Kennung: 533

München, 15. November 1908 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Harden, Maximilian

Inhalt

Hochverehrter Herr Harden!

Trotz des Ernstes der über uns waltet, kann ich meine Freude darüber nicht verbergen, Ihren Kampfplatzdie politische Öffentlichkeit in Deutschland. Wedekind setzt zwei innenpolitische Krisen in Beziehung zueinander: Nachdem das Image Wilhelms II. durch Maximilian Hardens Enthüllungen im Zuge der Eulenburg-Affäre beschädigt war, löste die „Daily-Telegraph“-Affäre eine Staatskrise aus. Der Londoner „Daily Telegraph“ hatte am 28.10.1908 ein Interview mit dem Kaiser über das deutsch-englische Verhältnis veröffentlicht, in dem Wilhelm II. erklärte, im Unterschied zum deutschen Volk hege er höchst freundschaftliche Gefühle für England. Sein ‚persönliches Regiment‘ löste in allen Parteien Empörung aus, die Affäre kam am 10. und 11.11.1908 im Reichstag zur Sprache und Harden griff seinen alten Gegner publizistisch massiv an. So eröffnete er am 7.11.1908 in der „Zukunft“ seine Artikel-Serie „Gegen den Kaiser“, die er am 14.11.1908 fortsetzte und in diesem Heft, auf das Wedekind sich offenbar bezieht, seinen Angriff mit zwei weiteren Artikeln ‒ „Monarchen-Erziehung“ und „König Phaeton“ ‒ zuspitzte. Diese Artikel in der „Zukunft“ trafen die öffentliche Stimmungslage und wirkten entsprechend. in so herrlicher Weise geändert zu sehen. Nachdem Sie den destruktiven Feldzug endgültig siegreichAnspielung auf die Eulenburg-Affäre mitsamt der nachfolgenden Prozesse Kuno von Moltkes gegen Maximilian Harden, deren letzter dieser gewann [vgl. Wedekind an Maximilian Harden, 29.10.1907]. beschlossen, stehen Sie mit einem Schlage plötzlich an der Spitze des Volkes, das um | seine politische Ehre ringt. Wohin dieses Ringen führt, ist wohl das tiefste geschichtliche Geheimnis, das es seit Beginn der französischen Revolution gegeben hat. Ob die Angelegenheit im Sand verläuft oder ob sie zu eine Katastrophe führt, die Folgen, scheint mir, werden gleich schwer und erschütternd sein. Aber Deutschland muß sich meiner Ansicht nach dazu Glück wünschen, daß jemand lebt, der nicht nur selber auf das Geschehene vorbereitet war, sondern auch Andere darauf vorbereitet hat, der in dem allgemeinen Chaos | seinen ruhigen Blick bewahrt. Wie uninteressant können die größten re/ge/schichtlichen Ereignisse sein, wenn keine Persönlichkeiten dabei in den Vordergrund treten. Ob der Weg, den Sie gehen in absehbarer Zeit zu einem Erfolg führen wird scheint mir eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit. Aber der einen Thatsache sind Sie doch jetzt wohl schon sicher, daß tausende und tausende von Menschen ihre Haltung bei Ihnen suchen und an Ihnen finden, Menschen, die Ihnen zeitlebens dafür dankbar bleiben werden, wenn Sie | es Ihn ihnen jetzt auch nur ermöglichen den Gang unserer Schicksale so zu sehen, wie er sich in wirklichkeit vollzieht.

Für Ihre liebenswürdigen Wortenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Maximilian Harden an Wedekind, 14.11.1908. Maximilian Harden dürfte zu einem Brief mit Beilage [vgl. Wedekind an Maximilian Harden, 17.10.1908] Stellung genommen haben, zum „Reinhardt-Tagebuch“ (siehe unten). in der Reinhardt-angelegenheitWedekind hatte Maximilian Harden sein sogenanntes „Reinhardt-Tagebuch“ geschickt [vgl. Wedekind an Maximilian Harden, 17.10.1908], um seine Auseinandersetzungen mit Max Reinhardt um die Auflösung seiner Verträge mit dem Deutschen Theater zu Berlin zu dokumentieren. meinen besten Dank. Die Sache ist für mich erledigt, ich will nichts von Reinhardt.

Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin bitte ich meiner Tilly und meine ergebensten Empfehlungen auszusprechen und verbleibe in ernster Erwartung
mit herzlichen Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.


15.11.8.

München, Prinzregentenstr. 50.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 12,5 x 18 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    15. November 1908 (Sonntag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Pharus V. Frank Wedekind, Thomas Mann, Heinrich Mann – Briefwechsel mit Maximilian Harden

Herausgeber:
Ariane Martin
Ort der Herausgabe:
Darmstadt
Verlag:
Verlag Jürgen Häusser
Jahrgang:
1996
Seitenangabe:
71-72
Briefnummer:
33
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Bundesarchiv Koblenz

Potsdamer Straße 1
56075 Koblenz
Deutschland

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Maximilian Harden
Signatur des Dokuments:
Nr. 109
Standort:
Bundesarchiv Koblenz (Koblenz)

Danksagung

Wir danken dem Bundesarchiv Koblenz für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Maximilian Harden, 15.11.1908. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

13.10.2023 17:59