Kennung: 5509

Schloss Lenzburg, 31. Januar 1886 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Friedrich Wilhelm

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Schloß Lenzburg, 31. Januar 1886.


Lieber Bebiinnerfamiliärer Kosename Frank Wedekinds.!

Anbei erfolgt ein CouvertDas beiliegende Kuvert ist nicht überliefert. mit drei Stück bayerischen Staatsschulden-Couponsdie Zinszahlungen aus festverzinsten Staatsanleihen., die schon am letzten 1. Juli fällig waren, von je M 40, nämlich Ser. 1991; No 49756; 49757 und 49758, also im Ganzen M 120 oder Fr. 150, die Du am besten sofort bei einer dortigen kgl. Casse in Markscheine umwechseln wirst, um damit Deine Ausgaben im Februar zu bestreiten.

Deinen l. Brief vom 25.vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 25.1.1886. Vermutlich nennt Wedekinds Vater hier das Datum des Postausgangsstempels, zugleich das wahrscheinliche Schreibdatum, da der Brief kein Tagesdatum trägt. d. habe ich erhalten und mit Interesse gelesen und nur bedauert, daß Deine Zähne Dir wieder soviel haben zu schaffen machen. Mir scheint Du sitzest zu viel im Hause und machst Dir zu wenig Bewegung oder erkältest Dir die Füße im nassen Schnee, welch’ letzteres die häufigste Ursache von Zahnweh ist. In einer der letzten Nummern der Leipziger Illustr. Zeitung sah ich drei AbbildungenDie beschriebenen Abbildungen ließen sich in der „Illustrirten Zeitung“ aus Leipzig nicht nachweisen, finden sich aber in der Wochenschrift „Ueber Land und Meer. Allgemeine Illustrierte Zeitschrift“, die in Stuttgart erschien. Die einseitige Abbildung ist in drei Bereiche untergliedert und trägt den Titel: „Münchens Eisbahnen. Originalzeichnung von G. Franz“, die Bildbereiche sind erläutert als: „1. Badenburg im Nymphenburger Schloßgarten; Schlittschuhbahn der Prinzen und Prinzessinnen etc. – 2. Kleinhessloher See im englischen Garten. – 3. Künstliche Eisbahn am Isarquai.“ [Ueber Land und Meer, Jg. 28. Bd. 55, Nr. 17 (24.1.1886), S. 380] von Münchener Eisbahnen: im Schloßgarten von Nymphenburg, dann in der Nähe der Isar und zuletzt auf einem Punkte inmitten der StadtIn dem zu der Abbildung gehörenden Text heißt es dazu: „Weniger aristokratisch ist seiner Anlage nach die Wörleinsche Eisbahn nächst der Isar, welche in der bessern Jahreszeit von den Radfahrern als Uebungsplatz und zu Wettfahrten benützt wird. Ihr ist auf unserem Bilde der weitaus größte Raum gewidmet und sie erfreut sich bei den in den südlichen Stadtteilen wohnenden Schlittschuhfahrern großer Beliebtheit.“ [Ueber Land und Meer, Jg. 28. Bd. 55, Nr. 17 (24.1.1886), S. 371] Die Wörleinsche Eisbahn befand sich in der Auenstraße bei der Wittelsbacherbrücke [vgl. Bayerischer Landbote, Jg. 57, Nr. 213, 21.9.1881, S. (3)]., anscheinend auf einer künstlichen Eisbahn. Auf letzterer tummelten sich die meisten Läufer herum, aber vergebens habe ich darunter nach Dir gesucht. Eine solche MotionBewegung. und Dein JägerhemdReformkleidung zum Unterziehen oder als Oberbekleidung, die nach den Ideen Gustav Jägers nur aus Wolle bestehen durfte. sollten Dich doch vor allen Anfechtungen seitens der winterlichen Witterung schützen. Schon in der ersten Woche d. Jahres hatten wir einigen Schnee, den aber schon nach zwei Tagen ein anhaltender Regensturm wieder fortspülte, seit dem 8. Januar aber bedeckt eine beträchtliche Schneedecke überall Berg und Thal, so daß man in den letzten Wochen fast nur noch Schlitten herumfahren sah. Mit Ausnahme von einer oder der andern Nacht, in welcher das