Meine liebe Mama!
Empfang meinen herzlichen Dank für Deinen ausführlichen
lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank und Tilly Wedekind, 14.6.1910., über den Tilly und ich uns ungemein gefreut haben. Sowohl die
Schilderung deines Geburtsfestesam 8.5.1910. sowie die ausführlichen Nachrichten über |
Matis VerlobungEmilie (Mati) Wedekind hatte Anfang April ihrer Familie die Verlobung mit Eugène Perré, einem früheren Pensionsgast (1890/91) auf Schloss Lenzburg und inzwischen Nachfolger seines Vaters als Champagnerhändler in Neuilly-sur-Seine mitgeteilt und plante, die Verlobung am Geburtstag der Mutter in Lenzburg zu feiern (siehe die vorangegangene Korrespondenz). waren uns gleich interessant. Ich erhielt derweil einen sehr
lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Eugène Perré an Wedekind, 13.6.1910. von Eugène Perré in dem er uns zu seiner HochzeitDie Trauung von Emilie (Mati) Wedekind und Eugène Perré fand am 9.7.1910 in Neuilly-sur-Seine bei Paris statt. einlädt. Ich
habe ihm sofort gedankt und geschriebennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Eugène Perré, 15.6.1910. daß es uns zu unserem lebhaften
Bedauern nicht möglich sein dürfte, da wir gerade Anfang Juli in München spielenFrank und Tilly Wedekind spielten den kompletten Juli über einen Gastspielzyklus mit Stücken Wedekinds am Schauspielhaus München.
sollen. Ich | schickte den Brief an Eugènes Hotel in London und hoffe, daß er
ihn erhalten hat. Am ersten Juni haben sich derweil meine geschäftlichen
Confliktemit seinem Verleger Bruno Cassirer anlässlich des Verkaufs der Verlagsrechte an Wedekinds Werken. Mit deren Übernahme für 15.000 Mark durch den Verlag Georg Müller Anfang Juni war für Wedekind „das Geschäftliche erledigt“ [Wedekind an Maximilian Harden, 11.6.1910]. gelöst und zwar mit Hülfe von Maximilian HardenWedekind hatte vermutlich bereits am 3. und 4.4.1910 Maximilian Harden bei Besuchen von dem Konflikt berichtet [vgl. Tb] und sich dann später mit der Bitte um Unterstützung brieflich an ihn gewandt [vgl. Wedekind an Maximilian Harden, 23.4.1910], der sich daraufhin um Vermittlung bemühte (siehe die Korrespondenz zwischen Wedekind und Maximilian Harden). und Max LiebermannMaximilian Harden hatte Wedekind vorgeschlagen, Max Liebermann ebenfalls um Unterstützung in dem Konflikt mit Bruno Cassirer zu bitten [vgl. Maximilian Harden an Wedekind, 28.4.1910]. Wedekind wandte sich daraufhin brieflich an Liebermann, wie ein fragmentarisch überlieferter Briefentwurf belegt [vgl. Wedekind an Max Liebermann, 1.5.1910]. Wedekind hatte den Maler, der mit beiden Verlegern, Bruno und Paul Cassirer, befreundet und durch seine Veröffentlichungen geschäftlich verbunden war, dem Tagebuch zufolge am 4.4.1910 bei Paul Cassirer getroffen („bei Cassirer, wo ich Liebermann, Tuaillon und Slevogt treffe“) und ihn vermutlich bereits über den bestehenden Konflikt unterrichtet..
Besonders Harden bin ich in dieser Angelegenheit zu großem Dank verpflichtet.
Ich habe das auch in
einer kleinen SchriftIm ersten Abschnitt seiner Schrift „Schauspielkunst. Ein Glossarium“ gestand Wedekind unter der Überschrift „Maximilian Harden“ diesem zu, unter den Zeitgenossen „am meisten Herzenswärme, am meisten Leidenschaftlichkeit“ in „der ernsten Erörterung einer Kulturfrage“ [KSA 5/II, S. 363] zu besitzen und schloss mit den Worten: „Ihrer regsten Anteilnahme waren alle, die seit Jahren in Deutschland auf eigenen Wegen gingen, sicher. Um Sie zu werben, haben wir keinen Grund. Umsomehr erscheint es mir an der Zeit, Ihnen einmal zu danken.“ [KSA 5/II, S. 364] Wedekinds „Glossarium“ erschien am 18.6.1906 im Verlag Georg Müller: „Schauspielkunst […] im Handel.“ [Tb] ausgesprochen, die dieser Tage erscheinen wird. Sobald
ich Exem|plare davon habe, werde ich Dir eines zuschicken. Tilly und ich haben
diesen Frühling sehr viel studiert. Jetzt lernt sie meine LiederDem Tagebuch zufolge studierte Tilly Wedekind am 11., 14. und 16.6.1910 das Lied „Brigitte B.“ („Studiere mit Tilly Brigitte B.“; „Tilly übt Brigitte.“) sowie am 17.6.1910 „Mein Lieschen“ („Tilly übt Mein Lieschen“). An den folgenden Tagen übte sie sich im Singen, so am 18.und 19.6.1910 („Tilly nach Tisch Abends gesungen.“), am 20.6.1910 („Tilly gesungen.“) und am 21.6.1910 („Tilly singt nach Tisch.“). und BaladenSchreibversehen, statt: Balladen. singen
