München, im September 1911.
Sehr verehrte
RedaktionChefredakteur des „Neuen Wiener Journal“ (begründet und herausgegeben von Jakob Lippowitz) war seinerzeit Willibald Riedl (so auf der Titelseite angegeben).!
Während meines
Gastspielsder Wedekind-Zyklus am Münchner Schauspielhaus (Direktion: Georg Stollberg) vom 8. bis 31.7.1911, in dessen Rahmen „Hidalla“ mit Wedekind in der männlichen Hautrolle des Karl Hetmann am 22.7.1911 Premiere hatte; hier ist dezidiert die von Wedekind am 24.7.1911 notierte Vorstellung „Hidalla“ [Tb] gemeint, ausgewiesen als „Gastspiel Frank Wedekind, Jenny Vallière, Ernst Rotmund“ in „Hidalla oder Sein und Haben. Schauspiel in fünf Akten von Frank Wedekind.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 64, Nr. 342, 24.7.1911, General-Anzeiger, S. 2] am Münchener Schauspielhaus wurde mir von den mitwirkenden
SchauspielernDie an der „Hidalla“-Vorstellung am 24.7.1911 (siehe oben) mitwirkenden männlichen Darsteller waren aus dem Ensemble des Münchner Schauspielhauses Hans Ausfelder, Max Eßlair, Richard Lübau, Siegfried Raabe, Hans Steiner und Ludwig Wesselsy sowie als Gast der Schauspieler Ernst Rotmund [vgl. Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 64, Nr. 342, 24.7.1911, General-Anzeiger, S. 2]. gelegentlich meines GeburtstagesWedekinds 47. Geburtstag am 24.7.1911. eine kleine Ehrung erwiesen. In
meinem Dank, den ich den Herren aussprach, bemerkte ich, daß die erste und
einzige Ehre, die mir ein deutscher Schauspieler erweisen könne, darin bestehe,
daß er die Rollen, die ich seit zwanzig Jahren für ihn geschrieben, auch ohne meine Mitwirkung darstelle. Ich wies unter
anderem darauf hin, daß zum Beispiel mein Schauspiel „Hidalla“,
das bis jetzt einhundertundzwanzigmal in Deutschland aufgeführt wurde, unter diesen
einhundertzwanzig Malen nur sechsmal in Szene ging, ohne daß ich dabei genötigt
war, die Hauptrolle zu spielen. Ich sagte den Herren, daß es sich bei „Hidalla“
außerdem um ein Theaterstück handle, gegen das weder die Zensur, noch die
Kritik, noch das Publikum je den geringsten Einwand erhoben, sondern das bis
jetzt überall die günstigste Aufnahme fand. Was mir die Herren darauf
entgegneten, bedeutete für mich eine ebenso große wie angenehme Ueberraschung
Sie versicherten mir nämlich, daß heute Hunderte und Hunderte junge
Schauspieler in Deutschland lebten, die sich gar nichts sehnlicher wünschten,
als die Hauptrollen in meinen Stücken spielen zu dürfen, denen aber von ihren Direktoren einfach keine Gelegenheit
dazu gegeben würde. Meine Antwort auf diese Eröffnung lag auf der Hand. Ich bat
die Herren, wo sie einem solchen Schauspieler begegneten, ihn aufzufordern, er
möchte sich doch, wenn er eine der großen Rollen aus meinen Stücken spielen
wolle, direkt an mich wenden. Ich würde mich dann mit seiner Direktion in
Verbindung setzen, der ich bei meinem Verleger vielleicht sogar besonders
günstige Bedingungen für die Aufführung erwirken könne.
Darf ich Sie, sehr
geehrte Redaktion, nun höflich ersuchen, auch den Bühnenangehörigen aus Ihrem
geschätzten Leserkreise von meiner Bereitwilligkeit in dieser Sache Kenntnis
geben zu wollen?
In ausgezeichneter
Hochschätzung
Ihr ergebener
Frank Wedekind.