Kennung: 5606

Mayville, 15. Februar 1906 (Donnerstag), Brief

Autor*in

  • Ruedebusch, Emil Franklin

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

ESTABLISHED JUNE 1, 1853.

Officers
CHAS. RUEDEBUSCH, SR.
President.
E. F. RUEDEBUSCH,
Sec’y and Treasurer.
CHAS. GARLING,
Gen’l Manager.


OFFICE OF

THE CHAS. RUEDEBUSCH CO.,

Mayville, – – Wis.


INCORPORATED 1890.

Directors:
CHAS. GARLING.
E. F. RUEDEBUSCH.
H. A. MARTENS.
WM. HILLEN.
GEO. JANSSEN.


Mayville, Wis. den 15. Febr. 1906


Herrn Dr. Frank Wedekind
(Jetzige Adresse unbekannt)


Hochgeehrter Herr Doktor:

In der vorletzten Versammlung unserer Umwertungs-GesellschaftDie Revaluation Society in Mayville (Wisconsin, USA) war eine „Gesellschaft für Sexualreform [...], deren hauptsächlichster Zweck ist, eine gänzliche ‚Umwertung aller Werte‘ im Liebesleben und eine idealere Auffassung der Liebe herbeizuführen“ [Iwan Bloch: Das Sexualleben unserer Zeit in seinen Beziehungen zur modernen Kultur. Berlin 10. bis 12. Aufl. Berlin 1919, S. 286]. Dazu vernstaltete die Gesellschaft Diskussionsveranstaltungen und verfasste Rundbriefe. Der Sekretär Emil Franklin Ruedebusch war der Sohn des Präsidenten der Gesellschaft, Charles Ruedebusch, eines deutschen Auswanderers und Ladenbesitzers in Mayville. Von den übrigen im Briefkopf genannten Mitgliedern der Gesellschaft waren Charles Garling, Hermannn August Martens und Georg Janssen mit Emil Ruedebusch verschwägert. wurde der Beschluss gefasst, an eine Reihe der von uns besonders hoch geschaetzten Kuenstler und Schriftsteller Deutschlands unsere Kommunikationen zu senden. Der Beweggrund ist nicht etwa die Hoffnung, dort Mitglieder fuer unsere Gesellschaft zu gewinnen (wofuer die Aussicht wohl vorlaeufig noch sehr gering waere), sondern der Wunsch, den einen oder andern schliesslich so fuer unsere Sache zu interessieren und zu erwaermen, dass er sie in seinen Werken behandelt, sie z. B. zum Thema eines Romans, eines Dramas oder eines Essays macht. Wir empfinden es immer mehr, dass man zur Einfuehrung neuer Ideale der Kunst bedarf und unsere neue „Philosophie der Liebe“ und unsere neue Einschaetzung des SecuellenSchreibversehen, statt: Sexuellen. bieten dem Kuenstler ganz neue, zum mindesten interessante Gebiete.

