Zürich 6.IV. 88.
Lieber Papa,
wenn ich mich recht erinnere hast Du mir letzten Montag vor
acht Tagenam 26.3.1888. nichts positives versprochen, nachdem Du mir am Morgen erklärt
hattest, ich werde kein Geld mehrWie aus der vorangegangenen Korrespondenz hervorgeht [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 20.2.1888], hatte Friedrich Wilhelm Wedekind seinem Sohn von Oktober 1887 bis März 1888 für sechs Monate den Lebensunterhalt finanziert, damit er seiner schriftstellerischen Tätigkeit nachgehen konnte. von Dir erhalten. Als wir uns trennten sagtest Du, Du
werdest diese Woche wiederkommen. Dieselbe Versicherung brachte mir | dann auch
am Dienstagdem 3.4.1888. Carl Henkell und Armin, der erst gesternam 5.4.1888. zu mir kam. Du begreifst,
daß ich mich nun in großer Ungewißheit befinde, da ich meine beiden WirthinnenUnter Wedekinds Wohnadresse in der Schönbühlstraße 10 in Hottingen war die Witwe Meyer-Girsberger als Logisgeberin mit einer Pension verzeichnet [vgl. Adreßbuch für die Stadt Zürich 1889, Teil I, S. 213 und Teil II, S. 402], die sie möglicherweise zusammen mit ihrer Tochter betrieb.
von Tag zu Tag auf vertrösten muß und sie doch nicht mit Bestimmtheit
versichern kann, daß das Geld kommen werde.
Ich bitte um Entschuldigung. Es ist mir unmöglich
weiterzuschreiben. Ich habe dank diesem verfluchten Hundewetter das
schauderhafteste Zahnweh, nun schon seit drei Wochen mit wenigen
Unterbrechungen. | Ich bin schon mehrere Mal beim Zahnarzt gewesen aber es
fängt immer wieder wo anders an. Und ich kann mir doch nicht schließlich jeden
Tag einen Zahn reißen lassen.
Ich bitte dich nur um Gewißheit in wenigen Zeilen. Der Erste
ist zwar bald acht Tage vorbei aber meine Wirthinnen werden mit sich reden
lassen. Bin ich ja doch sogar letzten FrühlingZu diesem Zeitpunkt wohnte Wedekind allerdings noch in der Plattenstraße 35 in Fluntern, wahrscheinlich in der Pension von Marianne Ganz (geb. Döbeli) [vgl. Adreßbuch für die Stadt Zürich 1889, Teil I, S. 102 und Teil II, S. 402]; in die Schönbühlstraße 10 in Hottingen zog er im September 1887 um [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 121]., wo ich meine ReclamenWedekind war von November 1886 bis Anfang April 1887 als „Vorsteher des Reclame- und Preßbureaus“ [Wedekind an Jaroslav Kvapil, 24.4.1901] der Firma Maggi und Co. in Kemptthal bei Zürich fest angestellt und unter anderem für das Verfassen von Reklametexten und Annoncen zuständig. Nach Auflösung des Vertrags war er noch bis Juli 1887 auf Honorarbasis als Texter für Maggi tätig [vgl. Frank Wedekind an Julius Maggi & Co., 13.4.1887; Vinçon 1992, 121]. per Stück
verkaufte, ein pünktlicher Zahler gewesen. Wie gesagt, ich ersuche Dich nur um
bestimmte Auskunft, darüber damit ich | weiß ob ich mit gutem Gewissen
an meiner Arbeit bleiben darf oder mich wieder der hochedeln Reclameschreiberei
zuzuwenden habe.
Nochmals Verzeihung wegen der Unterbrechung. Mit herzlichem Gruß
Dein treuer Sohn
Franklin.
[Kuvert:]
Herrn Dr. Wedekind.
Schloss Lenzburg.
(Ct. Aargau)