Sehr verehrter Herr Harden!
auf nächsten Sonnabend, den 30.den 30.11.1912, an dem mit starker Presseresonanz [vgl. KSA 7/II, S. 1193-1207] in geschlossener Vorstellung die Uraufführung von „Franziska“ in den Münchner Kammerspielen (Direktion: Eugen Robert) stattfand, von der Presse angekündigt: „In der Uraufführung von Wedekinds modernem Mysterium ‚Franziska‘ spielt der Dichter den Veit Kunz, Frau Tilly Wedekind die Titelrolle.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 65, Nr. 601, 24.11.1912, Morgenblatt, S. 2] Hedwig Pringsheim notierte am 30.11.1912: „abends in die ‚Kammerspiele‘, wo vor geladenem Publikum die ungestrichene Première von Wedekinds Mysterium ‚Franziska‘ [...]. Tout Munich, trotz der hohen Preise, sehr elegant, viel Beifall für Wedekind u. seine Frau. Ende nach ½ 12!“ [Tb Pringsheim] Maximilian Harden berichtete sie am 23.12.1912: „Ich war in der sogenannten vor ,geladenem Publikum‘ gegebenen Première [...], bei der man pro Kopf 20 M. in den Haushalt Wedekind beisteuern durfte.“ [Neumann 2006, S. 122] ist die erste Aufführung von
„Franziska“ festgesetzt. Das Stück soll einmal in ungekürzter Form vor
geladenem Publikum gespielt werden. Die erste öffentliche Aufführung, für die
die Polizei sinnentstellende StricheDie Genehmigungsverfügung der Polizeidirektion München vom 3.12.1912 listet die Streichungen detailliert auf [vgl. KSA 7/II, S. 1192], wobei ein gestrichener Satz markant war, wie Hedwig Pringsheim am 23.12.1912 gegenüber Maximilian Harden bemerkte: „daß die Censur, die in unglaublicher, nie dagewesener Toleranz und fast sträflicher Liberalität die Auffürung selbst der heikelsten Scenen dieses ,Mysteriums‘ (weils kein Mensch versteht!) gestattet hatte, daß die Censur ihm einen Satz schließlich strich. Dieser Satz lautet, recht wedekindisch ,ich halte es immer noch für anständiger, zwei Väter zu einem Kind, als zwei Kinder von einem Vater zu haben.‘“ [Neumann 2006, S. 123] Dagegen notierte Wedekind am 3.12.1912: „Der 2. Akt fällt weg“ [Tb]. vorgenommen hat, soll Dienstag, den 3.
DezemberWedekind hielt am 3.12.1912 fest: „Erste öffentliche Vorstellung von Franziska. Der 2. Akt fällt weg“ [Tb], notierte dann aber am 5.12.1912: „Vorstellung von Franziska. Der 2. Akt wird gespielt.“ [Tb] stattfinden.
Wenn es nun, was ich mir nicht einzubilden wage, nicht nur ein
liebenswürdiger Scherz von Ihnen war, mir die Freude machen zu wollen, | der
Uraufführung beizuwohnen, dann erlauben Sie mir, Ihnen herzlichst zu danken und
Ihnen zu sagen, daß mir Ihre Gegenwart unschätzbar wäre, da Sie mir die größten
Beweise von Wohlwollen geben, die ich bisher empfing und mir Ihr Urtheil das
maßgebendste in Deutschland ist.
Zu meinem großen Bedauern kann ich Sie nicht bitten, in
unserer Wohnung abzusteigen, da wir kein Besuchszimmer haben. Wenn Ihre
freundliche Verkündigung, verehrter Herr Harden, also mehr als Scherz war und
die Politik, was ich sehr begreifen würde, Sie nicht an deren | Ausführung
hindert, dann darf ich Sie um kurze Mittheilung ersuchen, wieviel Plätze ich
für Sie reservieren darf.
Mit herzlichen Grüßen und Empfehlungen an Sie und Ihre
verehrte Frau Gemahlin von meiner Frau und mir
Ihr ergebener
Frank Wedekind.
München 24. November 1912.
Prinzregentenstraße 50.