Lieber Herr Wedekind,
ein sehr ernstzunehmender Kritikernicht identifiziert. schreibt mir: „Ich lese auf Plakatennicht ermittelt; das dort annoncierte Auftreten Wedekinds dürfte Werbeanzeigen in der Wiener Presse entsprochen haben, in denen für die „Musik- und Theater-Ausstellung“ in Wien – Veranstaltungsort: „k.k. Gartenbausäle, I. Parkring 12“ – angekündigt war: „Sensationelle Gastspiele: 8. und 9. Dezember. Frank Wedekind mit Frau und Ensemble ‚Totentanz‘ und ‚Kammersänger‘“ [Die Bombe. Insertionspresse, Nr. 48, 1.12.1907, S. (3)]., daß Wedekind
in der „Theater- und Musikausstellungdie Musik- und Theaterausstellung in Wien, „ein Unternehmen des Wiener Konzertveranstalters Hermann Benke“, die vom 5. bis 22.12.1907 stattfinden sollte, aber „bereits nach wenigen Tagen abgebrochen“ [Nottscheid 2008, S. 212] wurde. In der Presse war angekündigt: „Das Komitee der Musik- und Theaterausstellung hat folgende Gastspiele vorbehältlich abgeschlossen: Für die Abende am 8. und 9. Dezember Frank Wedekind mit Frau und Ensemble (‚Totentanz‘ und ‚Kammersänger‘), 11. und 12. Dezember ‚Berliner Puppenspiele‘ des Münchener Bildhauers Hecker (‚Tod der Tintagiles‘ von Maeterlinck und ‚Salome‘-Parodie), 13. und 14. Dezember Miß Mabel Allice (‚Ho-Ko-Jeng‘), Tänze, Lieder und Deklamationen in deutscher, englischer, französischer und chinesischer Sprache.“ [Musik- und Theaterausstellung. In: Die Zeit, Jg. 6, Nr. 1857, 24.11.1907, Morgenblatt, S. 4] Wedekinds angeblicher Auftritt war möglicherweise bereits zuerst für den 7.12.1907 angekündigt, wie ein Pressebericht nahelegt: „Vorgestern wurde eine sogenannte ‚Musik- und Theaterausstellung‘ in der Gartenbaugesellschaft [...] eröffnet. [...] Heute hätte Frank Wedekind gastieren sollen. Abgesagt.“ [Was man in Wien eine Ausstellung nennen darf. In: Arbeiter-Zeitung, Jg. 19, Nr. 336, 7.12.1907, Morgenblatt, S. 5]“ (Gartenbaudas Gartenbaugebäude der Gartenbaugesellschaft in Wien (I, Parkring 12), auch Gartenbausäle oder Blumensäle genannt.) auftreten wird –
„Kammersänger“ und „Totentanz“. Ich halte diese Ausstellung für ein schwindelhaftes
Geschäftsunternehmen. Wedekind weiß das offenbar nicht und wird
sich arg kompromittieren. Nach ihm kommt eine Salome-Parodieeine Parodie auf Oscar Wildes „Salome“ (1893)., später eine
„Tänzerin“die Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin Mabel May-Yong, deren Name in unterschiedlichen Schreibweisen durch die Pressemeldungen geisterte; so ist etwa von „der chinesisch-deutschen Sängerin und Tänzerin Miß Mabel Allis Hokijong“ [Illustrirtes Wiener Extrablatt, Jg. 36, Nr. 326, 27.11.1907, S. 12], von „Miß Mabel Alice (‚Ho-Ki-Yong‘)“ [Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8900, 25.11.1907, S. 3] oder „Miß Mabel Allice (‚Ho-Ko-Jeng‘)“[Die Zeit, Jg. 6, Nr. 1857, 24.11.1907, Morgenblatt, S. 4] die Rede.. So wird es wieder ein Geschimpfe geben. Könnten Sie nicht Wedekind nicht rechtzeitig warnen? Er soll Krankheit vorschützen.
Schon die Art der Ankündigung, an den Straßenecken und marktschreierisch, ist
unwürdig.“ Der Schreiber dieses Briefs ist ihr bester Anhänger. Ich fühle mich
verpflichtet, ihn weiterzubefördern an Ihre Adresse zu gebenKarl Kraus hat den nicht überlieferten Brief des nicht identifizierten Kritikers, aus dem er zitiert, offenbar dem vorliegenden Brief beigelegt.. Auch ich
habe nichts GutesKarl Kraus äußerte sich später ausführlicher über die Musik- und Theaterausstellung (ohne Wedekind zu erwähnen), in einem Essay, in dem es heißt: „Die Geschichte von der Ausstellung, die mit der feierlichen Eröffnung von ‚Schwierigkeiten‘ ihren Anfang nahm, die Veranstaltung eines Defizits zum Zweck hatte und schneller geschlossen wurde, als ein ordentlicher Krach braucht, um gehört zu werden, ist ein Possenstoff, dessen Brachliegen für die Verarmung des Wiener Geistes besser zeugt als fünfhundert Aufführungen des ‚Walzertraums‘.“ [Karl Kraus: Eine Musik- und Theaterausstellung. In: Die Fackel, Jg. 9, Nr. 239/240, 31.12.1907, S. 34-40, hier S. 38] von dieser „Ausstellung“
gehört.
Viele herzl. Grüße von Ihrem
ergebensten Kraus.
Beste Empfehlungen an Ihre l. Frau!