Schloß Lenzburg 12 April 1891
Lieber Bebi!
Mit diesem Briefe wird eine Arbeitdas nicht überlieferte Manuskript zu der in der Buchdruckerei Gassmann, Sohn in Solothurn erschienenen Broschüre „Schloss Lenzburg in Geschichte und Sage“ (1891). von mir eintreffen,
die ich auf Mama’s
Veranlassung verfaßte und welche sie in Broschürenform drucken lassen will um sie während des Sommers zu
verkaufen. Da Mama und auch ich eine Korrektur der SacheFrank Wedekind übernahm die Korrektur, über die er seiner Mutter berichtete [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 18.4.1891]. von deiner Hand
wünschen, so bitte ich dich die Sa Arbeit sofort durchzusehen und nur
das Notwendigste zu ändern, damit mir womöglich eine 2. Abschrift erspart
bleibt. Ist dir keine Zeit gegeben, so sende das ManusskriptSchreibversehen, statt: Manuskript. umgehend an meine
Adresse nach Solothurn, da wir diesesfalls ohne Korrectur einen Druck vornehmen
werden. Immerhin wäre
ich dir dankbar, wenn du mir auch im letzteren Fall mitteilen wolltest ob die
Arbeit sich im Verkauf bewähren wird und man sich mit einem Druck nicht
bloßstellen wird, was zu beurteilen dir ja nicht schwer fallen wird kann. | Da die Sache nach der Ellemöglichst lang und breit. in aller Eile geschrieben ist,
kann man an den geistigen Inhalt keine Anforderungen machen und abstrahire ich
davon vollständig, was mich auch in Zweifel sein letzt läßt, ob ich
meinen Namen daraufsetzen soll. Ich glaube ich werde es tun. Auch hier wäre mir
ein Wink lieb. Die allzu langen Entwickelungen können kaum schaden, da dem Publikum
hauptsächlich eine gute Masse geboten werden mußte. Corrigirt oder nicht, sende
es immerhin sobald als möglich an meine Adresse in Solothurn, wennmöglich mit
einem Brief, behandelt der auch mein letztes Schreibenvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 2.4.1891. behandelt, über
dessen Motive ich allerdings durch eine klare, ruhige Auseinandersetzung mit
Mama beruhigt bin, z. Teil wenigstens und nur noch die gefährl. Manipulation gegenüber dem Ge. R. v. L.Emilie Wedekind lag seit über einem Jahr im Streit mit dem Gemeinderat von Lenzburg, der aus Sicherheitsgründen eine Ausbesserung oder den Abbruch der Schanze von Schloss Lenzburg auf ihre Kosten forderte, was sie verweigerte (siehe dazu auch die vorangegangene Korrespondenz).
fürchte, von dem du
auch hören wirst. Also bitte, bester Bebi, baldige Antwort.
Gestern haben Gustav und Sadi uns einen Besuch
abgestattet. Letzterer sieht sehr gut aus, wohlgenährt und scheint vollständig
getröstet zu sein über seine zu Wasser geSchreibversehen (Wortabbruch beim Seitenwechsel), statt: gewordene. | VerlobungKarl Henckell hatte sich im Juni 1890 mit Marie Felix verlobt [vgl. Karl Henckell und Marie Felix an Frank Wedekind, 30.6.1890] und die Verlobung im Frühjahr 1891 wieder gelöst.. Eine neue
GedichtsammlungKarl Henckells aktuelles Buch wurde bereits vom Verlag angekündigt: „In etwa 14 Tagen erscheint: Trutznachtigall. Eine Gedichtsammlung von Karl Henckell. Der Inhalt der Gedichtsammlung ist: Trutznachtigall – Glühende Gipfel, ein Maifestspiel. – Gründeutschland. – Gedichte. […] Der Verfasser gehört zu den sogen. ‚Neuen‘, zu dem ‚jüngsten Deutschland‘. Trotz heftigster Angriffe ist es Karl Henckell gelungen, durchzudringen, so daß die Kritik ihn als einen der ‚hervorragendsten und merkwürdigsten modernen Dichter‘ charakterisiert. Das kleine Bändchen ‚Trutznachtigall‘ wird zweifellos den Ruf des Dichters fester begründen. Bitte zu verlangen. Hochachtungsvoll Stuttgart, 6. April 1891. J. H. W. Dietz.“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 80, 9.4.1891, S. 2074] wird demnächst erscheinen. Außerdem hat er als Antwort auf eine
beißende Kritikvermutlich die in Donald Wedekinds letztem Brief erwähnte Kritik von Elimar Kusch (siehe dort). in der Z. P. ein komisches Zwiegespräch verfaßt, „Dichter und Kritiker“Karl Henckells Text erschien unter dem Titel „Dichter und Kritiker. Ein polemisches Gedicht. (1890)“ in seinem Band „Zwischenspiel“ [Zürich 1894, S. 169-179]. Eine vorherige Zeitungspublikation ließ sich nicht nachweisen.
das noch in einer Zeitung erscheinen wird. Wenn es mir in die Hände
fällt, werde ich es dir zusenden. Im übrigen ist Henckell immer noch der selbe süffissanteSchreibversehen, statt: süffisante, für: selbstgefällige, überhebliche.
Mensch, dessen Egoismus durch den guten Teil kindlicher Einfalt erträglich
gemacht wird. Nachdem er aufrichtige Freude des Wiedersehens bezeugte, verfiel
er in tiefes Schweigen. Donnerstag reist er nach Zürich, um dort seinen
Aufenthalt für den Sommer zu nehmen. Makay wird auch dorthin fo kommen.
Ich glaub wirklich du tätest nicht schlecht Zürich ebenfalls zum
Sommeraufenthalt zu wählen, da voraussichtlich eine bedeutende Gesellschaft
sich zusammenfinden wird. Mati läßt dir zu ihrem GeburtstagAm 7.4.1891 wurde Wedekinds Schwester Emilie (Mati) 15 Jahre alt. etwas schenken und bleibt
dir treu. Schreibe nur unverhohlnSchreibversehen, statt: unverholen. deine Meinung über meine Arbeit, verdamme sie
aber nicht zu leichtfertig als druckunfähig, bedenke den speculativenhier für: Gewinn beabsichtigenden. Zweck,
der freie Bewegung des Geistes ausschloß. Ich verbleibe dein treuer Bruder
Donald.