Geehrter HerrWilly Gretor, wie Artur Kutscher 1922 im Erstdruck vermutete [vgl. Kutscher 1, S. 281-283]. Fritz Strich, der den Briefentwurf 1924 zuerst nachdruckte, merkte dazu an: „Vermutung Kutschers, die sehr einleuchtet. [...] Gretor, ein genialer Abenteurer und Hochstapler, Maler, Dichter, Bilderfälscher und Kunsthändler. Wedekind wurde damals sein Sekretär.“ [GB 1, S. 354f.] Bei dem Briefentwurf dürfte es sich allerdings lediglich um das Konzept eines generellen Bittschreibens handeln, auf dessen Grundlage Wedekind dann einen spezifisch an Willy Gretor gerichteten Brief formulierte, der nicht überliefert ist.
Ich bin Journalist. Ich habe nachdem ich die Schule
verlassenWedekind verließ die Kantonsschule in Aarau nach dem Abitur im Frühjahr 1885. Artikel in ZeitungenWedekind veröffentlichte 1887/88 Feuilletonartikel in der „Neuen Zürcher Zeitung“. geschrieben. Eine kleine Erbschaftdie väterliche Erbschaft nach dem Tod des Vaters. erlaubte es
mir dann mich der freier/n/
literarischen Arbeit hinzugeben. Damit habe ich mir einen in den literarischen
Kreisen Deutschlands geschätzten Namen gemacht. Meine Mittel sind zu Ende ohne
daß ich noch von ihrem Ertrag leben kann. Ich habe seit drei Monatenseit etwa Mitte Juni 1894, als Wedekind aus London zurück wieder in Paris war. wieder
angefangen für Zeitungen zu schreiben, aber (Frankfurter Ztg. Berl. Tagbl.
Tägliche Rundschau) aber die Redactionen haben mir meine Artikel als
unverwendbar, zu subjectiv, zur/ab/gewiesenAbsagen der genannten Tageszeitungen („Frankfurter Zeitung“, „Berliner Tageblatt“ und die in Berlin erscheinende „Tägliche Rundschau“) mitsamt vorangehender Anfragen Wedekinds sind nicht überliefert. Wedekind hat allerdings Oscar Bie, seit dem Mai-Heft 1894 leitender Redakteur der „Neuen Deutschen Rundschau (Freie Bühne)“ im S. Fischer Verlag in Berlin, wie die 1890 gegründete „Freie Bühne“ im 5. Jahrgang 1894 nun hieß, zwei Prosaskizzen zur Veröffentlichung in der Zeitschrift angeboten [vgl. Wedekind an Oscar Bie, 6.8.1894] und vermutlich eine Absage erhalten.. Was ich seinerzeit ohne
Mühe | that muß ich erst wieder lernen. Und es wird mir gelingen, wenn ich noch
einen Monat Zeit habe, meine Anstrengungen fortzusetzen.
Ich habe versucht was mir in meiner Lage möglich war. Ich
bewarb michNäheres zu Wedekinds Bewerbungen in dieser Zeit ist nicht bekannt. um eine Stelle als Correspondent aber die Stellen sind besetzt. Ich
bot mich den großen Blättern Berlins an/ls/ Correspondent für CorreaSchreibversehen, statt: Korea. an.
Man hält die Situation für die Ausgabe nicht für wichtig genug. Ich war in sämmtlichen
Übersetzungsbureaus von Paris. In Folge der Ferien hat man keine Arbeit zu
vergeben.
Ich sehe vor mir die Unmöglichkeit zu arbeiten, die KrisesSchreibversehen, statt: Krisis.
die sich in meinem | Leben eingestellt zu überleben. Ich fürchte in einen
Abgrund zu fallen, aus dem es mir nicht mehr möglich sein wird mich
emporzuarbeiten.
Eine Summe von 200 frs würde mir erlauben meine SchuldenWedekind war in finanzieller Bedrängnis; er lieh sich nicht nur von seinen Geschwistern Geld, so von seiner Schwester Erika [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 8.8.1894], und bat auch seine Mutter darum [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 15.8.1894], sondern die „Not war so groß, daß er sich [...] sogar von der alten Herwegh Geld lieh!“ [Kutscher 1, S. 280] Erika Wedekind schuldete er noch Ende des folgenden Jahres 1.300 Francs, Donald Wedekind 1.400 Francs [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 22.12.1895], die mich
hindern zu Hause zu sein, zu bezahlen, und meinen Weg als anständiger Mensch
fortzusetzen. Ich huldige keinen Utopien. Ich habe kein anderes Ziel, als mir
eine geachtete Position in der Gesellschaft zu erringen.
Es wird mir nicht leicht, Sie um diese Hülfe zu bitten indem
ich mir sage, daß ich Aermeren unglücklicheren Aermeren als ich bin, die
Früchte Ihrer Großmuth raube. Aber ich besitze schließlich auch nichts auf
dieser Welt als mein | Leben, meine Begabung und meinen besten Willen.
Erlauben Sie mir, eine Bitte beizufügen: Wenn Ich
wäre glücklich, irgend eine Arbeit zu finden, die mir 200 frs
per Monat einbrächte. Es würde mir lei Ich sehe nur die Möglichkeit,
mir das unb Was man mehr braucht würde ich mir nebenbei avec facilité(frz.) mit Leichtigkeit. verdienen können. Ich
würde mit jeder Arbeit vorlieb nehmen. Ich spreche drei Sprachendeutsch, französisch, englisch. und es wäre
nicht das erste Mal daß ich in einem Bureau arbeiteWedekind hatte von Ende 1886 bis Frühjahr 1887 (bis Sommer 1887 freiberuflich weiter tätig) eine „Stelle als Vorsteher des Reklame- und Pressebüros der Firma Maggi & Co. in Kempttal bei Zürich.“ [Vinçon 1992, S. 254].
Es geschieht nur um meine Identität zu beweisen, wenn ich
mir erlaube, meiner Bitte eines meiner Bücher beizufügenDas als Beilage vorgesehene Buch ist nicht ermittelt..
Wenn Sie es für nöthig halten | mögen Sie mich zitirenherbeizitieren, vorladen. oder
mir einen meinerSchreibversehen, statt: Ihrer. Das deutet allerdings eher auf eine Firma (etwa ein Verlag), die Angestellte hat, weniger auf eine Privatperson wie Willy Gretor. Angestellten schicken.
Wenn Sie mir die Hülfe zukommen lassen wollen, so wage ich
nicht
Wenn ich Sie darum bitte so geschieht es in der festen Hoffnung mich meiner
Schulden ab/q/uittirenquitt sein, die Schulden los sein. zu können auf die eine oder andere Weise. Ich
gebe Wollen der Herr meine Zusicherung entgegennehmen, daß seine Wohlthat
nicht auf einen unfruchtbaren Boden fällt.
Ich bitte Sie nur um das eine mich nicht warten zu lassen,
denn meine Lage Ihre
Entscheidung ist
entscheidend.
En haut
dévouement(frz.) Mit großer Hingabe (Grußformel).
votre(frz.) Ihr.