Kennung: 4695

Solothurn, 16. November 1890 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Donald (Doda)

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Solothurn 16 November 1890


Lieber Bebi!

Hiemit bestätige ich den Empfang der Mk 10.–, welche gerade zur rechten Zeit kamen um mir meinen GeburtstagDonald Wedekinds 19. Geburtstag am 4.11.1890. in der angenehmsten Weise zu versüßen. Der BriefDas Begleitschreiben zu der Geldsendung ist nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 3.11.1890. freute mich nicht weniger, indem die darin enthaltenen Nachrichten mich für eine kurze Dauer in deine abwechslungsvolle Gesellschaft versetzten. Die Geschichte mit Albertinenicht identifiziert; vermutlich ein Modell des Malers Anton Pohl., PohlAnton Pohl, Kunstmaler in München (Theresienstraße 65, 1. Stock) [vgl. Adreßbuch für München 1890, Teil I, S. 264] war Student an der Münchner Kunstakademie [https://matrikel.adbk.de/matrikel/mb_1884-1920/jahr_1887/matrikel-00392]. Wedekind listete ihn im Tagebuch unter seinen Bekannten auf („Pohl Maler“) und datierte die Bekanntschaft auf das Jahr 1890 [vgl. Tb, S. 53 und S. 115]. Donald Wedekind hatte den aktuellen Freundeskreis Frank Wedekinds, der aus zahlreichen Malern bestand, während seines Aufenthalts in München im August und September 1890 kennengelernt. und dem Beduinennicht identifiziert. entwicktelte sich ganz so, wie es die Natur der Sache verlangte und wie es Mr. Pohl an jenem Nachmittag, als ich ichSchreibversehen, statt: ich ihn. in Compagnie der Aegybter traf, voraussah. Nur begreife ich nicht, was er wie er mit seinen 800 Mk wolbehalten wieder von Aegybten zurückkommen will und was ihn eigentlich an dem Mädchen anzieht, deren Wesen mich vollstän|dig kalt ließ. Ich glaube der bedeutendste Factor ist ihre kernige Gesundheit gegenüber seiner schwachen Constitution, die ihn wol dazu veranlassen kann, immer recht gesunde und starke Mädchen zu seiner Gesellschaft auszusuchen. Mir war Pohl neben Lefflerder Maler Heinrich Lefler, Frank Wedekinds Wohnungsnachbar in der Akademiestraße 21 und später auch Korrespondenzpartner. In seinen Namenslisten im Tagebuch notierte Wedekind: „Heinrich Lefler, Maler Akademiestr. 21. III“ [Tb, S. 53], an anderer Stelle: „1889 […] München. Nina. Frische. Mauer. Leffler.“ [Tb, S. 115] und SchereschephskyDer polnische Maler Wladimir Schereschewsky (Herzogstraße 8) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1894, Teil III, S. 47]; Frank Wedekind notierte in seiner Namensliste im Tagebuch: „Schereschefsky, Maler aus Kiew“ [Tb, S. 53] und in der Jahreschronologie: „1890 Kinder & Narren. Scherschefsky. Pohl. Mumm. Becker. Melchers. Doda.“ [Tb, S. 115] immer der Liebste, MelchersHeinrich Melchers, eine Kneipenbekanntschaft Frank Wedekinds: „Heinrich Melchers lerne ich eines Abends im Kletzengarten kennen.“ [Tb, S. 47, Eintrag vermutlich im Februar 1890]. In der Namensliste am Ende des Tagebuchs heißt es: „Heinrich Melchers aus Saginav U.S. Polytechniker, Großneffe des Cardinal Melchers in Rom.“ [Tb, S. 55] abgerechnet, dem ich mich überlegen fühlte. Das/ß/ Schereschephsky’s Bildnicht ermittelt. Otto Julius Bierbaum schrieb über Schereschewsky: „Er gehörte einmal zu den großen Hoffnungen des malerischen Naturalismus in München. Uhde schätzte ihn sehr hoch, aber auch Menzel. Zwei seiner großen Elends-Malereien gingen in öffentliche Galerien über. Er aber verschwand aus München“ [Otto Julius Bierbaum: Die Yankeedoodle-Fahrt und andere Reisegeschichten. München 1910, S. 39]. Bekannt wurde er 1893 mit der Ausstellung seines Gemäldes „Nach Sibirien“ in München, Budapest und Berlin, das als „Sensationsbild“ galt [vgl. Kunstchronik, Jg. 4, Nr. 27, 1.6.1893, Sp. 441]. jetzt und überhaupt einmal einen so großen materiellen Ertrag abwerfen würde, habe ich nie geglaubt und stellte es immer auf die gleiche Stufe mit Marcel’s „Durchgang durch das rote Meer“In Henri Murgers Roman „Scènes de la vie de bohème“ (1851; dt. „Pariser Zigeunerleben. Bilder aus dem französischen Literaten- und Künstlerleben“) reicht der erfolglose Maler Marcel alljährlich sein Bild „Der Zug durchs Rote Meer“ mit leichten Veränderungen und unter verschiedenen Titeln zur Aufnahme in den Pariser Salon ein, jedoch vergeblich. Er verkauft es schließlich für 150 Francs und ein Abendessen an den jüdischen Händler Medici, der es als Ladenschild für einen Feinkostladen weiterverkauft. aus Murger’s Zigeunern.

