München, 12.VII.1901.
Lieber Herr Zickel!
Was Sie mir über Verlag Langen schreibenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Martin Zickel an Wedekind, 11.7.1901. Martin Zickel dürfte den Albert Langen Verlag um ein Exemplar der Buchausgabe des „Marquis von Keith“ (1901) gebeten haben, die Sendung war offenbar aber noch nicht bei ihm eingegangen. Martin Zickel inszenierte die Uraufführung des Stücks am 11.10.1901 am Berliner Residenztheater [vgl. KSA 4, S. 533], wo er als Regisseur tätig war [vgl. Neuer Theater Almanach 1902, S. 251]., kann mich nicht
überraschen. Ich werde die Versendung von Marquis v. Keith sofort veranlassen.
Bierbaum ist zur Zeit in der SchweizOtto Julius Bierbaum, mit Wedekind befreundeter Schriftsteller in München (Gernerstraße 4) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1901, Teil I, S. 50], verbrachte den Sommer an wechselnden Orten in der Schweiz (durch Briefe an Dritte nachvollziehbar); so hielt er sich am 18. und 19.7.1901 gerade in St. Jon im Engadin auf, schrieb Gemma Pruneti-Lotti am 25.7.1901 aus Vulpera [vgl. Otto Julius Bierbaum: Briefe an Gemma. München 1921, S. 23f., 18], wo er sich auch am 3.8.1901 (Brief an Officin W. Drugulin [Bayerische Staatsbibliothek, Autogr. Bierbaum, Otto Julius]) noch aufhielt; am 7.8.1901 war er in Ragaz in der Ostschweiz (an Gemma Pruneti-Lotti), dann in Zürich – „Otto Julius Bierbaum weilt gegenwärtig für einige Tage in Zürich und wohnt im Hotel Bellevue“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 122, Nr. 219, 9.8.1901, 1. Abendblatt, S. (2)] – und schließlich in Rigi First in der Zentralschweiz, von wo aus er Wedekind schrieb [vgl. Otto Julius Bierbaum an Wedekind, 19.8.1901]. Otto Julius Bierbaum kam am 5.9.1901 (Brief an Gemma Pruneti-Lotti) zurück nach München., ich habe ihn seit meiner RückkehrWedekind war Mitte Juni 1901 „einige Tage“ [Wedekind an Carl Heine, 7.8.1901] in Berlin, wobei unklar ist, wann genau er zurück in München war (und auch, wann er in Berlin eingetroffen ist). nicht
wieder gesehen. Vielleicht erinnern Sie sich der bei uns mitwirkenden
Künstlerin Marie Delvart. Diese Delvart hat soeben bei Wolzogen in Darmstadt
In der Münchner Presse war mitgeteilt: „In der Zeit vom 9. bis 11. Juli tritt Marya Delvard bei Wolzogens Buntem Theater in Darmstadt als Gast von den Elf Scharfrichtern auf.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 54, Nr. 310, 7.7.1901, S. 2] Die Darmstädter Presse hatte zum Gastspiel von Ernst von Wolzogens Buntem Theater (Überbrettl) vom 9. bis 11.7.1901 in Darmstadt angekündigt: „Die Leitung der Ausstellung der Künstler-Kolonie teilt uns mit, daß am 9., 10. und 11. Juli Herr v. Wolzogen mit seinem ‚Überbrettl‘ im Spielhause der Ausstellung gastieren wird. Das Gastspiel des ‚Bunten Theaters‘ wird ein sehr mannigfaches Repertoire umfassen.“ [Darmstädter Tagblatt, Jg. 164, Nr. 151, 1.7.1901, S. 3910] Ernst von Wolzogen gastierte mit seinem Bunten Theater (Überbrettl) im Rahmen der am 15.5.1901 eröffneten ersten Ausstellung der Darmstädter Künstlerkolonie in einem von Joseph Maria Olbrich entworfenen Gebäude, „in der wunderlich stilisierten Olbrichschen ‚violetten Kunstkiste‘“ [Ernst von Wolzogen: Wie ich mich ums Leben brachte. Erinnerungen und Erfahrungen. Braunschweig, Hamburg 1922, S. 258].gastirt, und zwar mit dem Erfolg, daß Sie von der Presse als beste Nummer des
Abends erwähnt wurde. Wolzogen wollte sie engagiren, seine ganze Kunst und
Gesellschaft mißfiel ihr aber in so hohem Grade, daß sie seinen Antrag kurzweg
ausschlugDas hat dann auch die Presse berichtet: „Frl. Marya Delvard ist von einem äußerst erfolgreichen Gastspiel bei Herrn v. Wolzogens Buntem Theater zurückgekehrt und [...] hat einen glänzenden Engagementsantrag des Herrn v. Wolzogen abgelehnt und bleibt auch für die nächste Saison den Elf Scharfrichtern erhalten.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 54, Nr. 322, 14.7.1901, S. 3]. Sie singt heute wieder bei uns. Wie ich nun die Sache objectiv
ansehe, glaube ich, daß sie in Berlin sehr gut wirken würde. Vielleicht sichern
Sie sich die Dame auf ein oder zwei Monate. Zu Beginn der Saison werden die
Scharfrichter sie hier nicht fortlassen. Aber für später würde sie, glaube ich,
ganz gern einmal nach Berlin kommen. Sie singt hauptsächlich Compositionen von
Hans Richard. Adresse: Frl. Maria Delvart. 11. Scharfrichter, Türkenstraße,
München.
