Mein lieber
Martens,
Sie sind doch ein verhätscheltes Glückskind. Erinnern Sie sich noch wie Sie mir vor zwei Jahren erzählten, daß Sie sich zu Kindern nur/ledi/glich Mädchen wünschten, weil Sie gar nicht wüßten was Sie mit Knaben anfangen sollten. Nun ist Ihnen auch die Erfüllung dieses WunschesGemeint ist die Geburt der Tochter Hertha Helena Martens zu Weihnachten 1899, die Wedekind offenbar durch eine nicht überlieferte Geburtsanzeige angezeigt worden war. Erschlossenes Korrespondenzstück: Martens an Wedekind, 24.12.1899. geglückt, wie alles was Sie in Ihrem ruhigen besonnenen Zielbewußtsein vornehmen. Wie ich aus dem hübschen geschmackvollen TitelAnspielung auf die Kombination der deutsch-griechischen Vornamen von Hertha Helena Martens. ersehe, den Sie Ihrem Werke gegeben verfolgten Sie das Ziel, die Deutsche Seele mit der griechischen Schönheit zu vereinigen. Wenn es mir einmal vergönnt sein sollte, das Buch zu durchblättern, werde ich mit Aufmerksamkeit darauf achten, in welcher Weise Sie das Problem gelöst haben; denn daß Sie es gelöst haben, dara/vo/n bin ich bei der großen Sicherheit mit der Sie arbeiten von vorn | herein fest überzeugt. Eines fürchte ich nur, das sage ich Ihnen ganz offen, daß Sie den Stoff zu sehr fin de siècle behandelt haben. Es kann sich das ja aber ebensowol als ein Vortheil wie als Nachtheil erweisen. Auf jeden Fall also meine herzlichsten aufrichtigen Glückwünsche. Wenn ich an meine eigenen Arbeiten zurückdenke fühle ich mehr als je, wie schwer es ist, etwas wirklich harmonisches zu schaffen.
Wollen Sie bitte auch Ihrer verehrten Frau Gemahlin meinen herzlichsten Glückwunsch aussprechen.
In Ihren lieben freundlichen ZeilenGemeint ist Martens’ Brief an Wedekind vom 5.12.1899., die mir eine große Freude waren geben Sie mir allerhand gute Ratschläge für die ich Ihnen sehr dankbar bin. Sie setzen aber dabei voraus, daß ich mich über Ihre Ansichten achselzuckend hinwegsetze. Wie wenig kennen Sie mich doch. Alles was Sie mir als gut und erstrebenswerth anpreiseSchreibversehen, statt: anpreisen. ist seit Beginn meiner wechselvollen Carrière mein einziges Ziel, das ich ja noch vor einem Jahr schon beinahe zu erreichen im Begriff war. Dieses ewige Beinahe, das ist das Verhängnis, das Charakteristische meiner Natur. Ich war beinahe verheiratetIn den Jahren 1896/97 war Wedekind mit Frida Strindberg verlobt. Er löste die Beziehung vor der Geburt des gemeinsamen Kindes Friedrich Strindberg., wäre beinahe SchauspielerAls Schauspieler debütuerte Wedekind in der Leipziger Uraufführung seines Stücks „Der Erdgeist“ (25.2.1898) und spielte anschließend während der Tournee mit Carl Heines Ibsen-Ensemble verschiedene Rollen, darunter den Dr. Schön. Im August 1898 war er als Sekretär und Schauspieler ans Münchner Schauspielhaus verpflichtet worden, hatte München jedoch unmittelbar nach seinem ersten Auftreten als Dr. Schön im „Erdgeist“ (29.10.1898) infolge der „Simpliccisimus“-Affäre fluchtartig verlassen. geworden, bin beinahe | ein geschätzter Schriftsteller und verdiene beinahe eine Unmenge Geld. Mit diesem Beinahe hat man aber nicht viel Glück, am wenigsten bei Frauen, die in ihrem berechtigsten Realismus wenig Empfänglichkeit für das Beinahe haben.
Ich kann Ihnen, mein lieber Freund, heute nicht mehr schreiben. Ich leide an Herzbeklemmungen die mir die Ruhe nehmen. Verzeihen Sie dieses BriefformWedekind faltete die Blätter seines Briefs zu einem Kuvert. aus dem vorigen Jahrhundert. Ich habe Es sind seit drei Tagen hier keine Enveloppen zu haben. Grüßen Sie bitte Weber aufs herzlichste. Ich erhielt einige Zeilen von ihmnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Hans von Weber an Wedekind, November/Dezember 1899. die ich nächstdem beantworten werde.
Empfehlen Sie mich Ih zu Gnaden Ihrer verehrten Frau Gemahlin, ebenso Ihrer Frau Mama, wenn sie noch bei Ihnen ist und seien Sie herzlichst gegrüßt
von Ihrem getreuen
Frank Wedekind.
Festung Königstein
26. Dec. 99. |
Herrn Kurt Martens
Schriftsteller
München
Franz Josephstrasse 48.II.