[1. Entwurfsnotizen:]
DasSchreibversehen, statt: daß. mein Literarisches Lebenswerk zu Wuchergeschäften dient.
Ich glaube ein rechtSchreibversehen, statt: Recht. zu haben mich dagegen zu wehren daß
mein Lebenswerk und an irgendeinen literaturhungrigen PferdeinteressentenBruno Cassirer war außer Verleger auch Pferdezüchter, besaß einen Rennstall und betrieb Traberrennen, ein Motivfeld, das Wedekind auch in den Briefen an ihn durch den Hinweis etwa auf „Pferderennen“ [Wedekind an Bruno Cassirer, 30.1.1910] rhetorisch nutzte., der
vielleicht noch mehr Geld zu verschwenden hat und noch weniger von
Verlagsgeschäften versteht als mein gegenwärtiger Verleger.
Je höherab hier durch einen durchgezogenen senkrechten Bleistiftstrich in Verbindung mit einem waagerechten Bleistiftstrich oben komplett gestrichen. die Strafe ausfällt zu der ich infolge meiner
Beleidigung verurtheilt werde um so tiefer sinkt selbstverständlich meine
geistige Produktion in ihrem Werth
Um nun einen eventuellen Käufer vor sehr empfindlichen
dauernden materiellen Schaden zu bewahren halte
ich es für meine Pflicht öffentlich bekannt zu machen, daß mich Herr B.C. zu gleicher Zeit
[2. Briefentwurf:]
In No. 56ab hier durch einen durchgezogenen senkrechten Bleistiftstrich in Verbindung mit einem waagerechten Bleistiftstrich unten komplett gestrichen. des „Börsenblattes für den
Deutschen Buchhandel“ bietet der Verlag Bruno Cassirer in Berlin die
Verlagsrechte und Büchervorräte meiner zwanzigjährigen geistigen Produktion
öffentlich zum Verkauf aus. Auf die Anfragen die er nach dem Preise erhalten
nannte Herr Cassirer verschiedenen ReflektantenBewerber, Interessenten, eventuelle Käufer. eine Summe dessen Höhe nach dem
allgemeinen Urtheil in gar keinem Verhältnis zu dem wirklichen Werth des
Kaufobjects steht.
Den Reflektanten, die sich nach dem Preis des ausgebotenen
Objects erkundigen nennt der Verlag Cassirer ein nach fachmännischem Ermessen
ganz außergewöhnlich hohe Summe. |
Sollteab hier durch einen senkrechten Bleistiftstrich komplett gestrichen. diese Beleidigung nun was ich sehr wohl für möglich
halte eine empfindliche Freiheitsstrafe und damit eine starke Beeinträchtigung
meines persönlichen Ansehens nach sich ziehen, so wäre damit natürlich eine
außerordentlich starke Entwertung meiner gesammten geistigen Produktion
verbunden
Der Käufer der in diesem Augenblickzunächst gestrichen, durch Unterpunktung wieder hergestellt. jetzigen also einen abnorm hohen Preis für die materiellen
Rechte an dieser Produktion bezahlt, verlöre durch eine derartige Verurtheilung
also sein ganzes Geld.
Ich glaube als Autor berechtigt zu sein, meine geistige
Arbeit und sowohl
wie deren
eventuellen Besitzer vor solchen Schicksalen zu bewahren
Anderseits Denn je höher die Strafe ausfällt zu
der ich verurteilt werde, um so tiefer sinkt naturgemäß das von Herrn | Cassirerab hier durch einen durchgezogenen senkrechten Bleistiftstrich in Verbindung mit einem waagerechten Bleistiftstrich unten komplett gestrichen.
ausgebotene Kaufobject im Werth.
Währenddem
anderseits zu eine
ÜberSchreibversehen (Schreibabbruch im Wort), statt: Übernahme. meiner Werke dann keinerlei Veranlassung mehr vorläge.
Ich ersuch Daher ersuche ich alle diejenigen Herren
Verlagsbuchhändler die sich für den Verlag meiner Werke Produktion interessieren in ihrem
eigenen Interessen, mit Ihren angebotenSchreibversehen, statt: Angeboten. zu warten bis die von Herrn
Bruno Cassirer gegen mich erhobene KlageDer Verleger Bruno Cassirer hat seinen Autor Frank Wedekind am 10.3.1910 wegen Beleidigung verklagt (siehe unten). ihre gerichtliche Erledigung gefunden
hat.
