Grunewald, 27.11.12
Ach, lieber, verehrter Herr Wedekind, wie schlimm trifft
sich DasAbsage und Antwort auf die Einladung Wedekinds zur Uraufführung von „Franziska“ am 30.11.1912 nach München [vgl. Wedekind an Maximilian Harden, 24.11.1912].. Ich muß am 29tenMaximilian Hardens Vortrag „Der Balkankrieg“ fand am 29.11.1912 um 20 Uhr im großen Saal der Philharmonie (er bot etwa 2500 Personen Platz) in Berlin statt. „Er spendete den aufstrebenden Balkanvölkern großes Lob und beleuchtete sodann das Verhalten Rußlands, Frankreichs, Oesterreichs, Italiens und namentlich Englands gegenüber den Verwicklungen auf dem Balkan. Dann folgte eine Kritik des Verhaltens der deutschen Regierung“ [Harden über den Balkankampf. In: Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 611, 20.11.1912, Abend-Ausgabe, S. (3)]. hier in der Philharmonie schwatzen und
könnte es, leider, nicht erreichen. Es wäre schön gewesen; und ich hatte sehr
ernstlich mich darauf gefreut.
Wenn nur Sie Freude davon haben! Ich hoffe, mit einiger
Zuversicht. Können wirs später nicht auch hier machen? Nur vor künstlerisch
leidlich sauberen Leuten.
Es ist mir recht leid, daß ich nicht dabei sein kann, wenn
dieses Lieblingkind Ihnen zum ersten Mal leibhaftig ins Gesicht blickt.
Aufrichtig danke ich Ihnen dafür, daß Sie an mich dachten!
Haben Sie die Güte, mich der verehrten Frau zu empfehlen,
die neulich so geduldig das Türkentrauerlied anhörteTilly Wedekind hatte mit ihrem Mann am 15.11.1912 im Münchner Hotel Vier Jahreszeiten den 2½-stündigen Vortrag (Beginn: 20 Uhr) von Maximilian Harden über den Balkan-Krieg besucht (im ersten Balkankrieg, der sich im November 1912 zu einem europäischen Krieg auszuweiten drohte, erhoben sich die Balkanstaaten und besiegten die Türkei), in dem der Vortragende, der eine „von Aversion gegen die Türkei gefärbte Haltung“ [Martin 1996, S. 106] hatte, entsprechend geklagt haben dürfte. Wedekind notierte am 15.11.1912: „Mit Tilly in Hardenvortrag. Balkan“ [Tb]..
Herzlich der Ihre
Harden