[1. Briefentwurf mit Entwurf des Rahmens:]
Der Ein
ungalante Dichter
eine namhafte Schauspielerin vom Dresdener Hoftheater und Gattin des dortigen Dramaturgen Frau Hofrat Z. wanteSchreibversehen, statt: wandte. sich vor kurzem
an Frank Wedekind, mit der Bitte, Wedekinds um die Erlaubnis das Gedicht „Der Reisekoffer“ in einer literarischen
Matinee in Dresden öffentlich vortragen zu dürfen. Wedekind antwortete der Dame
umgehend folgendes: Sehr geehrte gnädige Frau Hofrat!
Sehr galant klingt
diese Zurückweisung klingt das gerade nicht. u/U/nd trotzdem wird die
Dame Herrn Wedekind für seine diese seine Ablehnung dankbar sein müssen, da sie
das viel weit viel
weniger als zweideutige Wedekindsche Gedicht „Der Reisekoffer“ offenbar gar
nicht verstanden hat. Sie wäre sonst schwerlich jemals auf den Gedanken
verfallen, es in einer literarischen Matiné zum besten zu geben.
[2a. Druck in den „Münchner Neuesten Nachrichten“:]
Wedekind und die
Dresdner. Ein angesehenes weibliches Mitglied des Dresdener Hoftheaters,
Gattin des dortigen Dramaturgen, wandte sich vor kurzemHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Hedwig Zeiß-Gasny an Wedekind, 21.8.1909. an Frank Wedekind mit
der Bitte um die Erlaubnis, das Gedicht „Der
Reisekoffer“ in einer literarischen Matinee in Dresden öffentlich vortragen
zu dürfen. Wedekind antwortete der Dame umgehend folgendes:
„Sehr geehrte gnädige
Frau HofratHedwig Zeiß (geb. Gasny), die mit ihrem Gatten, dem Hofrat und Hoftheaterdramaturgen Dr. phil. Karl Zeiß in Dresden (Kaiser Wilhelm-Platz 4) [vgl. Adreßbuch für Dresden 1910, Teil I, S. 1047] lebte, ehemals Hofschauspielerin in Dresden [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 355] und auf das Rollenfach der Naiven spezialisiert, gab in Dresden Leseabende, deren Erfolg die Presse vermerkte: „Frau Hofrat Hedwig Zeiß-Gasny, die seit ihrem Weggang von der Dresdner Hofbühne als Vortragskünstlerin mit glänzendem Erfolge aufgetreten ist“ [Dresdner Nachrichten, Jg. 54, Nr. 358, 27.12.1909, S. (3)].! Bei der uneingeschränkten Verachtung, die das Dresdener Hoftheater
seit 20 Jahrenseit 1889; das Dresdner Hoftheater (Generaldirektion seit 1894: Nikolaus von Seebach) hatte bis dahin kein einziges Stück Wedekinds inszeniert, von dem eine entsprechende Anfrage überliefert ist [vgl. Wedekind an Nikolaus von Seebach, 24.10.1894]. für meine gesamte dramatische Arbeit an den Tag legt, kann es unmöglich
in meinem Interesse liegen, dem Dresdener Publikum von einer Hofschauspielerin
durch den Vortrag von Gedichten wie ‚Der Reisekoffer‘Das zuerst in der Sammlung „Die Jahreszeiten“ (1897) veröffentlichte, für die Sammlung „Die vier Jahreszeiten“ (1905) überarbeitete Gedicht „Der Reisekoffer“ [KSA 1/I, S. 420f., 655f.] wurde als Beispiel für Wedekinds Humor rezipiert [vgl. KSA 1/II, S. 1274]. vorgeführt zu werden. Ich
glaube, dankbarere Aufgaben für Schlauspielerinnen geschaffen zu haben. Für
Ihre liebenswürdige Absicht, durch deren Ausführung Sie mir keine besondere
Ehrung erwiesen hätten, wie Sie vielleicht voraussetzten, sage ich Ihnen meinen
ergebensten Dank. Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochschätzung F. W.“
[2b. Druck im „Grazer Tagblatt“:]
(Der ungalante Wedekind.) Eine namhafte Schauspielerin vom Dresdener
Hoftheater und Gattin des dortigen Dramaturgen wandte sich vor kurzem an Frank
