Solothurn 22 März 1890
Lieber Bebi!
Dein Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 20.3.1890. hat mir große Freude gemacht und war mir
ein Lichtstrahl in das Dunkel von Solothurn. Es freut mich ungemein, daß dir
meine Skizzedas am 7.2.1890 an Frank Wedekind gesandte Manuskript einer nicht näher identifizierten Erzählung (möglicherweise „Der Kandidat vom goldenen Thore“). doch nicht so mißfallen hat, wie ich vermutete. Ich fühle die
Schwierigkeiten, die das Ausarbeiten eines ernsteren Stoffes bietet, sehr wohl.
Es war dies der einzige Grund der mich bis jetzt davon abhielt. Doch werde ich
mich, nächstens | damit zu beschäftigen suchen.
Tagebücher habe ich schon einige angefangen zu führen.
Sie arteten aber regelmäßig in eine Art von Gefühlsduseleien aus,
weshalb ich es auch immer wieder fallen la/i/eß. Doch werde ich nochmals
den Versuch machen und mich dann nur an Tatsachen halten.
Von Frau FleckBekannte von Wedekinds Mutter aus New York, die Donald Wedekind bereits von ihrem Besuch im Sommer 1885 in Lenzburg her kannte und die er bei seiner Ankunft in New York im Februar 1889 erneut traf. Die Korrespondenz zwischen ihr und Donald Wedekind ist nicht überliefert. erhielt ich letzthin eine sehr
liebenswürdige und gefühlf/v/olle Antwort auf meinen Brief. Sie
schreibt, daß sie mein Kästchen, das ich ihr vor meiner | Wanderung in die
WüsteÜber seine Reise nach Kalifornien schrieb Donald Wedekind an seine Schwester Emilie (Mati) im November 1889: „Die californische Wüste, die ich später zu Fuss durchwanderte, ist so heiss, dass Palmen und haushohe Cacteen wachsen, und die Indianer sich immer im Sande herumwälzen. […] Ich ging nach Sacramento, dann wanderte ich durch die Wüste und kam wieder nach Kansas City“ [Donald Wedekind an Emilie (Matit) Wedekind, 17.11.1889, Aa, A II b]. zusandte, und das meine sämmtlichen Briefschaften ect. enthielt, mir
schicken wolle, doch ist es bis jetzt noch nicht eingetroffen. Ich erwarte es
mit Sehnen, da meine Trigonometriehefte darin sind, die ich sehr gut brauchen
könnte. TillieDie Cousine Tilly Kammerer aus New York, eine Tochter von Emilie Wedekinds Bruder Libertus Kammerer [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 80], die Donald Wedekind ebenfalls von ihrem Besuch in Lenzburg im Sommer 1885 her kannte [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 17.8.1885]. soll wiederum verlobt sein und eine sehr gute Partie machen.
Auch ihre MutterElizabeth Kammerer (geb. Engel), die am 17.1.1869 Libertus Kammerer geheiratet hatte, war seit 1885 verwitwet. hat sich wieder verheiratet. New York haben sie nie verlassen,
was mich sehr freut, weil ich immer Gewissensbisse fühlte, die Familie aus
ihrer | ihrerSchreibversehen (versehentliche Wortwiederholung beim Seitenwechsel), statt: ihrer. angenehmen Lage nach Californien gelockt zu haben. Von
Dostojewskji ha kenne ich nur die wenigen Erzählungen, die du uns im
Winter 88-89 vorgelesen hast, sonst nichts, da mir „Schuld und Sühne“Unter diesem Titel ist Dostojewskis Roman in deutscher Übersetzung erstmals 1888 in Reclams Universalbibliothek erschienen: Fjodor Michailowitsch Dostojewskij: Schuld und Sühne (Raskolnikow). Nach der siebenten Auflage übersetzt von Hans Moser. Leipzig 1888. auf dem
Schiff schmählicher Weise entwendet worden ist. Hast du etwas von ihm, bitte
sende es mir! In treuer Liebe dein Bruder
Donald