FRANK WEDEKIND.
Lieber Herr Bierbaum!
Ich danke Ihnen sehr für Ihre freundlichen BemühungenOtto Julius Bierbaum hatte Erkundigungen eingezogen [vgl. Otto Julius Bierbaum an Wedekind, 20.8.1902] und dann eine Honorarauszahlung für den bereits erfolgten Vorabdruck von Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ in der Zeitschrift „Die Insel“ an den Autor veranlasst (siehe unten).. Die M
100 habe ich heute glücklich erhalten, allerdings erst auf ein TelegrammWedekind hatte unter Berufung auf Otto Julius Bierbaum wegen der 100 Mark Honorar (siehe oben) an den Insel-Verlag (Geschäftsführer: Rudolf von Poellnitz) telegrafiert [vgl. Wedekind an Insel-Verlag, 26.8.1902]. hin,
das ich an PollnitzSchreibversehen, statt: Poellnitz. schickte. – Sie also | bringen diesen
stillen Sommer in dem reizenden Städtchen
SteinOtto Julius Bierbaums letzter Brief war in Stein am Rhein in der Schweiz geschrieben [vgl. Otto Julius Bierbaum an Wedekind, 20.8.1902]. zu. Neben dem Gasthof zur Sonne liegt ein uraltes Hausdas imposantes Haus Zur Vorderen Krone (am Rathausplatz) aus dem 14. Jahrhundert (ein Privathaus), mit Bemalungen aus späterer Zeit: „Ein anderes Haus, ‚zur vorderen Krone‘, hat eine gemalte Rococodekoration, vom Jahre 1734.“ [Jacob Burkhardt, Wilhelm Lübke: Geschichte der neueren Baukunst. Bd. 2. 2. Aufl. Stuttgart 1882, S. 258] „die Krone“, in
dem ich im Jahre 81im Jahr 1881 – Wedekind dürfte damals zu Besuch bei seiner ‚philosophischen‘ Tante Olga Plümacher (geb. Hünerwadel), der Jugendfreundin seiner Mutter, gewesen sein, die mit ihren Kindern in Stein am Rhein gewohnt hatte und mit ihnen dann im Frühjahr etwa 20 Kilometer weiter nach Schaffhausen umgezogen ist, wo sie sich am 29.4.1881 anmeldete [vgl. Luchsinger 1989, S. 442]; in den Jahren 1883/84, möglicherweise bis 1886 [vgl. Kieser 1990, S. 245], hat sie allerdings wieder in Stein am Rhein gelebt (siehe Wedekinds Korrespondenz mit ihr sowie mit Hermann Plümacher) und Wedekind besuchte sie dort. sehr schöne Stunden und Tage verlebt habe. Ich glaube mich
auch noch dunkel des Klosters St. Georg zu erinnern. Dabei ist die Umgebung von
Stein eine der stimmungsvollsten Landschaften die ich je gesehen habe. – Im
September also gehen Sie schon nach WienOtto Julius Bierbaum wollte am 1.9.1902 nach Wien reisen (das hat sich einige Tage verzögert), um dort in leitender Position an der neuen Wiener Tageszeitung „Die Zeit“ mitzuarbeiten [vgl. Otto Julius Bierbaum an Wedekind, 20.8.1902].. Es ist wol möglich, daß ich auch
komme, zumal sich hier in München jetzt thatsächlich gar nichts anfangen läßt.
Auf jeden Fall hoffe ich mit der „Zeit“mit der neuen Wiener Tageszeitung „Die Zeit“ (hervorgegangen aus der gleichnamigen Wiener Wochenzeitung), deren erste Ausgabe dann am 27.9.1902 erschien (siehe oben); Wedekind hat später gelegentlich dort Beiträge veröffentlicht. in Contact zu bleiben. Seien Sie | nochmals
bedankt. Mit der Bitte, mich Ihrer verehrten Frau GemahlinGemma Bierbaum (geb. Pruneti-Lotti), Otto Julius Bierbaums zweite Ehefrau; die Heirat am 25.11.1901 in München war seinerzeit in der Presse angekündigt – „der Schriftsteller Herr Otto Julius Bierbaum hier mit der Privatière Fräulein Gemma Prunetti-Lotti in Berlin, Tochter des in Tavarnella (Italien) verstorbenen kgl. Advokaten und Gutsbesitzers Giuseppe Prunetti-Lotti“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 54, Nr. 541, 21.11.1901, Morgenblatt, S. 3] – und notiert: „Otto Julius Bierbaum [...] zeigt seine soeben in München vollzogene Vermählung mit Gemma, geb. Prunetti-Lotti an.“ [Hamburger Fremden-Blatt, Jg. 73, Nr. 282, 1.12.1901, 1. Beilage, S. (1)] zu
empfehlen und herzlichen Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.
29. August 1902