Tagebuch fest: „Brief an Reinhart.“ Er dürfte den Zeitangaben im vorliegenden Brief zufolge diesen spät abends oder nachts geschrieben haben..


Sehr geehrter Herr Reinhardt!

Darf ich Sie ersuchen, diese Zeilen mit aller Ruhe und unter Würdigung der reinen Sachlichkeit ihres Inhaltes zu lesen. Ich habe mich entschlossen, der heutigen GeneralprobeDie Generalprobe für die Uraufführung von „Frühlings Erwachen“ fand nicht am 18.11.1906, sondern am 19.11.1906 (Montag) statt (19.30 bis 23 Uhr), davor eine weitere Probe (11 bis 17 Uhr); beiden Proben hielt sich Wedekind fern: „Probe. Ich betrete den Saal nicht. Abends Generalprobe. Ich betrete den Saal nicht.“ [Tb] Hermann Bahr war am 19.11.1906 in den Kammerspielen, „um den Proben zuzusehen, die heute von 11–5 und von ½8–11 gedauert haben.“ [Tb Bahr, Bd. 5, S. 150]. Die Stimmung war angespannt, da am 17.11.1906 (Freitag) wegen Georg Henrichs Erkrankung die Rolle des Moritz Stiefel neu besetzt werden musste, wie Hermann Bahr notierte (zuerst wurde Jakob Feldhammer erwogen, dann sagte Alexander Moissi zu): „Also Abends wurde zuerst der kleine Feldhammer verhört, der die Rolle mitgelernt hat, auch begabt ist, aber für diese Figur gar nicht paßt, da er heftig, zufahrend, polternd, statt lieb und weich und schüchtern ist. Um halb zehn wird endlich Moissi heraufgeholt, der eben den Orest gespielt hat, und erklärt, daß er zwar weder das Stück noch die Rolle kennt, auch schon seit ein paar Tagen heiser ist, heute den Oswald, morgen den Orest zu spielen hat, aber die zehn Bogen halt lernen, Montag den ganzen Tag pro|bieren und Dienstag spielen wird. Wie immer, sehr nett, sehr lustig und mit einer unbekümmerten Grausamkeit gegen seine Nerven, gegen seine Gesundheit, die mir unheimlich ist.“ [Tb Bahr, Bd. 5, S. 149f.] nicht beizuwohnen, werde aber natürlich für meine Rolle pünktlich auf der Bühne sein. Die Gründe für meinen Entschluß sind folgende: Eine notwendige Betheiligung habe | ich bei dieser Probe unter der Zuhörerschaft nicht. Nützlich würde meine Anwesenheit deshalb nicht sein, weil ich von dem was auf der Bühne vorgeht nichts sehen und nichts hören würde. Drittens glaube ich, daß die Generalprobe eines von mir geschriebenen Stückes für mich nicht die Folge haben darf, daß ich dabei, wie das vorgesternMaximilian Harden hat nicht am 16.11.1906 (das wäre „vorgestern“), sondern am 17.11.1906 eine Probe besucht, wie Wedekind notierte: „Vormittags Probe in Gegenwart von Harden.“ [Tb] Hermann Bahr hielt dazu fest: „Auf der Probe große Confusion, weil Herr Henrich, [...] der [...] den Moritz Stiefel, die Hauptrolle, spielen soll, eine Mittelohrentzündung hat und absagt; [...] Probe natürlich verworren und ärgerlich. Ich tratsche mit Maximilian Harden, der zufällig da ist.“ [Tb Bahr, Bd. 5, S. 149] Als Ersatz für Georg Henrich wurde spät abends Alexander Moissi gewonnen. in Gegenwart Hardens der Fall war, gesellschaftlich geschädigt und beeinträchtigt werde. Indem ich Ihnen dies | mittheile, habe ich das Bewußtsein, einer für mich gänzlich unmöglichen Situation aus dem Wege zu gehen, ohne der Sache, in deren Dienst wir beide vereinigt sind, zu schaden.

Sollte am Dienstag die PremiereWedekinds „Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie“ wurde am 20.11.1906 (Dienstag) in den Kammerspielen von Max Reinhardts Deutschem Theater in Berlin uraufgeführt, 15 Jahre nach dem Erstdruck des Stücks, in einer Fassung, die am 24.10.1906 von der Zensur freigegeben worden war. Die Inszenierung wurde zum großen Theatererfolg. stattfinden können, so gestatten Sie mir, Sie dafür um zwei PlätzeTilly Wedekind und Gemma Bierbaum dürften Premierenkarten für die Uraufführung von „Frühlings Erwachen“ erhalten haben, denn Frank Wedekind notierte am 20.11.1906: „Abends kommt Gemma Bierbaum. Premiere von Frühlings Erwachen. [...] Nachher bei Hupka, dann mit Tilly und Gemma im Café Austria.“ für meine Frau und Frau Gemma Bierbaum zu ersuchen.

Ich kann mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, ohne Ihnen, | geehrter Herr Director, für den hohen künstlerischen Ernst und die Mühe, die Sie meiner Arbeit opferten, meine größte Verehrung und Dankbarkeit auszusprechen.

Ihr ergebener
Frank Wedekind.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14,5 x 19 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Berlin
    18. November 1906 (Sonntag)
    Sicher

  • Absendeort

    Berlin
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky

Von-Melle-Park 3
20146 Hamburg

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Theatersammlung
Signatur des Dokuments:
AHT:37:15: Blatt 7-8
Standort:
Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky (Hamburg)

Danksagung

Wir danken der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Max Reinhardt, 18.11.1906. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

10.07.2021 15:32