Liebe Mama,
ich kann mit dem besten Willen nicht einsehen was du
Schreckliches an Matis PlanEmilie (Mati) Wedekind hatte nach ihrer Rückkehr von München und Pettighofen beschlossen, Schauspielerin zu werden, was in der Familie auf wenig Begeisterung stieß. Armin Wedekind vermutete dahinter Frank Wedekinds Einfluss und schrieb seiner Schwester: „Sollte mich das nicht im Innersten kränken, wenn ich sehe wie Du Dich in die Gesellschaft dieses Menschen begiebst der schon Donald zu Grunde gerichtet hat und der mit Donald zusammen den Ruhm geniesst, den Gipfel der Schweinelitteratur im deutschen Sprachgebiet zu repräsentiren. Wenn ich hören musst dass Du in München der Aufführung eines seiner Stücke beiwohnst, das nach der Aussage hiesiger Litteraturkenner das Schweinischste ist, was man auf der Bühne sehen kann. Es ist mir unbegreiflich wie Du dabei sein konntest, dass Du nicht davon gelaufen bist! Und nun soll ich ruhig zusehen, dass Du eine Laufbahn betrittst, die mehr als irgend eine andere geeignet ist Dich in den gleichen Sumpf zu ziehen.“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 160.5:102 (undatiert)] Darauf versicherte ihm Mati: „Mama hat wirklich ihr möglichstes getan, um mich von meinem Plane abzubringen. Du mußt ihr wirklich keine Vorwürfe über mein Tun und Lassen machen. […] und Franks Einfluß überschätzest Du wirklich auch. Er hat mit meinem Entschluß zur Bühne zu gehen nicht das geringste zu schaffen. Im Gegenteil sagte er mir, wenn ich je daran rührte, daß ich zu alt dazu sei.“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 160.5:103 (undatiert)] oder Entschluß findest. Ich bin fest überzeugt daß
du ihn vor zehn oder zwanzig Jahren sehr vernünftig gefunden hättest. Daß es dir jetzt
schwer fällt, dich hineinzufinden wäre schließlich be|greiflich, wenn Du nicht
selber Schauspielerin gewesen wärest und zwei Kinder beim TheaterWedekind meint sich selbst und seine Schwester Erika, die am Hoftheater Dresden als Sängerin engagiert war. hättest, die
sich sehr wol dabei befinden. Was kann Mati denn Schlimmes passieren. Kommt sie
vorwärts, dann soll es mich ungeheuer freuen. Ich fürchte nur sehr, daß sie zu
faul ist. Ich halte den Plan sogar für viel besser als wenn sie nach Dresden
ginge und noch einmal mit Studieren begänneArmin Wedekind hatte seiner Schwester geraten, wenigstens „1 – 2 Jahre vorbereitendes Studium“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 160.5:102] zu absolvieren, ein Plan, den Mati zunächst auch verfolgte, wie sie ihm am 12.8.1904 schrieb: „So werde ich denn voraussichtlich Mitte September nach Dresden verreisen um meine Studien dort aufzunehmen.“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 169.05:113] – vor Ort dann jedoch fallen ließ.. | Oder nimmst du an dem Rang des
Badener SommertheatersMati absolvierte verschiedene Auftritte im Sommertheater des Stadt- und Casinotheaters in Baden [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 22.7.1904] unter der Direktion von Heinrich Hagin, zugleich Direktor des Stadttheaters in Würzburg und der Sommertheater in Baden-Baden und Karlsruhe [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 266] und dessen Regisseur und Stellvertreter Max Engelhardt aus Würzburg [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Armin Wedekind (undatiert), AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 160.5:103]. Anstoß? Ich selbst werde im Juli am Sommertheater in
Tölz gastierenmit dem Einakter „Der Kammersänger“ am 15.7.1904: „Mittags 2 Uhr mit Frau Gerhäuser Langheinrich und Frau Rosenthal nach Tölz gefahren. Probe. Kammersängervorstellung. Eingenommen M. 50.“ [Tb] Die Spielzeit des Kurtheaters Bad Tölz (Direktion: Kurdirektor Freiherr von Wening) dauerte vom 5.6.1904 bis zum 11.9.1904, unter den Gästen waren Frank Wedekind und Ottilie Gerhäuser verzeichnet [vgl. Neuer Theater-Alamanch 1905, S. 580]. und zwar mit Ottilie Gerhäuser zusammen über deren künstlerische
Qualitäten Dir Mati berichten kannEmilie (Mati) Wedekind besuchte am 8.4.1904 eine Aufführung von Wedekinds Einakter „Der Kammersänger“ am Münchner Schauspielhaus [vgl. Tb] mit der dort engagierten Schauspielerin Ottilie Gerhäuser [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 441] in der Rolle der Frau Marowa [vgl. General Anzeiger der Münchner Neuesten Nachrichten, Nr. 165, 8.4.1904, S. (1)].. Das Sommertheater in Baden
steht aber ohne zweifel auf einer höheren Stufe als das in Bad Tölz. Was bleibt
also nun noch zu fürchten übrig! | Daß Mati ein Kind kriegt? Das wäre weiß Gott
nicht das Schlimmste für sie, denn dann hörte sie vielleicht endlich mal auf
eins zu sein.
Seid also Beide herzlichst gegrüßt und sag Mati daß ich mich
sehr darüber freuen werde wenn Sie esSchreibversehen, statt: wenn sie es. zu etwas bringt, sei es nun dies oder
jenes.
Mit den besten Grüßen
Dein getreuer Sohn
Frank.
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