für einen Vortragsabendam 21.11.1910 für die Freie Literarische Gesellschaft Frankfurt am Main. Wedekind notierte in Frankfurt: „Ich treffe Roda Roda beim Frühstück Besichtigung des Saales. Diner im Hotel Nachmittags Probe im Saal. Vortrag. Tilly singt zum ersten Mal vor 1300 Personen.“ Die Presse schrieb: „Ganz bedenklich aber wurde die Sache, als die freundliche Herdflamme einer unscheinbaren Hauskunst als Cabaret-Stern leuchten wollte, als Frau Wedekind es unternahm, Chansons vorzutragen, Lieder aus den ‚Vier Jahreszeiten‘ ihres Gatten, bei denen er mit der Laute sorglich attestierte. Nur die Liebenswürdigkeit der Hörerschaft, die die sympathische Erscheinung der (als Schauspielerin nicht unbegabten) Dame den Mißerfolg nicht merken lassen wollte, half über diese Peinlichkeit hinweg…“ [Frankfurter Zeitung, Jg. 35, Nr. 323, 22.11.1910, 3. Morgenblatt, S. (1)]. Anfang Juni hatte Wedekind seinen Veranstaltungsagenten wegen des Vortrags aufgesucht: „Besuch bei Gutmann wegen Vortrag Roda.“ [Tb 7.6.1910]., den wir im Herbst mit Roda-Roda zusammen in Frankfurt
haben. Da wir in den letzten Monaten nicht spielten haben wir mit Annapamela viele Ausflüge gemacht meist
in das herrliche IsarthalIm Tagebuch dokumentiert sind Ausflüge nach Thalkirchen (24.4.1910), Menterschwaige (1.5.1910), Grosshesslohe (1., 5. und 31.5.1910 sowie 5.6.1910) sowie zur Konradshöhe bei Baierbrunn und nach Höllriegelskreuth (12.6.1910).. | Gesternam 15.6.1910. Wedekind notierte im Tagebuch: „Ausflug nach Bernried mit Tilly Anapamela, Frau Jenny Hypolit. Besuch bei Albu. Spaziergang im Park von Bernried.“ waren wir bei strömendem Regen auf dem
Starnbergersee.
Ich freue mich sehr, liebe Mama, daß es Dir gut geht und Du
vergnügt bist Grüße Mati vielmals von mir. Ich hoffe, daß wir uns im AugustTilly, Frank und Pamela Wedekind verbrachten den August vom 6.8.1910 bis zum 2.9.1910 in Lenzburg [vgl. Tb].
wiedersehen. Mit den herzlichsten Grüßen und besten Wünschen für Dich, liebe
Mama, und Mati
Dein treuer Sohn
Frank.
München 16.6.10.
Meine
liebe Mama, auch ich freute mich sehr über Deinen lieben, ausführlichen Brief,
über die interessanten und amüsanten Schilderungen. Ich bedauerte es sehr, bei
der Geburtstagsfeier nicht dabei gewesen zu sein. Dass Mati sobald heiratet,
freut mich sehr, und wenn wir auch bei der Hochzeit nicht dabei sein können,
(nächste WocheDie erste Probe für den Wedekind-Zyklus am Schauspielhaus München im Juli fand am 21.6.1910 statt: „Probe von S. ist d. Leben.“ [Tb] beginnen unsre Proben, da ist’s mit der Freiheit zu Ende) so hoffe
ich doch sehr, dass wir sie recht bald in Paris besuchenEugène Perré wohnte in Neuilly-sur-Seine, einem Vorort von Paris. Zu dem gemeinsamen Besuch kam es nicht. Wedekind reiste im Juli 1914 alleine nach Paris., und dann einige, |
schöne Tage miteinander verleben. Ich bekomme Anfang Juli, vielleicht auch
früher, wenn’s möglich ist, Besuch von meiner jüngern Schwester MarthaMartha Newes war dem Tagebuch zufolge vom 25.6.1910 („Tilly und Anapamela holen Martha vom Bahnhof ab“) bis zum 6.8.1910 („Martha fährt nach Insbruck“) zu Besuch in München.. Sie
soll während der Zeit unsers GastspielSchreibversehen, statt: Gastspiels. Anna Pamela behüten, mit ihr spazieren
gehen etz.,
denn ganz nur den MädchenDie wechselnden Kindermädchen der Wedekinds sind nicht identifiziert. überlassen will ich sie nicht. Und im August giebt es
dann ein frohes Wiedersehn in Lenzburg! Mieze hat mir kürzlich sehr lieb u.
ausführlich geschriebenDer Brief Erika Wedekinds an Tilly Wedekind ist nicht überliefert.. Wenn sich ihre Pläne nicht ändern, | dann werden wir
voraussichtlich zu gleicher Zeit in LenzburgErika Wedekind traf mit ihrer Tochter Eva Oschwald am 7.8.1910 während Frank und Tilly Wedekinds Lenzburg-Aufenthalt im Steinbrüchli ein: „Wir holen Mieze am Bahnhof ab.“ [Tb] Sie blieben bis zum 20.8.1910: „Mieze und Eva verreisen in aller Frühe.“ [Tb] sein, worüber ich mich sehr freue!
Anna Pamela wird glücklich sein, an Eva eine Spielgefährtin zu haben!
Hoffentlich ist es für Dich nicht unbequem, soviel Menschen auf einmal im Hause
zu haben. Ihr werdet jetzt wohl noch viel Arbeit mit der Ausstattung haben!
Grüß’ mir bitte mein liebes Mati recht herzlich. Wenn Du wieder Zeit hast, ich
freue mich unendlich über jede Nachricht von Dir.
Herzlichst umarmt u. küsst Dich
Deine Tilly u. Annapamela
[Kuvert:]
Frau
Dr. Emilie Wedekind
Lenzburg
Ct. Aargau
Schweiz.