Schon seit Jahren interessieren wir alle hier uns lebhaft fuer Ihre Werke. Es war daher gleich selbstverstaendlich, dass Ihr Name mit auf unsere Liste gesetzt wurde und es haette dazu garnicht der dringenden Empfehlung Helmar LerskisDer in der Schweiz aufgewachsene Helmar Lerski lebte seit 1893 in den USA und war Schauspieler an den Vereinigten Deutschen Theatern Milwaukee-Chicago, zu dem das Pabst-Theater in Milwaukee (Wisconsin) und das Powers Theater in Chicago (Illinois) gehörten [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 506]. Er publizierte 1905 gemeinsam mit Emil Ruedebusch den Aphorismen-Band „Lebt die Liebe!“ (s. u.). Wedekind hatte sich mit ihm am 2.10.1905 in Berlin geroffen: „Helmar Lerski kommt zu mir Verfasser von ‚Lebt die Liebe.‘“ [Tb] 1910 eröffnete er in Milwaukee ein Fotoatelier. bedurft. Ihr letztes Drama haben wir noch nicht gelesen, aber Helmar erzaehlte uns viel ueber „Hidalla“. --- Haben Sie Julius Harts lange „Kritik“ ueber uns in „Der Tag“ gelesen? Es ist uns einfach unerklaerlich, wie der Mann zu einer solch verrueckten Auffassung unserer Sache gelangt ist. Dass er sie in solcher Weise mit Ihrem DramaJulius Hart hatte Wedekinds Drama „Hidalla“ anlässlich der Berliner Aufführung am Kleinen Theater am 26.9.1905 ausführlich in der Zeitung „Der Tag“ (Nr. 482 und 483vom 29. und 30.9.1905) rezensiert [vgl. KSA 6, S. 482-487 und S. 557f.]. in Verbindung bringt, mag Ihnen auch wohl keine grosse Freude bereitet haben. -- Uebrigens wuerde das, was Ihrem Helden als IdealDie Figur des Karl Hetmann in Wedekinds Drama „Hidalla“ gibt als Zweck, des von im geführten „Internationalen Vereins zur Züchtung von Rassemenschen“, an: „Schönheit!“ [KSA 6, S. 54f.]. Dazu sind in dem Verein „ausschließlich Menschen von auffallender, allgemein bewunderter Schönheit“ versammelt, die „durch ein feierliches Gelübde auf das Recht, einander Bezeugungen ihrer Gunst zu verweigern“ [KSA 6, S. 56], verzichten müssen und somit „die bürgerlichen Gesetze über Ehe und Familie aufgehoben“ haben. Hetmann resümiert: „In der Liebe haben unsere Mitglieder keine Freiheit. Die Liebe ist ein Recht Aller an Alle und wer sich dagegen auflehnt, gehört dem Bunde nicht an.“ [KSA 6, S. 57]. vorschwebt, eine ganz selbstverstaendliche Folge unserer Einschaetzung des Sexuellen sein (s. einl. Komm.), ohne dass dafuer irgend ein Zwang von aussenDies monierte Julius Hart in seiner Kritik der Münchner Aufführung von „Hidalla“ an dem vorgetragenen Konzept des Vereins zur Züchtung von Rassemenschen: „Durch die Statuten ist jedes Mitglied verpflichet, dem andern auf dessen Wunsch hin mit seinem Körper dienstbar zu sein. Und da nur körperlich vollendete Individuen aufgenommen werden, können natürlich auch nur körperlich vollkommene Menschen, Rassemenschen, aus diesen Kreuz- und Querverbindungen hervorgehen. Das ist so klar, daß auch der kritischst veranlagte Zuchtwahltheoretiker beschämt vor der Wucht dieser Perspektive verstummen muß. Es wäre nämlich kleinlich, hier auf logische und psychologische Widersprüche hinzuweisen und etwa hervorzugheben, daß der Begriff des Rassemenschen als eines Trägers der höchsten individuellen Freiheit und Ungebundenheit sich schlecht verträgt mit der Aberkennung des Rechtes, über seinen eigenen Körper frei zu verfügen.“ [Hochland, Jg. 2, Bd. II, April 1905 – September 1905, S. 122] noetig waere. Fuer uns ist dies allerdings nicht das Hauptziel, aber im „Ideal“ ist es natuerlich mit eingeschlossen. ----

Wir bitten Sie nun freundlichst, diese Korrespondenzen nicht etwa als eine Aufforderung zur Einsendung von „Beitragsgeldern“ anzusehen. Unsere Vereinskasse ist gut gefuellt und wir beduerfen zwar recht dringend der intellektuellen, aber keiner finanziellen Hilfe von „drueben“.

Sollte Ihnen also irgend etwas daran gelegen sein, weiteres ueber uns, unsere Ideen und unsere Bestrebungen zu erfahren, so wird es fuer uns ein Vergnuegen sein, Ihnen in Zukunft alle Kommunikationen regelmaessig zuzuschicken. Die einfache diesbezueg|liche Benachrichtigung genuegt, um Ihnen die Zusendung zu sichern und Sie uebernehmen mit der Annahme derselben keinerlei Verpflichtungen.

Sollte hingegen unsere Sache Sie in keiner Weise interessieren, so bedarf diese Korrespondenz ja keiner Beachtung Ihrerseitz/s/ und die kleine Belaestigung werden Sie in diesem Falle wohl guetigst entschuldigen.

Ende Juni d. J. gedenke ich eine Europareise anzutreten (Deutschland, Schweiz, Paris & London). Hoffentlich bietet sich mir dabei auch eine Gelegenheit, Ihre persoenliche BekanntschaftEin Treffen mit Wedekind ist nicht belegt. zu machen, woran mir sehr viel gelegen waere, auch wenn Sie sich nicht fuer unsere Sache interessieren sollten.

