Heilbronn. 10 (Nov)
December 1884
Lieber Freund.
Na, lieber Franclin du hast wahrlich noch nöthig mir den Mund wässerig zu
machen nach Münchner Bier. Ich steig nach, nicht jetzt, sondern wenn der Brief
fertig ist, mit Heilbronner lagerbier, Fe/i/rma1865 gegründete Brauerei am Rosenberg 13; sie war eine von 9 Brauereien in Heilbronn [vgl. Adressbuch der Stadt Heilbronn a. Necker 1885, S. 142f.]. Cluß & Cie.,. Doch jetzt zur
Hauptsache.
Aus ms.
geplanten Ausflug nach München,
kann leider nichts werden, denn ich bekomme keinen Urlaub von Seite ms. Prinzipals, da der andere junge Mannnicht ermittelt. über Weihnacht und Neujahr
nach Hause geht, und ich hier
bleibenschon im Vorjahr hatte Hermann Plümacher über Weihnachten in Heilbronn bleiben müssen [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 21.10.1883]. muß um die laufenden Geschäfte zu besorgen. Zum Troste bekomme
ich dann im Januar oder Februar
die Schwarzwaldreise von circa 10 Tagen und das ist halt auch nicht schleicht.
Ich werde jetzt öfter auf die Reise geschickt, und das macht mir ungemein viel
Vergnügen und das alles auf Kosten des Hauses was noch besser ist.
Es thut mir sehr leid, daß ich nicht kommen kann. Denn erstens hätte ich gar zu
gern dich ms. lieber
Freund wieder gesehen, denn du mußt ja nicht aus ms. Schweigen
schließen, daß ich dich etwa vergeßen habe. neinSchreibversehen, statt: Nein. wahrlich nicht. Und zweitens ist noch ein IIter
Anziehungspunkt in München. ein kleines Mädchen [Skizze eines Kopfes im Profil] nu davon nachher.
Auch käm der Spaß eklig theuer auf mindestens 80 Mark und wahrlich ich brauch so wie so viel Geld und sitz oft
genug trocken. |
Fräulein
Franziska ist seit d. 13 Sept. Frau Pfarer SchäferFranziska Steinhauser heiratete am 9.9.1884 in Heilbronn Rudolf Schaefer, Pfarrer in Untersontheim [Kirchenbuch Heilbronn, Heiraten 1884-1897, S. 23, Nr. 113]..
Der Prinzipal oft auf der ReisSchreibversehen, statt: Reise..
Die Frau
Prinzipal schnorrt und
schimpft
Gertrud
ein Maulaff„ein Mensch, welcher etwas mit aufgesperrtem Munde, mit dummer Verwunderung angaffet, und in weiterer Bedeutung ein dummer Mensch.“ [Adelung Bd. 3, Sp. 119].
Elisabeth. vom Kloster
zurück und so so la la.
lesen hinundwieder Englisch zusammen mit noch ein Fräuleinnicht ermittelt.. Gar nicht
schlecht.
So jetzt weißt du wie’s hier aussieht.
Du solltest mich als Reisender sehen, flott.
Hergott die Geschäfte!? Wenn ich kom! Na dann klapt’s. Bin so und so vom
Haus so und so aus Dings da
reis’ in so und so. und so weiter. Musterpaket. Ueberzieher, Schirm im Arm.
Fein was fein heißt. Nein ich mach ganz ordentliche Geschäfte und war schon einmal 8 Tage mit
eigenem Fuhrwerk im badischen draußen.
Ich sag dir das Reisen hat einen gewaltigen Reiz. wenns nur
nicht eine so gewaltige Hezerei gegenwärtig wäre und wenig soll mann auch brauchen.
Jetzt zur Generalbeichte.
