Kennung: 4891

München, 23. März 1910 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Piper, Reinhard

Inhalt

Sehr geehrter Herr Piper!

empfangen Sie meinen besten Dank für die Mittheilungnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Reinhard Piper an Wedekind, 22.3.1910. – Die Mitteilung steht im Zusammenhang mit Wedekinds Verlagsstreit mit Bruno Cassirer, mit dem er sich unter dem Stichwort „Contra Cassirer“ [vgl. KSA 5/III, S. 126-141; Vinçon 2014, S. 227-230] auseinandersetzte, was schließlich zum Verlagswechsel zu Georg Müller führte (Reinhard Pipers Geschäftspartner, mit dem er seinerzeit den Verlag R. Piper & Co. gegründet hatte und der nun den Georg Müller Verlag betrieb).. Ich werde natürlich gegen den Preis sowohl wie gegen da/i/es ungeschäftliche Verfahren sofort Protest einlegenWedekind dürfte das Typoskript, das im Nachlass des Verlags R. Piper & Co. dem Brief beiliegt, mit diesem Brief versandt haben; er hat sogleich einen offenen Brief [vgl. Wedekind an Verlagsbuchhändler, 23.3.1910] geschrieben, der weitgehend dem Wortlaut der maschinenschriftlichen Beilage zum vorliegenden Brief entspricht und im „Berliner Tageblatt“ abgedruckt wurde [vgl. Ein Wedekind-Dokument. In: Berliner Tageblatt, Jg. 39, Nr. 157, 29.3.1910, Abend-Ausgabe, S. (3)].. Mir hat Cassirer überhaupt gar nicht geantwortetWedekind hat die nicht überlieferte Antwort noch nicht erhalten; erschlossenes Korrespondenzstück: Bruno Cassirer an Wedekind, 23.3.1910.. Sollte ich auf meinen Protest hin etwas erfahren, dann werde ich mir erlauben, Sie darüber zu unterrichten.

Mit ergebensten Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.


Prinzregentenstraße 50

23.3.10.


[Beilage:]


Zu folgender öffentlicher Warnung halte ich mich nicht nur für berechtigt, sondern auch für verpflichtet:

