Kennung: 1764

Graz, 26. März 1906 (Montag), Brief

Autor*in

  • Newes, Eduard

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Graz den 26. März 1906


Mein lieber Sohn Wedekind!

Vor allem bitte ich in unserem weiteren Verkehr das verwandtschaftliche „Du“ in Anwendung zu bringen. Dein liebes Schreibenvgl. Wedekind an Eduard Newes, 23.3.1906. hat mich nicht überrascht, nach Tillys vorausgegangenen Briefen hatte ich dasselbe erwartet aber demungeachtet hat es mir nicht weniger Freude gemacht und beeile ich mich dasselbe sofort zu beantworten. Mama hat Dich in Berlin kennen gelerntTilly Wedekind erzählt in ihren Memoiren: „Meine Mutter [...] kam nach Berlin und wohnte bei mir in der Pension. [...] Und nun kam also immer meine Mutter mit. [...] Sehr bald merkte ich, daß es Frank gar nicht paßte, daß meine Mutter immer dabei war. Ich bat sie daraufhin inständig, nach Hause zu fahren.“ [Wedekind 1969, S. 56f.] In Frank Wedekinds Tagebuch ist über diese Begegnungen mit Mathilde Newes nichts notiert. Es hat ihm aber wohl nicht „behagt“, dass „Tillys Mutter in Berlin anwesend ist“, er dürfte sich „beobachtet“ gefühlt haben, „auch genötigt, um nicht als unhöflich zu erscheinen, persönlichen Umgang mit ihrer Mutter zu pflegen und sie gelegentlich einzuladen, um sie zusammen mit ihrer Tochter auszuführen.“ [Vinçon 2018, Band 2, S. 12] und Du hast auf sie einen so guten Eindruck gemacht, daß sie stets nur mit aller Achtung von Dir uns erzählte und wir freuten uns alle, daß Tilly ihre künstlerischen Erfolge in Berlin sehr viel Deiner bildenden Einwirkung zu danken hat. Tillys Briefe schwelgen von Glückseligkeit und müssen wir daraus den Schluß ziehen, daß sie Dich wirklich lieb hat und in einer Verbindung mit Dir ihr höchstes Erdenglück erhofft. Der Kinder Glück ist auch unser Glück, wir leben und sterben ja für unsere Kinder. Ich sowohl als auch Mama sagen mit Freuden Ja!Tilly Wedekinds Vater in Graz hat seinem zukünftigen Schwiegersohn, der sich am 18.2.1906 in Berlin mit seiner Tochter verlobt hat, hiermit ausdrücklich das Ja-Wort zur Heirat erteilt. Gott der Allmächtige segne Eueren Bund, er lasse Euch im gegenseitigen Besitze glücklich und zufrieden sein. Das ist mein aufrichtigster und innigster Wunsch.
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Ich erachte es als meine Pflicht, Dich auch mit unseren finanziellen Verhältnissen bekannt zu machen. Vom Elternhaus hat Tilly außer ihrer Ausbildung, die ziemlich viel Geld kostete, kein Vermögen und leider auch keines zu erwarten. Ich führe ein WeingeschäftTilly Wedekinds Vater, Sparkassenbeamter im Ruhestand, betrieb in Graz seit 1886 die Weinhandlung Eduard Newes (Zinzendorfgasse 8 und Filialen). unter den heute denkbar ungünstigsten Verhältnissen und haben theilweise die Mißerfolge im Geschäfte und theilweise die großen Kosten der Erziehung und der Erhaltung unserer KinderDora, Paula, Rudolf, Tilly, Dagobert, Eduard (1894 im Alter von fünf Jahren verstorben), Karl, Martha. unser Vermögen aufgezehrt und halte ich mich heute mit Mühe und Not über Wasser.

Tilly hat von ihrer Tantenicht identifiziert. Tilly Wedekinds Vater hatte sechs Geschwister [vgl. Wedekind 1969, S. 16]. (meiner Schwester) einen 7tel Hausantheil, der weil das Haus nicht unbelastet ist, nur einen geringen Wert hat. Die allgemeinen finanziellen Verhältnisse sind in Graz heute derart ungünstig, daß ein Haus nahezu unverkäuflich ist. Ich habe das Haus zum Verkaufe ausgeboten, gelingt mir der Verkauf, so kann Tilly auf ungefähr 5000 Kronen rechnen. Es drückt uns sehr schwer, daß wir nicht Mal die sonst übliche Ausstattung aus Eigenen schaffen können. Vielleicht kommen auch noch für uns schönere Tage und dann ist Tilly gewiß nicht die letzte, auf die wir bedacht sein werden. |

Sobald ich die avisirten Papiere erhalte, werde ich ungesäumt die nötigen Schritte thun und eine schleunige Erledigung zu erhalten trachten.

Es umarmt Euch beide
Euer
aufrichtiger Papa
Eduard Newes

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Rautiertes Papier. 23 x 29 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Wedekind hat auf Seite 1 mit Bleistift das Datum „26.3.6“ geschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der Empfangsort ist durch das Tagebuch belegt.

  • Schreibort

    Graz
    26. März 1906 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    Graz
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 306
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Eduard Newes an Frank Wedekind, 26.3.1906. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

16.01.2021 13:10