Dein Bildnicht überliefert; ein Porträt von Frank Wedekind., dessen Entstehungsgeschichte jedenfalls auch von einigem Interesse sein wird, habe ich mir gegenüber an der Wand aufgehängt und bin so in fortwährender Gesellschaft mit dir und es wirkt | so stark auf mich, daß ich bisweilen die Verpflichtung fühle es zu unterhalten.

Gestern las ich in der Zürcher ZeitungDort hieß es: „Wie ‚Fanfulla‘ meldet, soll im Februar des Jahres 1893 das Bischofsjubiläum des Papstes Leo XIII. besonders feierlich begangen werden. Namentlich gedenkt man einen ‚Welt-Katholikenkongreß‘ zu veranstalten, an welchem sämmtliche Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe der ganzen Erdrunde, sowie sämmtliche Führer aller ‚katholischen Parteien‘ der Welt theilnehmen sollen.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 70, Nr. 319, 15.11.1890, S. (2)] daß der Hl. Vater im Jahre 93. sein Bischofsjubiläum mit einem großartigen ConcilVersammlung kirchlicher Personen. zu feiern gedenkt, an welchem alle Cardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe der Erde daran teilnehmen sollen. Schon das allein würde Rom zu einem nicht undankbaren Aufenthalte für die betreffende Zeit machen.

Literarisch beschäftige ich mich gegenwärtig nur mit Lesen, da mich ein eigenes productives Arbeiten neben den Schulstunden zu sehr anspannen würde und ich s die freie Zeit lieber im Verein junger Mädchen, deren mir bekannter Kreis sich nachgerade auszudehnen beginnt, verbringe.

Deinem StückWedekinds Lustspiel „Kinder und Narren“, von dem er Ende August Manuskripte an die Bühnenverlage Felix Bloch Erben und A. Entsch in Berlin verschickt hatte, allerdings ohne Erfolg. Gedruckt wurde das Stück erst Anfang 1891 als Privatdruck [vgl. KSA 2, S. 630]. wünsche ich auf dem Weg in die Öffentlichkeit alles Glück und verbleibe mit den besten Grüßen dein
treuer Bruder Donald.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 21,5 x 26 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Solothurn
    16. November 1890 (Sonntag)
    Sicher

  • Absendeort

    Solothurn
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 304
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Donald (Doda) Wedekind an Frank Wedekind, 16.11.1890. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (03.12.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

28.08.2023 11:01