Liebe Mama,
würdest du mir erlauben, dich wieder mit einer Besorgung zu
behelligen. Ich brauche zu einem notwendigen Geschenk einen kleinen
Handspiegel,Der Handspiegel war als Geburtstagsgeschenk für Beate Heine zu ihrem 40. Geburtstag am 31.10.1899 vorgesehen [vgl. Wedekind an Beate Heine, 2.11.1899 und Beate Heine an Wedekind, 5.11.1899]. Wedekind nahm hier irrtümlich ein falsches Geburtsdatum an. Emilie Wedekind delegierte den Auftrag an Walther Oschwald [vgl. Wedekind an Walther Oschwald, 31.10.1899]. ich denke ihn mir so in der Art wie Mieze einen von einer
amerikanischen Freundinnicht identifiziert. erhalten hat, in Leder, Elfenbein oder Ebenholz,
einfach, patent und geschmackvoll. Den Preis denke ich mir 10-15 Mark kann auch 20 sein. Der betreffende Geburtstag ist
am 5 November. Ich muß ihn dann noch verschicken. Außerdem bräuchte ich MomentanSchreibversehen, statt: momentan. höchstens vielleicht
ein halbes Pfund Thee. Sonst weiß ich nichts und | DankeSchreibversehen, statt: danke. dir im Voraus für die
Besorgung.
Vielleicht schreibst du mir auch wann Donalds und wann Miezes
GeburtstagDonald Wedekind hatte am 4.11.1871, Erika Wedekind am 13.11.1868 Geburtstag. ist; der eine ist am 4 und der andere am 13 aber welcher, das weiß
ich nicht. Donald hat
mir zum Geburtstag ins Gefängnis geschriebenDer Geburtstagsbrief ist nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Donald Wedekind an Frank Wedekind, 23.7.1899. und ich möchte dafür sorgen, daß
er sich an dem Tag wenigstens keinen Flüchen und Verwünschungen hingiebt. Ich
werde ihm 10. M.
schicken, vielleicht hättest du auch gerade so viel übrig um einem freundlichen
Glückwunsch etwas Plastikhier im Sinne von Form, Gestalt. zu geben. Aber ja nicht mehr! Solche unerwartete Kleinigkeiten im rechten
Moment wirken erzieherisch, krazenSchreibversehen, statt: kratzen. ihn auf | und fesseln ans Leben. Denn sein
Unglück ist nicht daß er kein Geld hat, sondern, daß er keinen Funken Lebensmut
mehr hat. Sein Geldmangel ist nur eins der SympthomeSchreibversehen, statt: Symptome. und nicht das schlimmste.
Solang man die Sache
als eine Geldfrage ansieht schadet man ihm. Ich möchte aber ebenso sehr von
jeder Sentimentalität abraten. Im Gegentheil: Vorderhand so wenig Worte wie
irgend möglich. Keine Moralpredigten. Sondern so thun als sei nichts
geschehn und alles in bester Ordnung. Die Moralpredigten muß er sich selber
halten, sonst nutzen sie nichts. Unserer moralischen Unterstützung aber und
dessen was man beim Reiten „Hülfen„Hilfen (Hülfen), Einwirkungen des Reiters auf sein Pferd mit Zaum, Schenkel etc.“ [Meyers Konversations-Lexikon. 5. Aufl. Bd. 8. Leipzig, Wien 1895, S. 805].“ nennt kann er nicht entbehren. Dazu steht es zu schlimm
mit ihm. Ich schreibe auch das mit seinem Geburtstag nicht aus Sentimentalität
| sondern nur um des praktischen Nutzens willen,
und bitte dich liebe Mama, also nicht darüber gekränkt zu sein, daß ich im
Strudel der/s/ Lebens Deinen Geburtstag unzählige Male vergessen habe.
Grüße Walther und Mieze aufs beste und sei herzlich gegrüßt und bedankt von deinem
treuen Sohn
Frank.
Festung. Königst.
27.X 99.
Über Deinen freundlichen BesuchEmilie Wedekind hatte zuletzt einen Besuch auf der Festung Königstein in Aussicht gestellt [vgl. Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 13.10.1899]. würde ich mich unendlich freuen,
ich bin aber momentan tief in der Arbeittief in der Arbeit] Wedekind nutzte die Haftzeit zur Umarbeitung seines Stücks „Der gefallene Teufel“ zum „Marquis von Keith“ [vgl. KSA 4, S. 413]. und der Winter ist ja noch lang. In
einigen Wochen werde ich mich freier fühlen und dann mit Freuden
darauf zurückkommen.