Mein lieber Freund,
trotz einer schwierigen ArbeitWedekind dürfte entweder an seinem Romanmanuskript „Mine Haha“ gearbeitet haben [vgl. KSA 5/I, S. 1054f.] oder an seinem Dramenprojekt „Das Sonnenspectrum“ [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 10.10.1900]., die mich augenblicklich beschäftigt, ist es
doch höchste Zeit, daß ich Ihnen Ihre liebenswürdigen Zeilennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Otto Eisenschitz an Wedekind, 3.11.1900. Otto Eisenschitz, Dramaturg am Theater in der Josefstadt in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1901, S. 550], schrieb Wedekind von der geplanten Inszenierung des „Marquis von Keith“ und informierte ihn darüber, der Direktor selbst werde die Titelrolle übernehmen (siehe unten). beantworte, da Sie
im Dezember durch München zu kommen gedachten und es mir sehr schmerzlich wäre,
wenn wir kein Wiedersehen feiern könnten. Wollen Sie mir also, bitte, sobald
Sie dessen sicher sind, den Tag Ihrer Ankunft mitteilen.
Es war mir eine große
Freude, von Ihnen zu hören, daß Herr Direktor Jarno selbst die Rolle des
MarquisJosef Jarno, Direktor des Theaters in der Josefstadt in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1901, S. 550], spielte in der Inszenierung des „Marquis von Keith“ (1901) an seinem Theater, die dann allerdings erst am 30.4.1903 Premiere hatte (Regie: Josef Jarno), die Titelrolle [vgl. Wiener Zeitung, Nr. 98, 30.4.1903, S. 12]. Die Presse hatte aber schon früh gemeldet: „Director Jarno hat das neueste Werk Wedekind’s ‚Marquis von Keith‘ zur Aufführung im Theater in der Josefstadt angenommen.“ [Neues Wiener Journal, Jg. 8, Nr. 2523, 1.11.1900, S. 8] bei der Aufführung an Ihrem Theater spielen will. Ich setze in seine
Interpretation ein unbeschränktes Vertrauen und habe um so mehr Ursache mich
dieser Fügung zu erfreuen, da ich mir einerseits nicht verhehle, wie schwer die
Rolle ist, und anderseits glaube, daß eine vollendete Darstellung derselben
auch unter schwierigen Verhältnissen das ganze Stück tragen kann. Aber über all
diese Dinge wird sich viel ergiebiger mündlich reden lassen. Es soll mir ein
großes Vergnügen sein, wenn ich Ihnen bei Ihrem Aufenthalt in München als
Mentor dienen kann, obschon mein Verkehr nicht über die hiesigen literarischen
Kreise hinausreicht. Immerhin glaube ich, daß Sie es nicht bereuen würden,
einige Abende in unserer Gesellschaft verlebt zu haben. Also schreiben Sie mir,
bitte, recht bald, wann ich Sie erwarten darf. Hoffentlich haben Sie keine
anderen Dispositionen getroffen oder gelangen diese Zeilen nicht schon zu spät
an Sie.
Mit den herzlichsten
Grüßen auf baldiges Wiedersehen Ihr
Frank Wedekind.
München, 3. Dezember
1900.