[3. Typoskript:]
In No 56 des „Börsenblattes für den
deutschen Buchhandel“ bietet der Verlag Bruno
Cassirer in Berlin
die Verlagsrechte und Büchervorräte meiner 20jährigen geistigen Produktion
öffentlich zum Verkauf aus. Den Reflektanten, die sich nach dem Preis des
ausgebotenen Objektes erkundigten, wurde von dem genannten Verlag eine nach dem
Urteil von Sachverständigen aussergewöhnlich hohe Summe genannt. Um nun einen
eventuellen Käufer vor sehr bedeutender materieller Schädigung zu bewahren,
halte ich es für meine Pflicht, öffentlich bekannt zu geben, dass mich Herr
Bruno Cassirer zu gleicher Zeit wegen Beleidigung verklagt hat. Erfolgt war
diese Beleidigung, weil ich meinem wirtschaftlichen Ruin gegenüber stehe und
diese Tatsache, ob mit Recht oder mit Unrecht, darf hier nicht erörtert werden,
der Geschäftsführung des Verlages Bruno Cassirer zur Last lege. Sollte nun
diese Beleidigung, was ich sehr wohl für möglich halte, eine längere
Freiheitsstrafe und damit eine starke Beeinträchtigung meinerSchreibversehen, statt: meines. persönlichen Ansehens nach sich
ziehen, so wäre damit natürlich eine ausserordentlich | starke Entwertung
meiner bisherigen geistigen Produktion verbunden. Der Käufer, der in diesem
Augenblick die materiellen Rechte an dieser Produktion zu einem hohen Preis
erwirbt, hätte also eventuell zu gewärtigen, durch meine Verurteilung sein
ganzes Geld zu verlieren. Als Autor halte ich mich für berechtigt, einem
solchen Unheil, das aus dem Verkauf meiner Werke zu erwachsen droht,
vorzubeugen. Je höher die Strafe ausfällt, zu der ich verurteilt werde, umso
tiefer sinkt naturgemäss das vom Verlag Bruno Cassirer ausgebotene Kaufobjekt
im Wert. Nach erfolgter Verurteilung hingegen könnte sich vielleicht die Frage
ergeben, ob Herr Bruno Cassirer überhaupt noch der Verleger, d.h. der Bewahrer
der wirtschaftlichen Interessen, eines Autors sein kann, von dem ihn
offenkundige tiefbegründete Feindschaft scheidet, während anderseits keine Gefahr
mehr vorhanden wäre, dass die erstandenen Rechte und Büchervorräte unerwarteter
Weise einen grossen Teil ihres Wertes einbüssen. Daher ersuche ich alle
diejenigen Herren Verlagsbuchhändler, die sich für meine Produktion
interessieren, in ihrem eigenen Interesse, mit ihrem Angebot zu warten, bis die
von Herrn Bruno Cassirer gegen mich erhobene Klage ihre gerichtliche Erledigung
gefunden hat.
München, im März 1910.
Frank Wedekind.
[4. Druck:]
In Nr. 56 des „Börsenblattes für den deutschen Buchhandel“
bietet der Verlag Bruno CassirerDer offene Brief steht im Zusammenhang mit dem Verlagsstreit mit Bruno Cassirer, mit dem Wedekind sich unter dem Stichwort „Contra Cassirer“ [vgl. KSA 5/III, S. 126-141; Vinçon 2014, S. 227-230] auseinandersetzte. in Berlin die Verlagsrechte und Büchervorräte meiner
20jährigen geistigen Produktion öffentlich zum VerkaufWedekinds Verleger Bruno Cassirer hatte folgende Annonce aufgegeben: „Ich beabsichtige, aus meinem Verlage sämtliche bei mir erschienenen Werke von / FRANK WEDEKIND / zu verkaufen. / Es handelt sich um die Dramen: / TOTENTANZ, 4te Aufl. / BÜCHSE DER PANDORA, 6te Aufl. / ZENSUR / SO IST DAS LEBEN, 2te Aufl. / OAHA, 2te Aufl. / FRÜHLINGS ERWACHEN, 24te Aufl. / DER KAMMERSÄNGER, 4te Aufl. / ERDGEIST, 7te Aufl. / MUSIK, 4te Aufl. / JUNGE WELT, 2te Aufl. / MARQUIS VON KEITH, 2te Aufl. / um den Gedichtband: VIER JAHRESZEITEN, 4te Aufl. / und die Erzählungen: FEUERWERK, 3te Aufl. / Ich bitte die Herren Kollegen, die sich für den Ankauf der Bücher Wedekinds mit allen Vorräten und Rechten für Neuauflagen interessieren, sich mit mir in Verbindung setzen zu wollen. / Hochachtungsvoll / BRUNO CASSIRER, VERLAG. BERLIN W., / Derfflingerstr. 16.“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 77, Nr. 56, 10.3.1910, S. 3079] aus. Den Reflektanten,