Thermometer mal auf 6 – 7° Kälte fiel, stand dasselbe in der letzten Zeit nachts etwas unter und tags etwas über Null, bis zu 1 – 2 Grad, so daß wir am Tage, namentlich an sonnigen Stellen und unten in der Stadt im quatschigen Schnee herumwaten, dagegen frühmorgens vor den vielen mit Glatteis bedeckten Stellen auf unserer Hut sein müssen. | Eine rechte, andauernde Eisbahn ist diesen Winter gar nicht aufgekommen; bis Neujahr hatten wir kaum Frost u seitdem fror das Wasser nur ganz langsam, bedeckte sich das Eis mit Schnee oder überlief in der mittägigen Wärme gleich wieder mit Wasser. Solcher Weise war man hier nur 3 bis 4 Tage auf dem Eisweiher. – Gleich nach Neujahr fing ich an, ein InventarVon den Inventaren Friedrich Wilhelm Wedekinds überliefert ist der in Lenzburg ohne Jahresangabe erschienene „Gesammt-Katalog der Kunst- und Antiquitäten-Sammlungen von Dr. Fr. Wedekind auf Schloss Lenzburg (Ct. Aargau, Schweiz)“, klassifiziert nach I. Gemälde, II. Miniaturen, Glasbilder und Medaillons, III. Kupferstiche, Handzeichnungen, Aquarelle etc., IV. Elfenbein-, Holz- und Steinschnitzereien, V. Pfahlbauten- und römische Funde, Sonstige Antiquitäten auf insgesamt 15 Druckseiten. Das Bücherverzeichnis ist verschollen. von den Sachen von Dauer zu machen, die ich während der dreizehn Jahre unseres HierseinsFriedrich Wilhelm Wedekind hatte am 1.9.1872 Schloss Lenzburg gekauft und war am 20.9.1872 mit seiner Familie dort eingezogen [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 273]. gekauft, um neben dem alten, bei unserer Ankunft hier angefertigten, ein zweites zu haben, damit sie mir jeder Zeit zu Dienste stehen. Ebenso verfaßte ich auch einen Catalog der hier gekauften Bücher und habe beide Arbeiten gestern beendet. Fehlt nur noch der Münz-Catalog, der aber mehr Zeit beanspruchen wird. – Vorgesternam 29.1.1886. war ich in Zürich und feierte mit Hammi seinen 23sten Geburtstag, indem wir mittags im „ZimmerleutenDas Café Restaurant Zimmerleuten (Rathausquai 10) [vgl. Adreßbuch der Stadt Zürich 1886, Teil I, S. 338] im Zunfthaus zur Zimmerleuten. und abends im Bahnhof einige Stunden gemüthlich beisammen saßen. Von Vdem, was verschiedene Eurer Schulkameraden machen, wird dir der Dr. L. FröhlichLeopold Frölich aus Brugg, ein ehemaliger Mitschüler Armin Wedekinds, machte 1881 das Abitur an der Kantonsschule Aarau und studierte anschließend Medizin in Genf und wurde Psychiater. Er hatte Frank Wedekind kurz zuvor in München besucht [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 25.1.1886]. wohl erzählt haben. Gestern vor acht Tagenam Samstag, den 23.1.1886. war in Aarau das SchülerfestÜber den „Kantonsschüler-Abend“ berichtete die Presse: „Am letzten Samstag Abend ½ 8 Uhr vereinigte der geräumige Festsaal die Zöglinge der Kantonsschule und des Lehrerinnenseminars nebst der Großzahl des Lehrpersonals. Auch ein weiteres Publikum hatte Zutritt und hatte sich ziemlich zahlreich eingefunden. […] Der von einem Schüler ebenso schön verfaßte als vorgetragene Prolog erntete rauschenden Applaus, sowie auch alle übrigen Leistungen des Abends“ [Aargauer Nachrichten, Jg. 32, Nr. 20, 25.1.1886, S. (2)]. Das Programm des Abends war zuvor in der Presse annonciert worden [vgl. Aargauer Nachrichten, Jg. 32, Nr. 17, 21.1.1886, S. (4)]. Es war die dritte Veranstaltung dieser Art, bei der ersten im Jahr 1884 hatte Frank Wedekind den Prolog gehalten [vgl. Sauerländers Verlagsbuchhandlung an Wedekind, 13.2.1884]., bei welchem BlattnerHermann Blattner aus Brugg