In No 56Wedekinds Verleger Bruno Cassirer hat im Branchenblatt des Buchhandels folgende Annonce aufgegeben: „Ich beabsichtige, aus meinem Verlage sämtliche bei mir erschienenen Werke von / FRANK WEDEKIND / zu verkaufen. / Es handelt sich um die Dramen: / TOTENTANZ, 4te Aufl. / BÜCHSE DER PANDORA, 6te Aufl. / ZENSUR / SO IST DAS LEBEN, 2te Aufl. / OAHA, 2te Aufl. / FRÜHLINGS ERWACHEN, 24te Aufl. / DER KAMMERSÄNGER, 4te Aufl. / ERDGEIST, 7te Aufl. / MUSIK, 4te Aufl. / JUNGE WELT, 2te Aufl. / MARQUIS VON KEITH, 2te Aufl. / um den Gedichtband: VIER JAHRESZEITEN, 4te Aufl. / und die Erzählungen: FEUERWERK, 3te Aufl. / Ich bitte die Herren Kollegen, die sich für den Ankauf der Bücher Wedekinds mit allen Vorräten und Rechten für Neuauflagen interessieren, sich mit mir in Verbindung setzen zu wollen. / Hochachtungsvoll / BRUNO CASSIRER, VERLAG. BERLIN W., / Derfflingerstr. 16.“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 77, Nr. 56, 10.3.1910, S. 3079] des „Börsenblattes für den deutschen Buchhandel“ bietet der Verlag Bruno Cassirer in Berlin die Verlagsrechte und Büchervorräte meiner 20jährigen geistigen Produktion öffentlich zum Verkauf aus. Den Reflektanten, die sich nach dem Preis des ausgebotenen Objektes erkundigten, wurde von dem genannten Verlag eine nach dem Urteil von Sachverständigen aussergewöhnlich hohe Summe genannt. Um nun einen eventuellen Käufer vor sehr bedeutender materieller Schädigung zu bewahren, halte ich es für meine Pflicht, öffentlich bekannt zu geben, dass mich Herr Bruno Cassirer zu gleicher Zeit wegen Beleidigung verklagt hatDer Verleger Bruno Cassirer hat seinen Autor am 10.3.1910 wegen Beleidigung verklagt, worüber Wedekind wohl informiert [vgl. Amtsgericht Berlin-Mitte an Wedekind, 10.3.1910], die Klage ihm aber erst einige Tage später überstellt wurde, wie er am 24.3.1910 notierte: „Erhalte Klage von B. Cassirer vom 10 III.“ [Tb]. Erfolgt war diese Beleidigung, weil ich meinem wirtschaftlichen Ruin gegenüber stehe und diese Tatsache, ob mit Recht oder mit Unrecht, darf hier nicht erörtert werden, der Geschäftsführung des Verlages Bruno Cassirer zur Last lege. Sollte nun diese Beleidigung, was ich sehr wohl für möglich halte, eine längere Freiheitsstrafe und damit eine starke Beeinträchtigung meinerSchreibversehen, statt: meines. persönlichen Ansehens nach sich ziehen, so wäre damit natürlich eine ausserordentlich | starke Entwertung meiner bisherigen geistigen Produktion verbunden. Der Käufer, der in diesem Augenblick die materiellen Rechte an dieser Produktion zu einem hohen Preis erwirbt, hätte also eventuell zu gewärtigen, durch meine Verurteilung sein ganzes Geld zu verlieren. Als Autor halte ich mich für berechtigt, einem solchen Unheil, das aus dem Verkauf meiner Werke zu erwachsen droht, vorzubeugen. Je höher die Strafe ausfällt, zu der ich verurteilt werde, umso tiefer sinkt naturgemäss das vom Verlag Bruno Cassirer ausgebotene Kaufobjekt im Wert. Nach erfolgter Verurteilung hingegen könnte sich vielleicht die Frage ergeben, ob Herr Bruno Cassirer überhaupt noch der Verleger, d.h. der Bewahrer der wirtschaftlichen Interessen, eines Autors sein kann, von dem ihn offenkundige tiefbegründete Feindschaft scheidet, während anderseits keine Gefahr mehr vorhanden wäre, dass die erstandenen Rechte und Büchervorräte unerwarteter Weise einen grossen Teil ihres Wertes einbüssen. Daher ersuche ich alle diejenigen Herren Verlagsbuchhändler, die sich für meine Produktion interessieren, in ihrem eigenen Interesse, mit ihrem Angebot zu warten, bis die von Herrn Bruno Cassirer gegen mich erhobene Klage ihre gerichtliche ErledigungWedekinds Streit mit Bruno Cassirer wurde außergerichtlich beigelegt, es kam zu keinem Prozess. gefunden hat.

München, im März 1910.

Frank Wedekind.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Brief: Kurrent. Beilage: Maschinenschrift.
Schreibwerkzeuge:
Brief: Feder. Tinte. Beilage: Schreibmaschine.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11,5 x 18,5 cm. 2 Blatt, 1 Seite beschrieben. Beilage: Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 22,5 x 29 cm. 2 Blatt, 2 Seiten beschrieben.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    23. März 1910 (Mittwoch)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Deutsches Literaturarchiv Marbach

Schillerhöhe 8-10
71672 Marbach am Neckar
Deutschland

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
A: Piper, Reinhard Verlag
Signatur des Dokuments:
A: Piper, Reinhard Verlag 98.5
Standort:
Deutsches Literaturarchiv Marbach (Marbach am Neckar)

Danksagung

Wir danken dem Deutschen Literaturarchiv Marbach für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Reinhard Piper, 23.3.1910. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

08.11.2023 20:32