Wedekind mit der Bitte um die Erlaubnis, das Gedicht ‚Der Reisekoffer‘ in einer
literarischen Matinée in Dresden öffentlich vortragen zu dürfen. Wedekind antwortete
der Dame umgehend folgendes: „Sehr
geehrte gnädige Frau Hofrat! Bei der uneingeschränkten Verachtung, die das
Dresdener Hoftheater seit 20 Jahren für meine gesamte dramatische Arbeit an den
Tag legt, kann es unmöglich in meinem Interesse liegen, dem Dresdener Publikum
von einer Hofschauspielerin durch den Vortrag von Gedichten wie ‚Der
Reisekoffer‘ vorgeführt zu werden. Ich glaube, dankbarere Aufgaben für Schlauspielerinnen
geschaffen zu haben. Für Ihre liebenswürdige Absicht, durch deren Ausführung
Sie mir keine besondere Ehrung erwiesen hätten, wie Sie vielleicht
voraussetzten, sage ich Ihnen meinen ergebensten Dank. Mit dem Ausdrucke vorzüglichster
Hochschätzung F. W.“ Sehr galant klingt dies gerade nicht. Und doch wird
die Dame Herrn Wedekind für seine Ablehnung dankbar sein müssen, da sie das
viel weniger als zweideutige Wedekind’sche Gedicht „Der Reisekoffer“ offenbar
gar nicht verstanden hat. Die Frau Hofrat wäre sonst schwerlich jemals auf den
Gedanken verfallen, dieses Gedicht in einer literarischen Matinée zum besten zu
geben.
[2c. Druck in den „Dresdner Nachrichten“:]
Ein hochgeschätztes früheres Mitglied unseres Königl.
Schauspiels Frau Hofrat Gasny-Zeiß wandte sich vor kurzem an Frank Wedekind mit der Bitte um die
Erlaubnis, das Gedicht „Der Reisekoffer“ in einer literarischen Matinee in
Dresden öffentlich vortragen zu dürfen. Wedekind antwortete der Dame umgehend
folgendes:
„Sehr geehrte gnädige
Frau Hofrat! Bei der uneingeschränkten Verachtung, die das Dresdner Hoftheater
seit 20 Jahren für meine gesamte dramatische Arbeit an den Tag legt, kann es unmöglich
in meinem Interesse liegen, dem Dresdner Publikum von einer Hofschauspielerin
durch den Vortrag von Gedichten wie ‚Der Reisekoffer‘ vorgeführt zu werden. Ich
glaube, dankbarere Aufgaben für Schlauspielerinnen geschaffen zu haben. Für
Ihre liebenswürdige Absicht, durch deren Ausführung Sie mir keine besondere
Ehrung erwiesen hätten, wie Sie vielleicht voraussetzten, sage ich Ihnen meinen
ergebensten Dank. Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochschätzung F. W.“
Sehr galant klingt dies gerade nicht. Aber auch rein
sachlich hätte man von Herrn Frank Wedekind eine andere Begründung der
höflichen Bitte erwarten dürfen. Dem Dresdner Hoftheater wird wahrhaftig
niemand den Vorwurf literarischer Rückständigkeit machen können. Immerhin ist
es doch nicht verpflichtet, den literarischen Produktionen des Herrn Frank
Wedekind, die, ob mit, ob ohne Absicht des Verfassers – das sei dahingestellt,
zynisch und zersetzend wirken, seine Tore zu öffnen. Herr Wedekind scheint es
als eine Todsünde anzusehen, wenn deutsche Kunstinstitute in der Erwerbung von
„Frühlingserwachen“, „Erdgeist“, die „Büchse der Pandora“ keine ersprießliche
Bereicherung ihrer Spielpläne ersehen. Die Leitungen der deutschen Hoftheater
sind darin von absoluter Einmütigkeit, mit, soviel uns bekannt ist, der
Ausnahme des Stuttgarter Hoftheaters, das die Satire „Der Kammersänger“
brachte. Sehr weit geht schließlich Herr Wedekind, wenn er die aus dem
Verhalten einer Hofbühne von ihm gezogenen Konsequenzen auf die früheren Mitglieder
derselben ausdehnt.