Ha/o/chachtungsvoll zeichnet

Emil F. Ruedebusch


[Beilage:]


Revaluation Society      Communication No. 4:


Disc.: Dec. 17., Jan. 28. & Feb. 4.: „The RevaluatyionSchreibversehen, statt: Revaluation. of the Sexual“:

We are to „revalue“ all the established values in reference to the love- and sex-life of human beings, with the purpose of appreciating and encouraging all that which produces or promotes love (see our definition), -- and to depreciate and discourage everything which hinders or kills love. -- In doing so we arrive at the following conclusions in reference to the sexual:

1. We must value and appreciate the sexual instinct as a first-class producer and promoter of Love, deserving tender solicitude and careful cultivation.

2. „Sexual instinct“ means a great deal more than a longing for the sex-act, and the latter is by no means the only or the main thing in the enjoyment of sexual sympathy or affinity.

3. The idea, still cherished by many highly intelligent persons that the ideal „culture and refinement“ of the sexual instinct would be attained, when it leads but to one of the thousand millions of human beings, causing eternal love for this one, and eternal indifference towards all others, -- is one of the most ridiculous and most harmful aberrations of the human mind.

4. The most refined sexual instinct is that which causes the most love for the greatest number of persons.

5. That sexual instinct should be called „perverse“ and „unnatural“ which does not cause love.

6. Whereever the sexual instinct engenders the most love (i. e. genuine and lasting joy and delight in human beings) there is the least danger of morbid cravings or sexual excesses.

7. It is perfectly „natural“ for any normal human being to be conscious of a quite constant and very decided sexual sympathy for many, -- which may temporarily or periodically concentrate itself into the ardent exclusive desire for sexual intercourse with one particular human being.

8. It must be understood, however, that in very many cases this concentration is not a natural one, but simply the result of an absurd Love Ideal and an unreasonable valuation of the sex-act.

9. It is very necessary, therefore, to reduce the sex-act to its true value and its natural significance, and to give it its proper place in our conception of Love and of Love’s delights.

THE REVALUATION OF THE SEX-ACT:

10. As a procreative act it is indeed of immense importance, but it is a misleading folly to judge the sex-act in general by its significance in the exceptional cases (of comparatively very rare occurrence), in which it becomes a procreative act. |

11. As the gratification of a natural desire the sex-av/c/t may be necessary for a healthy and normal physical and spiritual development of in many cases where procreation would be out of the question or out of order.

12. Under healthy conditions and the reign of wise sex-ethics it may be conducive to love even where it means no more, and has no other motive, than the gratification of a natural desire.

13. The universally prevailing inclination to view it as the one great aim of love, -- as the real proof of love, -- as the main joy of love, -- and as the self-evident desire of love between a man and a woman, is a disastrous mistake which causes terrible conflicts, or is liable to kill much love in sexual excesses.

14. It is a generally conceded fact that what is now called friendship between two persons (which is love, if it is the genuine article) is strenghtened and intensified by every beautiful experience, enjoyed together in harmony. Hence, as the sex-act is one of the most intimate co-enjoyments possible between two persons, it will always be an important feature in many cases of love or friendship between a man and a woman; - 4ndSchreibversehen, für: and. every mutually satisfactory enjoyment of it, as well as the memory of such, should naturally have the tendency to raise the value of their friendly relation.

15. The sex-act may also be of considerable importance in some cases of fervent love between two beings as the necessary climax and the most pleasing and beneficient ending, of a temporary concentration of all love upon one human being, forming a beautiful transition from the blissful passion of fully reciprocated, absolutely exclusive love for one (dangerously enervating, if extended too long) --- to the serene joy of love for more, --- of love for many!

-X-

A correct valuation of the sex-act is of the utmost importance to reduce Jealousy in our circles to those feelings which would have an elevating and ennobling influence (See Comm. No. 1.)

So long as it is viewed in such an absolutely unreasonable manner as outlined in paragraph 10 & 13 (as is yet the case with the great majority of our most advanced thinkers), it will be but natural for the loving man or woman to be enraged and embittered by the beloved person’s desire for sexual intercourse with another (or but the thought or the possibility of such a desire). Without a reasonable view of the sex-act in its relation to love even the most perfect emancipation from the Old Love Ideal will not prevent Jealousy from showing itself in its most disgusting and most degrading form.


