Liebe Mama!
ich habe mir erlaubt, Dir einige Radierungen von KlingerAm 11.12.1907 notierte Wedekind im Tagebuch: „Klinger: Eine Liebe, gekauft.“ Dabei handelte es sich um die Mappe „Eine Liebe. Folge von zehn Blättern. Erfunden und radiert von Max Klinger“, von Klinger als Opus X bezeichnet und erstmals 1887 erschienen. Die Mappe enthält die Blätter: Widmung (An Arnold Böcklin), Begegnung, Am Thor, Kuss, Nacht, Intermezzo, Neue Träume, Erwachen, Schande, Tod. Die an Emilie Wedekind wohl parallel zum vorliegenden Brief verschickten Radierungen sind nicht überliefert. zu
schicken und bitte Dich, ein Zeichen darin zu erblicken, daß meine Tilly und
ich Dir aufs herzlichste für die Liebe, die Du ihr entgegengebracht hast,
dankbar sind. Dir und dem lieben | Mati wünsche ich recht vergnügte Feiertage.
Voraussichtlich werdet Ihr ja wieder lieben Besuch haben. In meiner großen
Freude lese ich aus deinem Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 11.12.1907. Emilie Wedekind hatte offenbar zu Pamela Wedekinds erstem Geburtstag (12.12.1907) geschrieben und ein Spielzeug geschickt. Möglicherweise war der Brief an Tilly Wedekind adressiert oder koadressiert. wie sehr gut Ihr
Euch diesen WinterEin Besuch Tilly Wedekinds in Lenzburg im Winter 1906/07 oder Ende 1907 ist nicht belegt. Emilie Wedekind war vom 7. und 8.1.1907 zu Besuch in Berlin [vgl. Tb]. Tilly Wedekind besuchte sie im September 1907 in Lenzburg: „Tilly fährt Abends 11 Uhr 15 mit Anna Pamela und der Amme nach Lenzburg“ [Tb 11.9.1907] und blieb dort bis Ende des Monats: „Tilly reist von Lenzburg nach Berlin.“ [Tb 30.9.1907]. in Lenzburg schon unterhalten habt. Und bei alledem hast Du
noch Zeit gefunden an Anna Pamela zu denken. | Ich danke Dir herzlich, liebe
Mama. Anna Pamela wird sicher großes Vergnügen an dem Brüderchenvermutlich ein Spielzeugpüppchen. haben.
Wir haben diesen Winter noch nicht viel gespielt. Mein
MarquisDie Premiere des „Marquis von Keith“ an den Berliner Kammerspielen (Direktion: Max Reinhardt) war am 9.11.1907. Wedekind spielte den Konsul Kasimir. ist wieder einmal durchgefallenDie Kritik urteilte über das Stück: „Als Dichtung ist es eisig kalt, als Handwerk schlecht gemacht, als Theaterstück schleppend […] In den Kammerspielen gibt man dem Stück im Prinzip das richtige Tempo. Man nimmt es mit Recht als Groteske; nur so ist es einigermaßen für die Bühne zu retten. Die schweren Dialoge werden elektrisiert, und die tödliche Monotonie, die in früheren Aufführungen von dem Dichter als dem Darsteller der Titelrolle ausging, hat nun einer starken Beschleunigung Platz gemacht. Herr Wedekind selbst, der nun den Konsul Kasimir spielt, kann mit seiner steifen Grandezza an diesem Gesamtwindruck nichts ändern.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 30, Nr. 573, 10.11.1907, Sonntags-Ausgabe, S. (3)] Über das Spiel von Tilly und Frank Wedekind hieß es an anderer Stelle: „Frau Tilly Wedekind, die an der Seite ihres Gatten auftrat, gab als Hermann Kasimir ein recht brauchbares Bildnis jugendlicher Unreife. […] Frank Wedekind führte uns den Konsul Kasimir vor und bewies, wie er dies als Schauspieler immer tut, daß die darstellerischen Fähigkeiten auch eines begabten Dichters jenseits der Grenze des Erlaubten liegen können – er war ein Stock, als er kam, ein Stock, wann er saß, ein Stock, wann er ging –.“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 101, Nr. 312, 10.11.1907, Morgen-Ausgabe, S. (3)] Und über die Publikumsreaktionen wurde berichtet: „Aus Berlin meldet man: Die Aufführung des ‚Marquis von Keith‘ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters ließ das Publikum in einem Zustand befremdeten Erstaunens zurück.“ [Dresdner Journal, Nr. 263, 11.11.1907, 1. Beilage, S. (1)], aber das schadet ihm nichts. Er hält
es aus. Die Hauptaufgabe kommt für uns erst im Monat Februar, wo Tilly und ich
voraussichtlich in Leipzig auftretenEin Gastspiel der Wedekinds in Leipzig fand 1908 nicht statt. werden. |
Ich
hoffe sehr, liebe Mama, nächsten SommerEin Besuch in der Schweiz fand im Sommer 1908 nicht statt. selber auch wieder in die Schweiz zu
kommen; anderfalls sind wir uns dann j/a/ber jedenfalls doch von München ausAm 2.10.1907 hatte sich Wedekind in München an das Maklerbüro „Lion & Cie. Wohnungsnachweisbureau und Immobilienvermittlung Kommanditgeschäft (Pers. haft. Gesellschafter Siegr. Lion) Briennerstraße 8“ [Adreßbuch für München 1907, Teil I, S. 312] gewandt [vgl. Tb], vermutlich mit dem Auftrag eine Wohnung zu suchen. Im April 1908 notierte er in München: „Wohnung gemietet Prinzregentenstraße 50.“ [Tb 18.4.1908] Der Umzug mit der Familie aus Berlin in die Wohnung im 3. Stock fand erst Anfang Oktober statt [vgl. Tb]. um zwölf Stunden näher, und ich glaube
auch, daß es Dich ganz außerordentlich interessiren würde, München kennen zu
lernen. Mati müßte zum Karneval kommen!
Nun
lebt wohl auf recht baldiges Wiedersehn! Recht fröhliche Feiertage und die
schönsten Grüße von TilleSchreibversehen, statt: Tilly. und eurem
Frank
19.12.7.
[Kuvert:]
Frau
Dr. Emilie Wedekind
Lenzburg.
Ct. Aargau Schweiz