Kennung: 1512

München, 11. November 1915 (Donnerstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Kutscher, Artur

Inhalt

München, den 11 November 1915.


Lieber Artur!

Vor vierzehn Tagen aus der Schweiz zurückgekehrt fah/n/d ich Deinen lieben Brief vor, der mir die Freudennachricht verkündete daß Du nicht mehr mitten im Feuer stehst. Hoffentlich dauert für Dich der Auffenthalt in Mühlhausen oder an der Neutralitätsgrenze noch fort. Über meine Krankheit bin ich immer noch nicht | ganz hinaus. Ich habe noch drei allerdings sehr kleine Löcher im Leib, die kaum mehr etwas absondern, die mich aber hindern etwas zu unternehmen. Mein Bismarck wird seit vierzehn Tagen gedruckt, aber so langsam geht das vor sich, daß vor Weihnachten kaum Exemplare zu erwarten sind. In der Schweiz habe ich mich weidlich gepflegt. Es waren idyllische Tage in Lenzburg mit den Spaziergängen auf die Schlösser der Umgebung. Bei meiner Mutter die eine fanatische Gottfried Keller Schwärmerin ist habe ich | die vollendete klassische Sprache seiner Novellen von neuem bewundern gelernt, aber als Mensch konnte er mir nicht viel neues bieten. Außerdem ist meine Mutter eine begeisterte Kriegsfanatikerin, natürlich für Deutschland, worin wir übereinstimmten. Aber ihre Kriegsbegeisterung lieferte die konstante Reibungsfläche, die viel Erfrischendes mit sich brachte. Hier in München sehe ich außer Martens und Friedenthal kaum einen Menschen. Im Theater hören meine Frau und ich uns die alten guten Opern wieder an, Figaro und Fidelio, bei denen | man die Schwere der Zeit auf einige Stunden vergißt. Sehr gespannt bin ich auf d/D/eine Schilderungen der Kämpfe am Reichsackerkopf und Lingerkopf, die hoffentlich bald erscheinen. Zu Deiner Auszeichnung mit dem Militärverdienstorden meinen herzlichsten Glückwunsch. Ich/In/ acht Tagen hält Harden wieder einen Vortrag, ich zweifle aber noch daran ob er diesmal etwas neues zu sagen weiß. In einigen Tagen erhältst Du eine Ballade von mir, nur zur Erheiterung, nicht etwa als Zeichen leichtfertiger Stimmung. Mit herzlichen Grüßen von meiner Frau und mir und besten Wünschen für Dein Wohlergehen Dein alter
Frank Wedekind.


[Kuvert:]


Feldpostbrief

An den Leutnant und Kompanieführer
Herrn Professor Dr. Artur Kutscher
8. Reserv. Inf. Regim. 92
II Armee 19. Res. Division |


Absender Frank Wedekind
Prinzregentenstr 50 München.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 6 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 1 Doppelblatt. 4 Seiten beschrieben. Seitenmaß 14,5 x 18 cm. Kuvert. 2 Seiten beschrieben. 15 x 10 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Uhrzeit im Poststempel: „6 – 7 N“ (18 bis 19 Uhr). Der Empfangsort geht aus dem Briefinhalt hervor. Kutscher gehörte dem Reserve-Infanterie-Regiment 92 an, das an der Westfront inzwischen im Elsass eingesetzt war, zuletzt stationiert in Mülhausen.

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
323-325
Briefnummer:
443
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Deutsches Literaturarchiv Marbach

Schillerhöhe 8-10
71672 Marbach am Neckar
Deutschland

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
A: Kutscher, Artur
Signatur des Dokuments:
A: Kutscher, 57.5405/3
Standort:
Deutsches Literaturarchiv Marbach (Marbach am Neckar)

Danksagung

Wir danken dem Deutschen Literaturarchiv Marbach für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Artur Kutscher, 11.11.1915. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

05.11.2020 21:19