(See „Lebt die Liebe!eine gemeinsame Publikation von Emil F. Ruedebusch und Helmar Lerski [Lebt die Liebe! Aphorimsen. Zeichnung von Fidus. Schmargendorf-Berlin: Verlag Renaissance Otto Lehmann 1905]. Zuvor waren von Emil Ruedebusch zur gleichen Thematik bereits die Abhandlungen „Freie Menschen in Ehe und Liebe. Ein Versuch, die Menschen glücklicher und besser zu machen“ (Mayville 1895) und „The Old and the New Ideal. A Solution of that part of the Social Question which Pertains to Love, Marriage and Sexual Intercourse“ (Mayville 1896) erschienen sowie der Roman „Die Eigenen. Tendenz-Roman für freie Geister“ (Mit Buchschmuck von Fidus. Berlin: Johannes Räde 1903).Aph. 20, 23, 103, 110, 111, 144, 145, 148 & 149.)


[Übersetzung der Beilage:]


UMWERTUNGSGESELLSCHAFT               KOMMUNIKATION Nr. 4:


Diskussion: 17. Dezember, 28. Januar & 4. Februar: „Die Umwertung des Sexuellen“:

Wir müssen alle etablierten Wertvorstellungen in Bezug auf das Liebes- und Geschlechtsleben der Menschen „umwerten“, mit dem Zweck, alles anzuerkennen und zu unterstützen, was Liebe produziert oder fördert (siehe unsere Definition), -- und alles abzuwerten und von allem abzuraten, was Liebe hindert oder tötet. – Dabei gelangen wir hinsichtlich des Sexuellen zu folgednen Schlussfolgerungen:

1. Wir müssen den Sexualtrieb als erstklassigen Erzeuger und Förderer der Liebe wertschätzen und würdigen, der zärtliche Fürsorge und sorgfältige Pflege verdient.

2. „Sexualtrieb“ bedeutet sehr viel mehr als nur ein Verlangen nach dem Geschlechtsakt, und letzteres ist keineswegs das Einzige oder Wichtigste beim Genuss sexueller Sympathie oder Zuneigung.

3. Die noch heute von vielen hochintelligenten Menschen gehegte Vorstellung, die ideale „Kultur und Verfeinerung“ des Sexualtriebes sei erreicht, wenn er sich nur an einen der Milliarden Menschen richte und für diesen eine ewige Liebe und allen anderen gegenüber ewige Gleichgültigkeit begründe, -- ist eine der lächerlichsten und schädlichsten Verirrungen des menschlichen Geistes.

4. Der verdeltste Sexualtrieb ist derjenige, der die meiste Liebe für die größte Anzahl an Menschen bewirkt.

5. Als „pervers“ und „unnatürlich“ sollte jener Sexualtrieb bezeichnet werden, der keine Liebe hervorruft.

6. Dort, wo der Geschlechtstrieb die meiste Liebe (d. h. echte und bleibende Freude und Lust am Menschen) hervorbringt, besteht die geringste Gefahr krankhafter Gelüste und sexueller Exzesse.

7. Für jeden normalen Menschen ist es völlig „natürlich“, dass er sich einer ganz konstanten und sehr ausgeprägten sexuellen Sympathie für viele bewusst ist, -- die sich zeitweise oder periodisch in einem leidenschaftlichen, ausschließlichen Verlangen nach Geschlechtsverkehr mit einem bestimmten Menschen konzentrieren kann.

8. Man muss jedoch verstehen, dass diese Konzentration in sehr vielen Fällen nicht natürlich ist, sondern einfach das Ergebnis eines absurden Liebesideals und einer unangemessenen Bewertung des Geschlechtsakts.

9. Es ist daher äußerst wichtig, den Geschlechtsakt auf seinen wahren Wert und seine natürliche Bedeutung zu reduzieren und ihm seinen ihm gebührenden Platz in unserer Vorstellung von Liebe und den Freuden der Liebe einzuräumen.

DIE NEUBEWERTUNG DES GESCHLECHTSAKTES:

10. Als Fortpflanzungsakt ist er tatsächlich von immenser Bedeutung, aber es ist eine irreführende Torheit, den Geschlechtsakt im Allgemeinen nach seiner Bedeutung in den (verhältnismäßig sehr seltenen) Ausnahmefällen zu beurteilen, in denen er zu einem Fortpflanzungsakt wird.

