Kennung: 179

Leipzig, 19. Juli 1900 (Donnerstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Donald (Doda)

Inhalt

Leipzig, den 19. Juli 1900
Lampestrasse 13.IV. l.


Lieber Donald,

ich habe kein Glück in HannoverUm die Auszahlung des Erbes seiner Tante Auguste Bansen, die am 15.12.1899 verstorben war, zu beschleunigen, war Frank Wedekind nach Hannover gereist und wollte den Anwalt aufsuchen, der mit der Sache betraut war, Hans Heiliger (= Heiliger II; zur Unterscheidung wurden Anwälte gleichen Namens an einem Ort üblicherweise nummeriert). Zu der sich in die Länge ziehenden Erbschaftsangelegenheit siehe die Korrespondenz Frank Wedekinds mit seinem Schwager Walther Oschwald. gehabt, vor allem wol deshalb weil Heiliger II am Tage vor meiner Ankunft verreist war, in die Ferien, auf vier Wochen. Heiliger Ider Vater von Hans Heiliger (= Heiliger II), der Justizrat, Rechtsanwalt und Notar Ernst Heiliger in Hannover (Bernstraße 4) [vgl. Adreßbuch der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Hannover 1900, Teil I, S. 752]. machte mir trotzdem Hoffnung, daß die Geschichte gelingen könnte. So blieb ich über den Sonntagden 15.7.1900. dort. Am Montagden 16.7.1900. erklärten aber die Leute von der Dresdner | BankDie Filiale der Dresdner Bank war in der Theaterstraße 12 [vgl. Adreßbuch der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Hannover 1900, Abt. I, S. 1183]. des aller entschiedensten, daß sie sich auf eine weitere BeleihungDonald Wedekind hatte auf seiner Reise nach Hannover Anfang Juli [vgl. Frank Wedekind an Walther Oschwald, 1.7.1900] auf sein bevorstehendes Erbe bei der Dresdner Bank eine Hypothek über 5000 Mark aufgenommen [vgl. Frank Wedekind an Erika Wedekind, 24.8.1900]. der Erbschaft nicht einlassen könnten. So zog ich unverrichteter Sache ab. Dagegen versicherte mir Heiliger I als ganz zuverlässig, als „mathematisch“ wie er sich ausdrückte, und zwar ohne daß ich ihn danach gefragt hätte, daß die endliche Auszahlung sofort nach der Rückkehr seines Sohnes, das heißt spätestens bis zum 15. August stattfinden werde. Das Gericht hat die Erlaubnis zur VertheilungDer Nachlassverwalter Hans Heiliger hatte nach Vorliegen der Erbscheine den Nachlass durch eine Teilungsanordnung unter den Erben aufzuteilen oder auszugleichen. Die Erbscheine hatte das Nachlassgericht offenbar bereits ausgestellt [vgl. Frank Wedekind an Walther Oschwald, 1.7.1900], so dass nun die Wertpapiere der verstorbenen Tante verkauft werden konnten, um den Erlös anschließend unter den Erben aufzuteilen. ertheilt und die Papiere werden gegenwärtig an der Berliner Börse verkauft. Diese Thatsache und die Richtigkeit des angegebenen Termins wurden | mir auch von dem Büreauchef Heiligers IInicht identifiziert. bestätigt, den ich am Sonntagden 15.7.1900. zufällig im Zoologischen Garten traf.

Trotz dieser Aussichten, die ich als durchaus zuverlässig ansehe, hat die Enttäuschung so niederschlagend auf mich gewirkt, daß ich mich nicht dazu entschließen konnte nach München in meine leere Wohnung, in die Verhältnisse in denen mir jede Arbeit unmöglich ist, zurückzukehren. Ich nehme mir auf einen Monat ein Zimmer hier in Leipzig, wo ich an dem von S. Fischer unternommenen Werk „Das Variété des LebensEin Projekt mit diesem Titel, vermutlich eine Anthologie, wurde nicht realisiert.“ hoffe arbeiten zu können. Unter diesen | Verhältnissen und besonders im Hinblick auf die mit Sicherheit versprochene Auszahlung am 15. August komme ich nun noch einmal auf das freundliche AnerbietenNachdem Donald Wedekind seinen Bruder zuletzt selbst um Geld gebeten hatte [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 19.4.1900], erfolgte das Angebot Donald Wedekinds, nun umgekehrt seinen Bruder zu unterstützen, vermutlich aufgrund der erfolgreichen Beleihung des erwarteten Erbes., das du mir machtest zurück. Würdest du mir noch 500 Mark vorstrecken? Da ich mit meiner Toilette ziemlich auf dem Hund bin und in München meine Wohnungsmiethe bezahlen muß greife ich die Summe so hoch. Immerhin wird es bedeutend mehr sein als ich hier zu gebrauchen gedenke, zumal wenn es mir gelingen sollte, etwas zu arbeiten. Aber ich sehne mich unendlich nach etwas Freiheitsgefühl.

Für die 300 Mark für deren prompte | ÜbersendungHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zu der Geldsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Donald Wedekind an Frank Wedekind, 9.7.1900. ich dir noch bestens danke, lege ich hier einen Schein bei. Ebenso werde ich dir die 500 Mark wenn du sie mir schickst sofort nach Empfang bescheinigen, da man nie weiß, was passieren kann.

Für dein hülfreicheSchreibversehen, statt: hülfreiches. Anerbieten noch einmal meinen herzlichen Dank. Von dem nahe bevorstehenden Auszahlungstermin erhoffe ich daß er auch Dir noch ermöglicht, dich mit menschenwürdigem Comfort zu umgeben und dadurch deine Arbeitsfähigkeit und den Genuß am Leben zu erhöhen. Ich fühle gerade in meinem jetzigen gemietheten Zimmer | wieder, wie brennend meine Sehnsucht danach ist, in einer selbstgeschaffenen Umgebung zu wohnen und eigene Bedienung zu haben. Sollten sich die Dinge entwickeln wie es jetzt zu hoffen steht, dann würde ich mich freuen wenn wir uns Ende August noch einmal auf einige Tage sehen könnten, entweder in München oder in der Schweiz.

Mit herzlichen Grüßen Dein
treuer Bruder
Frank.


Lampestraße 13. IV l.
Leipzig.


[Beilage:]


Bescheinigung.

Unterzeichneter bescheinigt hiermit von seinem Bruder Donald Wedekind auf die ihm in Aussicht stehende Erbschaft hin die Summe von M. 300.– (Dreihundert Mark) als Darlehen erhalten zu haben.


Leipzig, den 19. Juli 1900
Frank Wedekind.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 5 Blatt, davon 7 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 12,5 x 20 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Die Beilage ist im Querformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Leipzig
    19. Juli 1900 (Donnerstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Leipzig
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Zürich
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

(Band 2)

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
46-48
Briefnummer:
175
Kommentar:
Die Adressangabe am Anfang und Ende des Briefes sowie die Beilage sind im Erstdruck nicht wiedergegeben.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 212
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Donald (Doda) Wedekind, 19.7.1900. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (09.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

10.10.2023 18:41