Kennung: 134

Stein am Rhein, 19. April 1884 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Plümacher, Olga

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

                                                                                                                                                                                      Stein a/Rh. den 19 April 1884

Mein lieber Franklin!

Ich danke Dir für Deinen Brief und gratulire Dir von Herzen dazu, daß das ExamenVom Erziehungsrath des Kantons Aargau erhielt Frank Wedekind sein Maturazeugnis am 8.4.1884 ausgestellt. Die allgemeine Schulabschlussprüfung an der Aargauer Kantonsschule fand am 10.4.1884 statt. bestanden ist; das „Wie“ hat nun weiter nichts mehr auf sich, es handelte sich ja doch nur um Fächer die für Deine künftigen Studien von keiner oder sehr indirecter Bedeutung sind. Es freut mich auch aufrichtig, daß der frühere Plan, Dich Jurisprudenz studiren zu lassen nun aufgegeben ist. Es hätte der Versuch doch nur zu verlorener Zeit und Unzufriedenheit Veranlaßung gegeben. Das Corpus juris, die „Bibel des Egoismus“ wie Heine es nennt, wäre Dir wohl auch so unerquicklich vorgekommen wie dem „ungezogenen Liebling der | Musen“ und die juristischen ColegeSchreibweise Olga Plümachers. wären wohl gar sehr oft unbesucht geblieben; wenn aber der Studiosus nicht in‘s Coleg geht, so geht er in der Regel in die Kneipe; es ist also jedenfalls beßer, wenn Du gar nicht nöthig hast unliebsame Vorlesungen zu versäumen. Bei Deiner jetzigen Studienwahl wirst Du von Beginn an viel Interessantes und Feßelndes zu hören bekommen und sehe ich jetzt mit vollem Vertrauen der Zukunft Deiner Studien entgegen. – Ich bedaure es aufrichtig, daß die Zeit Dir nicht gestattet vor dem Verlaßen Deiner Heimath einen Abstecher zu uns zu machen und Hermann theilt mein Bedauern. – Ueber den Vorschlag Hartmanns denkst Du und Deine liebe Mutter, wie auch meine Züricher Freunde | doch wohl etwas zu enthusiastisch. Der Erfolg ist durchaus nicht so sicher. Es stehen mir große Hinderniße im Wege. Erstens arbeite ich sehr langsam; es wird mir viel Mühe kosten immer neue Vorträge in Bereitschaft zu halten; zweitens habe ich ein ganz schlechtes WortgedächnißSchreibversehen Olga Plümachers. "Wortgedächtnis"., so daß ich es nie zum freien Vortrag bringen werde; und dieser ist doch der wirksamste; das Publikum gelangt weniger zur Kritik, wenn man ihm in die Augen schauen kann. Endlich – last but not least – bedenke meine harte schweizerische Sprache mein „Großraths-Deutsch“, welche Schwierigkeiten mir nur dieses bereiten wird bis ich etwas abgeschliffen habe, denn so wie ich bis jetzt gesprochen, kann ich vor einem deutschen Publikum nicht auftreten. |
            In Amerika würde sich die Sache natürlich viel leichter machen laßen; und mit Rücksicht auf unsere Zukunft dort will ich mich für einen Versuch vorbereiten. „Im schlimmsten Falle fallen sie durch und niemand erfährt etwas davon“ schreibt mir Hartmann; das ist aber nicht so: nichts wird so schnell bekannt als Mißerfolg und wenn ich den Schaden den Mißlingens habe, so wird mir auch der Spott nicht fehlen, das ist eine alte Wahrheit. Trotzdem will ich den Versuch wagen, aber ich wage ihn mit schwerem Herzen. – Den „Traum“ sende ich Dir ‘mal; ich möchte noch etwas dran ändern und habe jetzt keine Zeit. – Bitte grüße Deine liebe Mutter herzlich von mir; ich werde ihr nächstens schreiben. Den andern Sack Kaffee hat sie hoffentlich erhalten. Auch an Frieda herzliche Grüße und Glückwünsche zum neuen Stand im Kreise der vollgewichtigen  / Erdenbürger.  Lebe wohl lieber Franklin! möge es Dir in Lausanne recht gut gefallen und die Freiheit, die erwählte kommen und kann dann Muse und Quelle .gesegnet sein.      Ich verbleibe Deine <DirEingefügt vom Editor.> aufrichtig zugethane  
                                 O Plümacher  |
Hermann sendet 1000 Grüße; er ist sehr vergnügt und in s einem Sturmwagen geht er nach Zürich; wenn er zurück kommt, schreibt er.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 11,4 x 18,5 cm. Klein-Oktav.
Schreibraum:
Das Postskriptum ist auf der ersten Seite am linken Seitenrand längs eingefügt. Die Grußzeilen Plümachers enden auf der 4. Seite, längs am linken Seitenrand notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Stein am Rhein
    19. April 1884 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort


    Datum unbekannt

  • Empfangsort


    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek. Monacensia (München) et Olga Plümacher

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 130
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken dem Literaturarchiv der Monacensia, München, für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Olga Plümacher an Frank Wedekind, 19.4.1884. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (08.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Prof. Dr. Hartmut Vincon

Zuletzt aktualisiert

05.08.2023 08:27