[1. Briefentwurf:]
Sehr geehrter Herr BraungartRichard Braungart, Schriftsteller in München (Reichenbachstraße 12) [vgl. Adreßbuch für München 1910, Teil I, S. 64], war seit Jahren Feuilletonredakteur der „Münchener Zeitung“ und schätzte Wedekind, wie seine Rezensionen zeigen..
Die/Ihre/ AnerkennungRichard Braungart hat Wedekinds Lesung „Die Büchse der Pandora“ im Neuen Börsen-Café in München, die am 16.11.1909 stattfand, anerkennend besprochen (Verfasser nicht ausgewiesen): „Frank Wedekind hat am Dienstag in der ‚Neuen Börse‘ vor der Münchener Ortsgruppe der ‚Allgemeinen Vereinigung deutscher Buchhandlungsgehülfen‘ seine ‚Büchse der Pandora‘ gelesen. Das Werk hat seinerzeit bei der ersten Aufführung in München einen gellenden Skandal hervorgerufen, aber vielleicht sieht man es heute schon ein, daß dem Dichter damals ein Unrecht geschah. Fast möchte man’s glauben; denn die Hörer hielten sich diesmal nicht bei den ‚gewagten Witzen‘ auf, sondern gingen dem Werk auf den tieferen Grund. So entließ sie der Abend mit starken Eindrücken. Es wäre gewiß lehrreich, im Theater nachzuprüfen, ob diese auffällige Wandlung auch vor der Bühne standhält. Da Wedekind das Stück nach dem Berliner Urteil (das die Einstampfung verfügte) einer Neubearbeitung unterzog, ist ja die Möglichkeit gegeben. Und die vielen Freunde, die dem Dichter der ‚Erdgeist‘ gewonnen hat, werden auch den andern Teil des Lulu-Dramas sehen wollen... Im übrigen erfuhr man auch hier, vor dem Lesetisch, wie Wedekind als Schauspieler weiter gekommen ist. Der Schigolch erschien in einer ganz neuen Gestalt... Der Saal war voll; auch einige Damen hatten sich durch die Schauergeschichten, die vor fünf Jahren über die ‚Büchse der Pandora‘ umgegangen sind, nicht abschrecken lassen.“ [Münchener Zeitung, Jg. 18, Nr. 268, 17.11.1909, S. 2-3] die Sie meiner B.d.P. zutheil werden lassen, ist Sache Ihrer Überzeugung. Ich
nehme sie ebenso mit unbedingter Achtung hin, wie ich Ihre AblehnungRichard Braungart hat das Sittendrama „Musik“ zuletzt anlässlich seiner Aufführung im Wedekind-Zyklus am Münchner Schauspielhaus besprochen; er meinte, mit der Münchner Erstaufführung sei bereits „die vergangene Saison im September 1908 etwas disharmonisch eingeleitet worden“, und wunderte sich, das die aktuelle Premiere „gestern abend ein Erfolg“ gewesen sei; man habe das Stück „bejubelt“, obwohl „eine Arbeit wie diese ‚Musik‘ […] sogar die schneidigsten Parteigänger des Dichters nicht für übermäßig geglückt halten. […] zu denken gibt […] nach wie vor dieses absonderliche Sittengemälde, das im gleichen Grade abstößt, als es durch allerlei Menschliches-Allzumenschliches anzieht, und dessen Form bei wiederholtem Lesen und Hören nicht plausibler wird. […] Heute ist es für uns nicht viel mehr als ein Schlüsselstück im Stil der Vorstadtbühnen; allerdings eines, das Wedekind geschrieben hat; und das macht auch seine Schwächen noch interessant genug.“ [R.B.: Schauspielhaus. In: Münchener Zeitung, Jg. 18, Nr. 161, 14.7.1909, S. 2] Er hatte sich ähnlich kritisch bereits über die Münchner Erstaufführung geäußert [vgl. Richard Braungart: Musik. Sittengemälde in 4 Bildern von F. Wedekind. In: Münchener Zeitung, Jg. 19, Nr. 225, 28.9.1908, S. 1]. meiner „Musik“
mit unbedingter Achtung hingenommen habe. Aber das warmherzige große
Wohlwollen, mit dem das sich aus
jeder Zeile Ihrer Besprechung für jedermann ersichtlich aus in jeder Zeile Ihrer Besprechung zu Tage tritt äußert, erfüllt mich mit ebenso
großer ebenso herzlicher Dankbarkeit. Wollen Sie es bitte nicht mißdeuten, wenn
ich mir erlaube Ihnen diesen Dank auszusprechen. Beim ersten Tadel den Sie mir
ertheilen werden Sie ja sehen, ob mir nicht auch Ihr Tadel werthvoll ist.
Mit ergebensten Grüßen
Ihr
FrW. |
Gabelsbergerstr.
77irrtümliche Adresse; weder Richard Braungart (siehe oben), noch die Redaktion der „Münchener Zeitung“ sind in der Gabelsbergerstraße 77 verzeichnet [vgl. Adreßbuch für München 1910, Teil II, S. 166]..
Tit. Redaract.Schreibversehen, statt: Redact. (für: Redacteur).
Herr Rich.
Braungart |
[2.
Abgesandter Brief:]
Sehr geehrter Herr Braungart!
Ihre Anerkennung, die Sie meiner Büchse der
Pandora zutheil werden lassen, ist Sache Ihrer Überzeugung. Ich nehme sie
ebenso mit unbedingter Achtung hin wie ich Ihre Ablehnung meiner Musik mit
unbedingter Achtung hingenommen habe. Aber das warmherzige große Wohlwollen,
das sich für jedermann ersichtlich in jeder Zeile Ihrer Besprechung äußert,
erfüllt mich mit ebenso großer, | ebenso herzlicher Dankbarkeit.
Wollen Sie es bitte nicht mißdeuten, wenn ich mir
erlaube, Ihnen diesen Dank auszusprechen. Beim ersten Tadel, den Sie mir
ertheilen, werden Sie ja sehen, ob mir nicht auch Ihr Tadel wertvoll ist.
Mit ergebensten Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.
München 20.11.9.