CLUB DER DEUTSCHEN
SCHRIFTSTELLER-GENOSSENSCHAFT
BERLIN W. 8,
KRONEN-STRASSE 61.
Lindenhotel, kleine Kirchstraße
15.12.96.
Liebe Mama,
Hartleben erzählt mir ebenOtto Erich Hartleben, Vorsitzender im Aufsichtsrat der Deutschen Schriftsteller-Genossenschaft [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1897, Teil I, Sp. 13], auf deren Briefpapier Wedekind den vorliegenden Brief geschrieben hat (siehe Briefkopf), war wegen der möglichen Aufführung von Stücken Wedekinds in Berlin seinerzeit mit ihm in engem Kontakt., daß er gestern an dich
geschriebenOtto Erich Hartlebens Brief an Emilie Wedekind vom 14.12.1896 ist nicht überliefert. hat. Ich weiß nicht was er geschrieben hat, aber wenn du mir nichts
schicken kannst, dann schreib mir das nur. Das giebt mir schon ein Mittel in
die Hand um das lumpichte Geld das mir jetzt im Augenblick fehlt, weil ich Tag
und Nacht nur an ein und dieselbe Sache denke, von jemand anders zu bekommen. |
Näheres kann ich dir unmöglich schreiben, da du mich nicht verstehst oder nicht
verstehen willst. Sobald es mit mir aufwärts geht, deutest du die Lage so, als
ging es abwärts mit mir und umgekehrt, indem du die Menschen nach nichts
anderem beurtheilst als nach dem Geld.
In acht oder vierzehn Tagen beginnen meine
schriftstellerischen Arbeite Einnahmen wieder. Ich schreibe dir diese
Zeilen mit dem vollen Bewußtsein, daß ich dadurch wieder klaftertief in Deiner
Achtung sinke, unter jeden Bäckergesellen und jeden Wein|reisendenVertreter (Handlungsreisender) für Wein.. Ich bin in
deinen Augen wieder um jede Ehre gekommen. Glücklicherweise hängt meine
öffentliche Ehre nicht von deinem Urtheil ab. Wenn du mir etwas Geld schickst
werde ich sogar die Unklugheit begehen, d. h. ich werde schamlos genug sein, es jedem zu
erzählen, der es hören will, von wem ich das Geld habe, ohne dabei zu
verschweigen, wieviel ich dir scho und Mieze schon schulde und wie wenig
du an eigenem Vermögen hast.
Eine so bodenlose Frechheit, die mich deinem Urtheil nach
der allgemeinen Verachtung preisgeben muß, wirst Du vielleicht einer
beginnenden | Geistesstörung zu gute halten. Aber solange berufenere
Autoritäten nicht an meinem gesunden Verstande zweifeln, kann mich auch in
dieser Hinsicht dein Urtheil nicht um meine Ruhe bringen.
Der Grund warum ich dir in dieser eigenartigen Weise
schreibe, sind die hartherzigen, geradezu gehässigen Zeilennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 7.10.1896. Es handelte sich offenbar um den Begleitbrief zu der Geldsendung von 100 Mark., mit denen du mich
vor zwei Monaten beglücktest. Du schienst mich darin für ein Stück Holz oder
ein Stück Vieh zu halten. Einem ähnlichen Begleitbrief möchte ich vorbeugen.
Übrigens wie du für gut findest. Ich bekomme solche Briefe wenigstens von
niemand anders. Die 100 Mk. von damals kann ich dir heute nun leider noch nicht zurückgeben. Für
die Mk 20.
meinen besten DankHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Geldsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 14.12.1896. – Frank Wedekind hatte in seinem letzten Brief bemerkt, seine Mutter hätte ihm wenigsten 20 Mark schicken können [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 13.12.1896], was sie dann offenbar sofort getan hat., d. h. ich ersterbe vor Dank dafür.
[am linken Rand, um 90
Grad gedreht:]
Mit den besten Grüßen und – aber jetzt aufrichtig, mit den herzlichsten
Wünschen für dein Wohl dein treuer Sohn Frank.
[Kuvert:]
CLUB DER DEUTSCHEN
SCHRIFTSTELLER-GENOSSENSCHAFT
BERLIN W. 8,
KRONEN-STRASSE 61.
Frau
Emilie Wedekind
Struvestrasse 34.
Dresden. |
Abs: Wedekind, Lindenhotel
Kl.
Kirchstrasse Berlin.