die sich nach dem Preis des ausgebotenen Objektes erkundigten, wurde von dem
genannten Verlag eine nach dem Urteil von Sachverständigen außergewöhnlich hohe
Summe genannt. Um nun einen eventuellen Käufer vor sehr bedeutender materieller
Schädigung zu bewahren, halte ich es für meine Pflicht, öffentlich bekannt zu geben,
daß mich Herr Bruno Cassirer zu gleicher Zeit wegen Beleidigung verklagtWedekind notierte am 24.3.1910 in München: „Erhalte Klage von B. Cassirer vom 10 III.“ [Tb] Demnach hat der Verleger Bruno Cassirer in Berlin seinen in München wohnenden Autor Frank Wedekind am 10.3.1910 tatsächlich wegen Beleidigung verklagt, er „droht“ nicht nur „mit einer Beleidigungsklage.“ [Vinçon 2014, S. 229] Der Bruno Cassirer Verlag hatte seinen Sitz in Berlin (Derfflingerstraße 16) [vgl. Berliner Adreßbuch 1910, Teil I, S. 376], zuständig war insofern das Amtsgericht Berlin-Mitte (Neue Friedrichstraße 12-17) [vgl. Berliner Adreßbuch 1910, Teil II, S. 60], das Wedekind geschrieben haben dürfte [vgl. Amtsgericht Berlin-Mitte an Wedekind, 10.3.1910]. Wedekind reiste infolge der Beleidigungsklage am 30.3.1910 „nach Berlin“ [Tb] und „nimmt sich einen Rechtsbeistand, [...] Paul Jonas“ [Vinçon 2014, S. 229], den er am 31.3.1910 aufsuchte: „Unterredung mit Justizrat Jonas. Er übernimmt meinen Prozes“ [Tb]; der Konflikt wurde außergerichtlich beigelegt, es kam zu keinem Prozess. hat.
Erfolgt war diese Beleidigung, weil ich meinem wirtschaftlichen Ruin
gegenüberstehe und diese Tatsache, ob mit Recht oder mit Unrecht, darf hier
nicht erörtert werden, der Geschäftsführung des Verlages Bruno Cassirer zur
Last lege. Sollte nun diese Beleidigung, was ich sehr wohl für möglich halte,
eine längere Freiheitsstrafe und damit eine starke Beeinträchtigung meines
persönlichen Ansehens nach sich ziehen, so wäre damit natürlich eine
außerordentlich starke Entwertung meiner bisherigen geistigen Produktion
verbunden. Der Käufer, der in diesem Augenblick die materiellen Rechte an
dieser Produktion zu einem hohen Preis erwirbt, hätte also eventuell zu gegenwärtigen,
durch meine Verurteilung sein ganzes Geld zu verlieren. Als Autor halte ich
mich für berechtigt, einem solchen Unheil, das aus dem Verkauf meiner Werke zu
erwachsen droht, vorzubeugen. Je höher die Strafe ausfällt, zu der ich
verurteilt werde, um so tiefer sinkt naturgemäß das vom Verlag Bruno Cassirer
ausgebotene Kaufobjekt im Wert. Nach erfolgter Verurteilung hingegen könnte
sich vielleicht die Frage ergeben, ob Herr Bruno Cassirer überhaupt noch der
Verleger, das heißt der Bewahrer der wirtschaftlichen Interessen, eines Autors sein
kann, von dem ihn offenkundige, tiefbegründete Feindschaft scheidet, während
anderseits keine Gefahr mehr vorhanden wäre, daß die erstandenen Rechte und
Büchervorräte unerwarteterweise einen großen Teil ihres Wertes einbüßen. Daher
ersuche ich alle diejenigen Herren Verlagsbuchhändler, die sich für meine
Produktion interessieren, in ihrem eigenen Interesse, mit ihrem Angebot zu
warten, bis die von Herrn Bruno Cassirer gegen mich erhobene Klage ihre
gerichtliche Erledigung gefunden hat.
München, im März 1910Schreibdatum war wohl der 26.3.1910 (siehe die Datierungshinweise)..
Frank
Wedekind.