Zürich-Ho. Wolfbach 5;
den 15. WeinmonatOktober 1888
Werther Freund,
Empfange die von Herzen kommenden
BeileidsaeußerungenWedekinds Vater Friedrich Wilhelm Wedekind war am 11.10.1888 gestorben. von ms
Fraunicht ermittelt. Reinhold Günther lebte mit ihr und einem kleinen Kind in nur einem Zimmer im Wolfbach 5. Sie besuchte Vorlesungen an der Universität, allerdings ohne immatrikuliert zu sein, und traf dort auf Ricarda Huch, die Reinhold Günther zur Vorbereitung auf die Fremdenmaturität im Januar 1887 unterrichtet hatte [vgl. Ricarda Huch: Du, mein Dämon, meine Schlnage…: Briefe an Richard Huch 1887–1897. Nach dem handschriftlichen Nachlaß hrsg. von Anne Gabrisch. Göttingen 1998, S. 642]. , ms Mutter und
mir. Ich habe den Verstorbenen zwar nicht gekannt doch weiß ich, daß er ein
braver Mann & liebevoller Vater war, der stets das Beste für seine Lieben
wollte.
Du wirst nun wohl nach diesem traurigen Ereigniß
Zürich verlassenWedekind ging nach dem Tod des Vaters zunächst zurück nach Lenzburg. u so werden sich unsere | Lebenswege vielleicht
für immer trennen. Ich bitte dich mir – trotz der Dir gegenüber begangenen Fehler – ein freundliches Gedenken bewahren zu
wollen. Glaubst Du irgend einmal mich nöthig zu haben, so wende Dich getrost an
mich, ich werde stets dein Freund sein; selbst wenn wir aeußerlich uns
fremd erscheinen.
Die LondolationSchreibversehen, statt: Condolation (= Beileidsbekundung). bitte ich dich, auch deiner Fr. Mutter, Frl. Schwestern &
Armin etc. ausdrücken zu wollen.
Stets dein getreuer
Reinhold GüntherReinhold Günther studierte seit dem Wintersemester 1885 Geschichte an der Universität Zürich [vgl. Matrikeledition der Universität Zürich 1833-1924, Nr.7361 (https://www.matrikel.uzh.ch/active/static/8218.htm; abgerufen am 24.11.2023)]. Seine Zulassung zur Universität hatte er am Institut Concordia in Zürich erworben, wo seine Mutter, die Schriftstellerin Julie Günther (geb. Engell), unterrichtete.