beuchte die Abschlussklasse des Aargauer Gymnasiums; Auszüge seines Prologs sind abgedruckt bei Hans Kaeslin: Schülerabend-Prologe. In: Aargauer Neujahrsblätter, Jg. 18, 1944, S. 31-32. aus Brugg einen sehr gelungenen Prolog sprach und Mieze den ersten Concerterfolg hatte, indem es in einer Recensiondie Zeitung ist in Deutschland archivalisch nicht verfügbar. des Aarauer Tagblattes, unterzeichnet A. N. (Nickle)Arnold Niggli, Stadtschreiber Aaraus und Musikkritiker. hieß: „und da ertönte aus dem Chor (in Gluck’s OrpheusErika Wedekind trat demnach zu dem Programmpunkt 7 der „Musikalisch-deklamatorischen Abend-Unterhaltung der Kantonsschüler“ auf: „Chöre und Soli aus Orpheus, von Gluck“ [Aargauer Nachrichten, Jg. 32, Nr. 17, 21.1.1886, S. (4)].) eine liebliche Stimme voll Wohllaut und Kraft, welche, wenn sie gehörig gehandhabt wird, später von sich hören machen wird.“ – Heute Nachmittag singt die Frau JoachimDie Opernsängerin Amalie Joachim, geb. Schneeweiß, bis 1884 verheiratet mit dem Geiger Joseph Joachim, trat regelmäßig als Konzert- und Liedersängerin auf. in einem Concertam 31.1.1886 um 15.30 Uhr im Musiksaal in Aarau gemeinsam mit der königlich sächsischen Kammervirtuosin Laura Rappoldi aus Dresden am Klavier; auf dem Programm standen Lieder von Schumann, Schubert, Brahms, Weber und Bohm sowie Klavierstücke von Mendelssohn, Henselt, Scarlatti, Drobisch, Liszt und Chopin [vgl. Aargauer Nachrichten, Jg. 32, Nr. 25, 30.1.1886, S. (4)]. Die Presse resümierte: „Das Conzert der Frau Joachim und Frau Rappoldi muß ohne Zweifel zu den bedeutendsten Erscheinungen und zu den unvergeßbaren Genüssen des hiesigen Konzertlebens gezählt werden.“ [Aargauer Nachrichten, Jg. 32, Nr. 27, 2.2.1886, S. (2)] im Aarauer Saalbau, welchem Mama und Mieze beiwohnen werden. – H. Landolt NiggDer Fabrikant und Sänger Karl Friedrich Landolt-Nigg war vier Jahre im Stadtrat von Aarau vertreten und hatte sich u. a. für den Festsaalbau und die Errichtung einer neuen Orgel eingesetzt. Er hat für „den Orgelbaufonds […] 5000 Fr., für den Saalbau 3000 Fr.“ persönlich beigesteuert. „ohne triftige Gründe und zur allgemeinen Verblüffung der Einwohnerschaft wurde Landolt bei der periodischen Neuwahl des Gemeinderathes bei 200 Stimmen Minderheit übergangen und nicht mehr in denselben gewählt.“ [Franz August Stocker: Karl Friedrich Landolt von Aarau. Ein Lebensbild. Basel 1887, S. 108] Der Fabrikant und Sänger Karl Friedrich Landolt-Nigg war vier Jahre im Stadtrat von Aarau vertreten und hatte sich u. a. für den Festsaalbau und die Errichtung einer neuen Orgel eingesetzt. Er hat für „den Orgelbaufonds […] 5000 Fr., für den Saalbau 3000 Fr.“ persönlich beigesteuert. „ohne triftige Gründe und zur allgemeinen Verblüffung der Einwohnerschaft wurde Landolt bei der periodischen Neuwahl des Gemeinderathes bei 200 Stimmen Minderheit übergangen und nicht mehr in denselben gewählt.“ [Franz August Stocker: Karl Friedrich Landolt von Aarau. Ein Lebensbild. Basel 1887, S. 108] singt nicht mehr, seitdem die Aarauer ihn nicht mehr zum Stadtrath gewählt haben, während er doch fr. 5000 zum SaalbauDer Festsaal des am 16.12.1883 eröffneten Saalbaus in Aarau fasste 650 Sitzplätze und 150 Plätze auf dem Podium, der kleine Saal 400 Sitzplätze [vgl. Oskar Bucher: 100 Jahre städtischer Saalbau Aarau. In: Aarauer Neujahrsblätter, Jg. 58, 1984, S. 24]. geschenkt und noch viel mehr dafür gesammelt hat; dagegen ist er seit zwei Monaten wieder verheirathetNach seiner Ehe mit Reine Nigg (seit 16.7.1855), die am 