Ich hab nähmlich
eine kleine PoussageLiebschaft; Liebelei. in München
drinn sitzen. gelt jezt
machst die Augen auf. Du kannst dir aber nicht errathen wer. Nun denn die TochterLina Wiesner, die mit ihrem Vater zunächst in der Bayerstraße 95, später in der Schommerstr. 4 (Parterre, links) wohnte, schaltete in den 1890er Jahren Anzeigen als Musik-, dann Zitherlehrerin [vgl. u.a. Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 49, Nr. 498, 26.10.1896, S. 3]. des Comiker „Wiesner“
gibt gegenwärtig Concerte dortHermann Plümacher dürfte die musikalischen Auftritte Lina Wiesners bei den Abendveranstaltungen der Münchner Komikergesellschaft ihres Vaters gemeint haben. Die Presse meldete: „Samstag, den 4. Oktober beginnt die Münchener Elite-Komikergesellschaft Wiesner, Bertoni, Helmstädt in Schmöller’s Hotel ‚zu Achatz‘ mit ihren Soiréen. Die Mitglieder dieser Gesellschaft erfreuen sich seit Langem großer und verdienter Beliebtheit.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 37, Nr. 277, 3.10.1884, S. 2] Anzeigen nennen auch die übrigen Mitglieder „Frau Huber, Frl. Lina Wiesner, Pianist Herr Woerler“ [ebd. Jg. 37, Nr. 278, 4.10.1884, S. 4] des fast täglich auftretenden Ensembles, das sich im Dezember mit dem Komiker Johann Weil zusammenschloss.. Kannst also einmal
hingehen und sie dir ansehen, aber bei Leibe nichts merken lassen daß du was
weißt sonst wär der Teufel los. |
Also geh, seh aber frage nicht! Merks dir in der Beziehung ist also nichts los ich fieng die Sache aus
purer LangweileSchreibversehen, statt: Langeweile. an
jetzt machts mir Spaß.
Sie schreibt gar keine schlechten Briefe.
Wenns dich interessirt sende ich dir gelegentlich welche.
Seh auch zu was Sie treibt. Sie wohnt in der Bayerstraße 95Unter der Adresse Bayerstraße 95, 2. Stock links ist der Name des Vaters „Wiesner Joh. Bapt. Komiker 2l“ verzeichnet [Adreßbuch für München 1884, Teil II, S. 66; vgl. auch Teil I, S. 552]..
Sonst giebts hier nicht viel, jeden Sonntag geht man
irgendwohin auf ein benachbartes Dorf oder zu einem kleinen Abenteuer heißt das
wenn man Moosumgangssprachlich, für: Geld. hat. Aber
das ist ein verfluchtes Ding damit. Du wirst das natürlich auch kennen. Daß Ihr eine so gemüthliche PhilistereiDie Brüder Frank und Armin Wedekind studierten seit dem Wintersemester 1884 in München, wo sie bei dem herzoglichen Lakai Leonhard Bühringer und seiner Frau in der Türkenstraße 30 (1. Stock) wohnten [vgl. Adreßbuch für München 1884, Teil II, S. 490; Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 12.11.1884].
besitzt, freut mich ungemein. Besonders die „Theekocherei“Während die drei Mittags in einem Kreis von Studierenden im Restaurant speisten, wurde abends abwechselnd bei Freund Walter Oschwald (Theresienstr. 38, 2. Stock rechts) oder den Brüdern Wedekind gegessen und Tee getrunken, was Frank Wedekind als Einrichtung zwischen Kneipe und stillem Familienleben beschrieb [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 12.11.1884].? wird auch
oft genug nach Bier aussehen. oder ist nicht so mein Lieber?
Ich warte auch schon längst auf deine PhotographieUm ein Portraitfoto Wedekinds hatte der Freund schon im Frühjahr gebeten [vgl. Hermann Plümacher an Wedekind 9.5.1884].,
Mama will mir die
IhrigeWedekind hatte den Abzug einer Fotografie – vermutlich vom Fotoatelier Fr. Gysi in Aarau – im Sommer an sie geschickt [vgl. Wedekind an Olga Plümacher, 30.6.1884]. nicht abtreten.
Was bedeutet die räthselhafte Zeichnung am Fuße deines lieben Briefesnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Hermann Plümacher, 8.11.1884].?
Du weißt ich begreife nicht so schnell wie Du
Doch jetzt lebe wohl für diesmal, schreibe mir recht, bald
und viel, ich will ms.vermutlich individuelle Abkürzung für: meine.
Schreibfaulheit abschütteln und wirst du dich sicher nicht mehr über mich zu
beklagen haben. Ich hoffe auf deine volle Verzeihung und verbleibe
wie bisher
dein treuer Freund
E. H. Plümacher
À revoirSchreibversehen, statt: Au revoir; (frz.) Auf Wiedersehen; ein Besuch Wedekinds bei Hermann Plümacher in Heilbronn oder bei dessen Mutter Olga Plümacher in Stein am Rhein ist für den Sommer 1885 nicht nachgewiesen.
im Sommer bei mih/r/ in den Ferien.
[Am linken Rand um 270
Grad gedreht:]
Wir bereisen leider nur Württenberg & Baden sonst wollte ich schon nach München
kommen nun was jetzt nicht ist kann doch noch werden.