11. Als Befriedigung eines natürlichen Verlangens kann der Sexualtrieb für eine gesunde und normale körperliche und geistige Entwicklung in vielen Fällen notwendig sein, in denen eine Fortpflanzung nicht in Frage kommt oder nicht angebracht wäre.

12. Unter gesunden Bedingungen und unter der Herrschaft einer weisen Sexualethik kann er der Liebe zuträglich sein, selbst dort, wo er nicht mehr bedeutet und kein anderes Motiv hat als die Befriedigung eines natürlichen Verlangens.

13. Die allgemein vorherrschende Neigung, darin das eine große Ziel der Liebe zu sehen, -- den wahren Beweis der Liebe, -- die größte Freude der Liebe -- und das selbstverständliche Verlangen nach Liebe zwischen Mann und Frau, ist ein verheerender Irrtum, der furchtbare Konflikte hervorruft oder dafür verantwortlich ist, in sexuellen Exzessen viel Liebe zu vernichten.

14. Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, dass das, was man heute Freundschaft zwischen zwei Personen nennt (was Liebe ist, wenn es die echte Sache ist), durch jedes schöne Erlebnis, das man gemeinsam in Harmonie genießt, gestärkt und intensiviert wird. Da der Geschlechtsakt also eine der intimsten gemeinsamen Freuden ist, die zwei Menschen erleben können, wird er in vielen Fällen der Liebe oder Freundschaft zwischen einem Mann und einer Frau immer ein wichtiger Aspekt sein; und jeder für beide Seiten befriedigende Genuss davon sowie die Erinnerung daran sollten natürlich dazu beitragen, den Wert ihrer freundschaftlichen Beziehung zu steigern.

15. In manchen Fällen leidenschaftlicher Liebe zwischen zwei Wesen kann der Geschlechtsakt auch von erheblicher Bedeutung sein, denn er stellt den notwendigen Höhepunkt und das angenehmste und wohltuendste Ende einer vorübergehenden Konzentration aller Liebe auf einen Menschen dar und bildet einen wunderschönen Übergang von der seligen Leidenschaft vollkommen erwiderter, absolut ausschließlicher Liebe zu einer Person (die bei zu langer Dauer gefährlich entkräftend wirkt) --- zur heiteren Freude der Liebe zu mehreren, --- der Liebe zu vielen!

-X-

Eine korrekte Bewertung des Geschlechtsaktes ist von größter Bedeutung, um die Eifersucht in unseren Kreisen auf jene Gefühle zu reduzieren, die einen erhebenden und veredelnden Einfluss haben würden (siehe Kommunikation Nr. 1).

Solange er auf eine derart unvernünftige Weise betrachtet wird, wie in Absatz 10 und 13 beschrieben (wie es bei der großen Mehrheit unserer fortschrittlichsten Denker noch der Fall ist), wird es für den liebenden Mann oder die liebende Frau nur natürlich sein, wütend und verbittert über den Wunsch der geliebten Person nach Geschlechtsverkehr mit einer anderen Person (oder nur den Gedanken oder die Möglichkeit eines solchen Wunsches) zu sein. Ohne eine vernünftige Betrachtung des Geschlechtsakts in seiner Beziehung zur Liebe wird selbst die vollkommenste Emanzipation vom alten Liebesideal nicht verhindern, dass Eifersucht sich in ihrer abstoßendsten und erniedrigendsten Form zeigt.


(Siehe „Lebt die Liebe!“ Aph. 20, 23, 103, 110, 111, 144, 145, 148 & 149.)

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Maschinenschrift.
Schreibwerkzeuge:
Schreibmaschine. Beilage: Kohlepapierdurchschlag.
Schriftträger:
Brief: Papier. 2 Blatt. 2 Seiten beschrieben. Seitenmaß 21,5 x 28 cm. Mit gedrucktem Briefkopf. Beilage: Papier. 2 Blatt. 2 Seiten beschrieben. Seitenmaß 20,5 x 26,5 cm. Alle Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Der gedruckte Briefkopf findet sich auf beiden Seiten des Breifes (hier nur einmal wiedergegeben). Im maschinenschriftlichen Brieftext wurden fehlende Buchstaben und Korrekturen mit Bleistift ergänzt.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Mayville
    15. Februar 1906 (Donnerstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Mayville
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 148
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Emil Franklin Ruedebusch an Frank Wedekind, 15.2.1906. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (03.12.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

08.11.2024 16:43