16.10.1883 gestorben war, heiratete Karl Friedrich Landolt am 24.11.1885 die verwitwete Barbara Salomea (Selma) Hirzel (geb. Thommen). mit einer ältern DameBarbara Salome (Selma) Thommen ging 1877 gemeinsam mit ihrer älteren Schwester nach Buenos Aires und heiratete dort am 8.7.1880 den Winterthurer Kaufmann Heinrich August Albert Hirzel, der am 28.10.1883 verstarb. Selma Hirzel war bereits am 11.5.1883 in die Schweiz zurückgekehrt [vgl. Franz August Stocker: Karl Friedrich Landolt von Aarau. Ein Lebensbild. Basel 1887, S. 180-182]., die 6 Jahre in Buenos-ayres war. – Willi wird noch etwa 2 Monate in SaronnoWilliam Wedekind besuchte seit Oktober 1885 das Institut von Prof. Giovanni Battista Torretta im italienischen Saronno: „In demselben wird jungen In- und Ausländern kaufmännischer und technischer Unterricht ertheilt. Nach gegenseitiger Uebereinkunft wird den jungen Leuten auch praktischer Unterricht in der italienischen, deutschen, französischen, russischen und englischen Sprache ertheilt. Außerdem steht das Institut im Rufe einer vorzüglichen Pension […] Prof. Dr. G. B. Torretta. Pensionspreis, Alles inbegriffen, monatlich Fr. 90.“ [Der Bund, Jg. 32, Nr. 227, 18.8.1881, S. (8)]. Später firmierte die Schule nur mehr als „Internationales Unterrichts-Institut Torretta, Saronno bei Mailand (in der Nähe der Eisenbahnstation), für Ausländer, welche die italienische Sprache in wenigen Monaten lernen wollen.“ [Der Bund, Jg. 39, Nr. 245, 4.9.1888, S. (6)] bleiben und hoffentlich dann irgendwo eine Stelle finden. Gelegentlich forsche doch mal nach dem Photographen Karl StürenburgDr. phil. Dietrich Karl Stürenburg besaß eine photographische Kunstanstalt in der Lindwurmstraße 69 in München [vgl. Adreßbuch von München 1886, Teil I, S. 523], „die er 1874 von dem Photographen und Chemiker Conrad Palm übernommen hatte. [...] Wilhelm Wedekind kannte die in Aurich bzw. Esens ansässige Stammfamilie Stürenburg.“ [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 93], der wahrscheinlich mit einem andern dort associiert ist; brauchst ihn nicht gleich zu besuchen, sondern schaue erst mal nach was er macht. Vergiß auch meinen Gruß nicht an den alten Professor Moritz WagnerDer Naturforscher Moritz Wagner (Maximilianstraße 21, 1. Stock links) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1885, Teil I, S. 548] war seit 1862 Honorarprofessor für Ethnographie und Geographie an der Universität München und Direktor der ethnographischen Sammlungen. Friedrich Wilhelm Wedekind hatte ihn während seines Türkeiaufenthalts am 1.10.1843 in Samsun kennengelernt [vgl. Friedrich Wilhelm Wedekind: Tagebuch 1835 – 1847. AfM Zürich, PN 169.1: 301].. Mit den besten Grüßen von uns allen, die wir uns ganz wohl befinden, ruft Dir ein freundliches „Gehab Dich wohl“ zu
Dein treuer Papa

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 1 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Rautiertes Papier. 21,5 x 27,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Schloss Lenzburg
    31. Januar 1886 (Sonntag)
    Sicher

  • Absendeort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefwechsel mit den Eltern 1868‒1915. Band 1: Briefe

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2021
Seitenangabe:
128-130
Briefnummer:
61
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 312
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Friedrich Wilhelm Wedekind an Frank Wedekind, 31.1.1886. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

17.10.2024 10:37