Kennung: 80

Rom, 11. Oktober 1892 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Donald (Doda)

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Rom 11. Oktober 1892


Lieber Bebi!

Fürs erste danke ich dir für die Pünktlichkeit, mit welcher du meine Aufträgevgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 26.9.1892. ausgerichtet hast. Die Schlüssel sind in meine Hände gelangt und noch am selben Tag wurde das Gepäck auf mein Zimmer befördert. Es war in vollständig gutem Zustand.

Nur ein zweites. Mit diesem Briefe geht der erste Theil meiner Arbeitvermutlich das nicht überlieferte Manuskript zu Donald Wedekinds Reisbeschreibung „Eine Auswandererfahrt“ (1894). an dich ab und ich bitte dich, wenn du Zeit hast, dieselbe einmal durchzusehen. Findest du sie einer Correctur würdig und ist eine solche von Nöten, so bitte ich dich dieselbe zu vollziehen. Wenn es auch nicht in den nächsten Tagen möglich ist, so doch in den nächsten Wochen. Sollte es dir aber unmöglich sein eine Correctur vorzunehmen, sei es des Mangels an Zeit, sei es der Minderwertigkeit der Arbeit wegen, was mich nicht wundern würde, da ich sie zum | großen Teil schon vor zwei Jahrenvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 24.9.1890. verfaßt habe, oder sei es deßwegen, daß die Arbeit keiner solchen bedarf, was ich indessen kaum glaube, so bitte ich dich das Manuskript sofort wieder zurückzusenden. Wenn du aber eine Correctur vornehmen willst, was ich dir immer verdanken werde, so tue es so bald wie möglich. Mein Urteil über die Arbeit ist natürlich ein gutes, abgesehen von einigen Passagen, die mich jetzt beim Durchlesen selber frappirten. Was den TitelOb das Manuskript einen anderen Titel trug als der publizierte Reisebricht, ist nicht bekannt. anlangt, so glaube ich, ist d/e/r nicht übel gewählt, nur etwas zu Vielversprechend. Ich h denke die Arbeit in der Zürcher ZeitungTatsächlich erschien Donald Wedekinds Reisebericht „Eine Auswandererfahrt“ nicht in der Neuen Zürcher Zeitung, sondern im Frühjahr 1894 in mehreren Teilen in der Beilage der „Züricher Post“ [Nr. 29 vom 4.2.1894, Nr. 36 vom 13.2.1894, Nr. 41 vom 18.2.1894, Nr. 47 vom 25.2.1894 und Nr. 53 vom 4.3.1894]. erscheinen zu lassen, solltest du aber einen bessern Vorschlag haben, so laß ihn mich wissen. Auch wirst du sagen, daß du mich in LenzburgFrank Wedekind war ab Mitte August 1892 von Paris aus für vier Wochen zu Besuch in Lenzburg, Bern und Genf und traf dabei Donald Wedekind. zur Correctur aufgefordert hast. Das ist wahr und ich scheute mich mit dir eine solche vorzunehmen, erstens weil ich mit der Abschrift noch nicht zu Ende war, zweitens aus der allgemeinen schlechten Laune, in der ich mich befand, und die mich bis hierher verfolgte und michr jede Bekanntschaft verleidet. Ich sehe es immer mehr ein, daß ich wirklich eine | Abneigung gegen Alles das habe, was die Menschen unter dem Begriff „Gesellschaftliches Leben“ zusammen greifen und ich lasse hier in Rom so sehr meinen Launen die Zügel schießen, daß ich mich tatsächlich bade in Weltschmerz, wobei ich mich unbedingt am besten befinde. Nicht daß ich keine Versuche mache mich in das Leben zu stürzen, aber alle dienen nur dazu mich meine Relation zu mir selber enger knüpfen zu lassen. Ich lese zum zweiten Mal die „BekenntnisseRousseaus“ und spiegle mich gewissermaßen, was eines meiner Hauptvergnügen ist. Du wirst mich vielleicht bedauern, du tätest Unrecht daran, aber du wirst vielleicht auch sagen „er ist ein Dummkopf“ und damit hättest du vielleicht mehr den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich könnte dir auch noch eine lange Auseinandersetzung schreiben, wie der SelbstmordDonald Wedekind erschoss sich am 5.6.1908 im Wiener Prater. mir unendlich nahe liegt und wie ich fühle, daß, wenn ich mich je tödten wollte, es so lange geschehen müßte, so lange ich noch in guten Verhältnissen lebe, nachher würde es mir unmöglich sein. Aber ich will dich verschonen. Kurz, du hast hier wieder eine Herzensergießung, die, mündlich, wahrscheinlich ganz auf etwas Andres | hinausgelaufen wäre, so aber zu diesem geworden ist.

TuheSchreibversehen, statt: Thue. mir den einen Gefallen und weise meine Bitte nicht schroff ab, zu was du nach meinem äußerlichen Benehmen schon das Recht hättest, es würde mich jetzt, da mir diese kleine DillettanterieSchreibversehen, statt: Dilettanterie (= Liebhaberei, Leidenschaft). meine Hauptunterhaltung bildet, allzusehr schmerzen. Der beste Beweis, daß eine Art zu verkehren, wie sie die meine in Lenzburg war, nicht das ist, was sie nach Außen scheint, ist, daß, sobald die Personen fern von mir sind, die Liebe in mir über jede andere Regung die Oberhand erhält und ich mir alle Vorwürfe mache. Also bitte, schreibe mir wenigstens einige Zeilen und nimm die Correctur, wenn eine solche nötig ist sobald wie möglich vor. Das nächste Mal über Rom. Ich wünsche dir den besten Erfolg zu deinen Arbeiten und bleibe dein treuer Bruder
Donald


Via della Frezza 65 p 2


[um 180 Grad gedreht:]

Die kleine, eingeflochtene Geschichtemöglicherweise die im Februar 1890 von Donald Wedekind an seinen Bruder geschickte Geschichte [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 7.2.1890], bei der es sich um die in Kalifornien spielende Erzählung „Der Kandidat am goldenen Thor“ gehandelt haben dürfte, die später in Donald Wedekinds erstem Band mit Erzählungen, „Das rote Röckchen“ (Berlin 1894), erschien. Die Protagonistin trägt dort den Namen Lilly. besitzt du schon in einem Exemplar. Das beigefügte Papier dient zur Correctur. Das überflüssige steht zu deinen Diensten. Ich änderte in der Skizze den Namen und ersetzte ihn durch Ida, der mir recht gefällt, indessen läßt sich das ja leicht ändern. Du wirst zugestehen, daß gewisse Punkte äußerst drollig sind. Es sollte mich sehr freuen, wenn du einigermaßen befriedigt wärest. D. treuer Bruder Donald.


Der II. Teil beträgt ungefähr ebenso viel, ist aber noch nicht beendet.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 13,5 x 27,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf Seite 3 wurde von fremder Hand mit rotem Buntstift das Wort „Weltschmerz“ mehrfach unterstrichen und am linken Seitenrand eine mehrfache Anstreichung (von „und damit hättest“ bis „es so lange“) vorgenommen; desgleichen auf Seite 4 (von „Recht hättest“ bis „wie sie die“).

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Rom
    11. Oktober 1892 (Dienstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Rom
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Paris
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 304
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Donald (Doda) Wedekind an Frank Wedekind, 11.10.1892. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (03.12.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

07.09.2023 09:48