Solothurn 3. März 1890
Lieber Bebi!
Verzeihe, daß ich so lange nicht mehr geschrieben habe.
Ich wollte dich nicht mehr mit meinen Geschichten stören, bis ich damit im
Reinen wäre. Deinen letzten Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 12.2.1890. habe ich hoffentlich richtig aufgefaßt, indem
ich daraus gelesen habe, daß sie dir die Sacheder zunächst von Frank Wedekind unterstützte Wunsch Donald Wedekinds, den von der Mutter geforderten Schulbesuch in Solothurn abzubrechen und stattdessen die Fremdenmaturität an der Züricher Universität anzustreben (siehe dazu die vorangegangene Korrespondenz). im Grunde genommen sehr
unangenehm ist, weshalb ich nicht sicher auf dich mich verlassen kann, jeden
Augenblick dein Mißfallen erregen könnte und dadurch deinen Schutz verlieren
möchte, m den ich i nach durchgeführter Sache doch unbedingt
nötig gehabt hätte. Auch bin ich auf diese Weise in Frieden mit von Mama auseinanderunvollständige Streichung aufgrund des Zeilenwechsels. gegangen, was mir viel wert ist.
Deinen guten Willen und die Liebe, die du zu mir gezeigt hast, weiß ich
| sehr hoch zu schätzen, um so mehr, da ich die Antipathie kenne, die du gegen
Sachen dieser Art hast. Die 50 frsFrank Wedekind hatte seinem Bruder im Vormonat Geld geschickt [vgl. Frank Wedekind an Donald Wedekind, 8.2.1890] werde ich, wenn es dir recht ist, behalten, da ich sie mit der Zeit
sehr gut verwenden kann, um Bedürfnisse zu bestreiten, die ich mit dem geringen
Taschengeld nicht bezahlen könnte. Da wir doch einmal in Conto correntVerrechnung gegenseitiger Zahlungen; von (ital.) conto corrente = laufende Rechnung. getreten sind, hat es weiter
nichts zu sagen und doch ist mir damit ein Mittel in die Hand gegeben, auf
lange Zeit hinaus
meinen allerdings geringen Überschuß an Ausgaben zu decken. Ich bin dir auch
dafür dankbar, und hoffe auf dein Stillschweigen. Was meine Verhältnisse
anbetrifft, so sind dieselben nicht so übel. Im Juli werde ich in die dritte
Klasse promonvirt und habe dann noch ein Studium von 2 Jahren vor mit/r/.
Es hätte sich ja unbedingt besser machen lassen können, aber
da sich Mamma in der AutokratieAlleinherrschaft. gefällt, so muß man nachgeben, da sie ja sonst
noch genug Sorgen sich aufladet. Wenn du meine Skizzedas am 7.2.1890 übersandte Manuskript einer nicht identifizierten Erzählung (vermutlich zu „Der Kandidat vom goldenen Thore“) [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 7.2.1890]. nicht genügend findest,
so sende sie mir bitte zurück | solltest du aber etwas damit anfangen können,
so sollte es mich sehr freuen. Mir selbst gefällt sie je länger je schlechter.
Ich hoffe bald einen Brief von dir zu bekommen, doch verlange ich keinen, da
ich weiß, wie beschäftigt du bist.
Dein treuer Bruder
Donald.
p. A.
Sekretair Vogelsangfür Donald Wedekinds Postadresse kommen der Kanzleisekretär Anton Vogelsang (Barfüssergasse 30) oder der Kanzleisekretär Franz Vogelsang (Zeughausgasse 69) in Frage [vgl. Adressbuch für die Stadt und den Kanton Solothurn 1898-99, S. 64], wobei die erste Adresse zum gleichen Gebäudekomplex (Ambassadorenhof) gehört wie die Kantonsschule Solothurn.
Solothurn