Zürich September 1890
Lieber Bebi!
Hami habe ich verschiedene Male daran erinnert, dir
Geld zu sendenArmin Wedekind verwaltete nach dem Tod des Vaters das Vermögen der Familie, das in Wertpapieren angelegt war, und zahlte auf Wunsch Gelder an die Geschwister und seine Mutter aus. Folgt man der Übersicht in Frank Wedekinds Tagebuch, erhielt er am 3.10.1890 die nächste Zahlung über 200 Mark [vgl. Tb, Übersicht, S. 117].. Er behauptete, erst in Zürich im Stande zu sein, welches zu
schicken. Ich meinesteils hatte wiederum die größten Unannehmlichkeiten mit ihm
und Mama. Auf ein Schreiben von SolothurnDas Schreiben der Kantonsschule Solothurn an Emilie Wedekind ist nicht überliefert. hin, das Mama erklärte, daß man mich
nur unter der Bedingung aufnehmen könne, wenn ich im Kosthaus, das heißt
Convictsiehe dazu Armin Wedekinds Schilderung des Vorfalls [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 8.10.1890]., Kost und Logis nähme, schrieb Mama sofort zurück, daß sie damit
einverstanden sei. Da ich nun durchaus nicht gesonnen bin, mich dort in diese
Schülerpension aufnehmen zu lassen, da ich voraussehe, daß es dann jeden
Augenblick Streitigkeiten mit dem Rectorat absetzen würde und in | kurzer Zeit
zur RelegationEntlassung, Ausschließung. kommen würde protestirs/t/e ich und kam mit Hami in einen
Wortwechsel, wobei er handgreiflich wurde, so daß zuletzt eine große Prügeleisiehe dazu Armin Wedekinds Schilderung des Vorfalls [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 8.10.1890].
entstand, bei der beide Teile genug bekamen. Ich wäre immerhin hinauf nach
Solothurn gegangen um zu sehen, ob sich mit dem MannRektor der Kantonsschule Solothurn war seit 1878 der Altphilologe Johann Kaufmann-Hartenstein. nicht sprechen ließe. Aber
mit der Zustimmung Mama’s in
der Hand, wird gar nichts mit ihm anzufangen sein. So habe ich nun fest im Sinn
Frühjahr 1891Für das Ablegen der Maturität gab es je nach Kanton ein bestimmtes Mindestalter für die Kandidaten. Für die Fremdenmaturität an der Universität Zürich lag es offenbar bei 19 ½ Jahren. hier in Zürich abzuwarten, um dann mich zur Fremdenmaturität zu
melden. Mama will davon natürlich nichts wissen und wird mich ebensowenig
unterstützen, und so ist das einzige Mittel, das ich kenne, das, daß ich dir
die Macht der VormundschaftDonald Wedekind hatte als Minderjähriger keinen Zugriff auf sein Erbe, das von Armin Wedekind in Absprache mit der Mutter verwaltet wurde. Würde Frank Wedekind als offizieller Vormund nominiert, hätte er bis zur Volljährigkeit seines Bruders mit 20 Jahren ein Verfügungsrecht über dessen Erbe [vgl. Privatrechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich. Zürich 1888, § 830, S. 246]. über mich hiemit übergebe, worauf dann du meine
Ansprüche geltend machen kannst. Es ist dieSchreibversehen, statt: dies. natürlich keine Kleinigkeit, die
ich von dir verlange, und es tut mir sehr, sehr leid, daß ich dich auf diese
Weise aus deiner Ruhe | aufscheuchen muß. Aber ich bitte dich, tuhe es für
mich. Ich werde es dir ewig zu danken wissen. Ich bin überzeugt, daß wenn du
energisch auftrittst, und sofern du es eben der Gesetze wegen kannst,
worin/üb/er ich eben ganz im Unklaren bin, Mama sich ohne
weiteren Widerstand fügen wird. Bist du aber überzeugt, daß du nicht die Macht hast, irgend etwas für mich zu
tun, so sei so gut und schreib mir auch in diesem Fall, damit ich mich demgemäß
einrichten kann. Hast du aber erst die Macht, über mein VermögenAus dem Erbe seines Vaters standen Donald Wedekind nach einer Rechnung Armin Wedekinds 28.061,60 Francs zu [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 27.11.1889]. zu verfügen,
in Händen, so läßt sich dann immer noch sehen, was zu tuhnDonald Wedekinds Schreibung für die zeitgenössisch verbreitete Schreibweise: thun (hier mehrfach vorkommend; so auch in der übrigen Korrespondenz). ist. Vielleicht würde
ich da auf eine Maturität verzichten und in eine Klosterschule
eintreten, wozu allerdings immer noch Zeit ist. Würdest du noch längere Zeit durch
in München aufgehalten, so wäre es vielleicht besser, daß ich dorthin käme, da
du mir eher Subsistenzmittel verschaffen könntest als hi wenn ich hier
bin. Reisegeld habe ich bereit und | bin auch sonst für 14 Tage vor dem
Verhungern geschützt. Unser Verkehr würde jedenfalls leichter und angenehmer,
da ich nun mit meiner Arbeit begonnen habe und bereits einen Teil meiner Reise
zu PapierÜber seine Amerikareise publizierte Donald Wedekind in der Beilage der „Züricher Post“ in mehreren Teilen (Nr. 29 vom 4.2.1894, Nr. 36 vom 13.2.1894, Nr. 41 vom 18.2.1894, Nr. 47 vom 25.2.1894 und Nr. 53 vom 4.3.1894) den Reisebericht „Eine Auswandererfahrt“, dessen Ausarbeitung er hier begonnen haben dürfte. Das Manuskript ist nicht überliefert. gebracht habe. Ich hege großes Vertrauen darauf. Was ich will, ist
folgendes: Dich zum Vormund, damit Mama aus meinen Geschäften ausgeschlossen ist. Glaubst du, es ist dir
unmöglich meine Bitte zu erfüllen, so schreibe mir es. Kannst du aber etwas für
mich tuhn, so benachrichtige mich ebenfalls, was ich erwarten kann. Sende die
Antwort unter: D. Wedekind
p. AdressNach dem Streit auf Schloss Lenzburg ist Donald Wedekind abgereist [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 1.10.1890] und hat sich offenbar bei dem befreundeten Medizinstudenten Elias Tomarkin in Riesbach einquartiert.: Elias
Thomar
Florastraße Nr 50
Riesbach.
Dein treuer Bruder Donald