Paris
15.8.94.
45 rue Monsieur le Prince.
Liebe Mama,
jetzt komme ich auch noch an dich. Du wirst es erwartet haben.
Aber ich komme mit einer bescheidenen Bitte, so bescheiden wie es mir meine
Verhältnisse erlauben. Ich bitte dich, mir die Summe von frs
150 leihen zu wollen. Wenn ich nicht sehr viel verlieren willenSchreibversehen, statt: will., so | muß ich
noch 14 Tage hier in Paris bleiben. Für diese 14 Tage fehlt mir das Geld. Nach her
gehe ich nach BerlinWedekind verließ Paris erst im Januar 1895 und traf am 20.1.1895 in Berlin ein [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 169].. Das Geld für die Reise steht mir zur Verfügung.
Du hattest mich diesen Sommer so freundlich eingeladen. Ich
konnte mit gutem Gewissen nicht darauf eingehen, da ich mir jetzt keine Ruhe
gönnen darf.
Mieze und Donald haben mir schon einmal ausgeholfen. Du wirst
es von Hammie erfahren haben. Aber ich werde an Niemanden | zwei Mal
gelangen. Ich wende mich jetzt an dich weil du mir letzten Sommer für den
Nothfall deine Hülfe angeboten und weil du mir diesen Sommer eine Wohlthat zugedacht,
die ich nicht annehmen konnte.
Ich weiß, liebe Mama, wie du über mich denkst. Das macht es
mir sch nicht leicht, dich um das Darlehen zu bitten. Aber ich habe
erstens werthe Menschen genug um mich her, die besser von mir denken. Ich denke
auch besser von mir. Das giebt mir den moralischen Muth dich darum zu bitten. |
Wenn du mir den Gefallen erweisen willst, so thue es bitte
so rasch wie möglich, denn ich hätte nicht geschrieben, wenn ich nicht am
äußersten wäre. Darf ich dich dabei darum bitten, Hammi nichts davon sagen zu
wollen. Was die Übrigengemeint sind die übrigen Geschwister. betrifft so habe ich keine Geheimnisse vor ihnen.
Wenn du mir das Geld nicht leihen kannst, so schicke mir bitte
umgehend eine Carte. Ich rechne zuversichtlich darauf, daß du mich gleich
benachrichtigst, wenn es dir nicht möglich ist, mir zu helfen. Ich gebe dir im
Voraus die | Zusicherung, daß es in meinen Gefühlen Dir gegenüber nichts ändern
wird, indem ich immer von deinem besten Willen überzeugt bin.
Aus einem Brief von DodaGemeint ist vermutlich eine Postkarte von Donald Wedekind, auf der es nach den vorangegangenen brieflichen Mitteilungen über den schlechten Gesundheitszustand der Mutter nun hieß: „Mama geht es bedeutend besser.“ [Donald Wedekind an Frank Wedekind, 9.6.1895] erfahre ich daß es dir umvielesSchreibversehen, statt: um vieles. besser
geht. Ich habe mich herzlich darüber gefreut, daß du dir diesen Sommer endlich
auch einige Erholung gegönnt hast. Während du den Winter so krank warst hat
mich nichts von der Überzeugung abgebracht, daß nur die körperlichen und G/g/eistigen
| Entbehrungen, die du dir zugemuthet, Ursache der Krankheit waren. Die
Gefälligkeit um die ich dich jetzt bitte, ist eine Kleinigkeit. Den größten
Dienst wirst du mir immer damit erweisen, wenn Du dich selber geistig und
körperlich so frisch und gesund erhältst wie es dir irgendwie möglich wird.
Grüße mein liebes Mati vielmals und sei selber aufs
herzlichste
gegrüßt von deinem treuen Sohn
Frank.