Nächster Tage erhalten Sie einen Pack von meinen GedichtenWedekind sandte diese Gedichte erst Wochen später [vgl. Wedekind an Martin Zickel, 6.8.1901].
mit der Bitte, sie dem Censor vorlegen zu wollen.
Von Neumann Hofer habe ich noch keinerlei Nachricht, habe
allerdings auch noch nicht geschrieben, werde ihn aber in diesen Tagen einmal
anfragen, wie die Sachen stehenDa die geplante Inszenierung des Einakters „Der Kammersänger“ (1899) am Berliner Lessingtheater (Direktion: Otto Neumann-Hofer) [vgl. Neuer Theater Almanach 1902, S. 248] sich verzögert hatte und Martin Zickel, Regisseur am Berliner Residenztheater (Direktion: Sigmund Lautenburg) [vgl. Neuer Theater Almanach 1902, S. 251], Interesse zeigte, wollte Wedekind den Vertrag mit dem Lessingtheater auflösen [vgl. Wedekind an Martin Zickel, 23.5.1901], was gelang. Die Premiere am Residenztheater fand am 31.8.1901 statt [vgl. KSA 4, S. 400].. Ich fürchte, sie stehen nicht gut für uns.
Aus dem Gesamtgastspiel der elf Scharfrichter ist nichts
gewordenDas Gastspiel der Elf Scharfrichter vom 19.7.1901 bis 3.8.1901, das nach Cannstatt bei Stuttgart, Darmstadt, Kreuznach und Ems führte, fand doch statt; die Presse meldete: „Die Elf Scharfrichter beschließen ihre heurige Saison mit der Vorstellung am morgigen Donnerstag. Am Samstag beginnt der Verein mit einem fünftägigem Gastspiel im kgl. Wilhelmatheater in Stuttgart-Cannstatt, an das sich voraussichtlich eine kurze Gastreise durch eine Reihe größerer deutscher Bäder anschließt.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 54, Nr. 328, 18.7.1901, Vorabendblatt, S. 2]. Wirdie Elf Scharfrichter, deren Ensemblemitglied Wedekind war. spielen hier noch bis zum 20.bis zum 20.7.1901, was dann aber nicht der Fall war. Die Presse kündigte den letzten Auftritt der Elf Scharfrichter in der laufenden Saison für den 18.7.1901 an (und den Beginn der nächsten Saison am 1.10.1901): „Die Elf Scharfrichter beschließen ihre heurige Saison mit der Vorstellung am morgigen Donnerstag. [...] Wie bereits berichtet, beginnt die Wintersaison der Scharfrichter am 1. Oktober.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 54, Nr. 328, 18.7.1901, Vorabendblatt, S. 2] Dann wird das Haus vergrößertSitz und Spielstätte des Münchner Kabaretts Die Elf Scharfrichter war ein ehemaliger Fechtboden im Hinterhaus der Gastwirtschaft Zum Goldenen Hirschen (Türkenstraße 28); die Presse kündigte die Sanierungsarbeiten nach dem 18.7.1901 bis zum Beginn der neuen Spielzeit am 1.10.1901 an: „Am 18. Juli tritt eine Pause ein, in der der Verein die beabsichtigen Verbesserungen und Vergrößerungen ausführen lassen wird, um am 1. Oktober [...] mit seinem bereits in Vorbereitung stehenden neuen Programm beginnen zu können.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 54, Nr. 322, 14.7.1901, S. 3], um
bessere Einnahmen zu ermöglichen.
Seien Sie herzlichst gegrüßt, lieber Herr Zickel. Auf
baldiges WiedersehenWedekind hat Martin Zickel im Juni in Berlin (siehe oben) gesehen. Ihr
Frank Wedekind.