[Hinweis in: Münchener
Zeitung, Jg. 20, Nr. 214, 14.9.1911, S. 2:]
Frank Wedekind versendet aus München folgenden AufrufDer an die „Münchener Zeitung“ gesandte Text (ein im Druck als Aufruf präsentiertes, aber als offener Brief konzipiertes Schreiben) ist unter der Spitzmarke „Frank Wedekind an die Schauspieler“ gedruckt [vgl. Münchener Zeitung, Jg. 20, Nr. 214, 14.9.1911, S. 2-3], die in der Neuedition als Titel gewählt wurde [vgl. KSA 5/II, S. 417-418]. Der Text wurde „in etwas anderem Wortlaut“ [KSA 5/III, S. 360] als offener Brief auch in der Berliner Wochenschrift „Die Schaubühne“ publiziert [vgl. Wedekind an Die Schaubühne, 11.9.1911] sowie zuvor ebenfalls als offener Brief im „Neuen Wiener Journal“ [vgl. Wedekind an Neues Wiener Journal, 11.9.1911].:
[Druck der Beilage:]
Während meines Gastspiels am hiesigen Schauspielhaus wurde mir von den mitwirkenden Schauspielern
gelegentlich meines Geburtstages eine
kleine Ehrung
erwiesen. In meinem Dank, den ich den Herren aussprach, bemerkte ich, daß die
erste und einzige Ehre, die mir ein deutscher Schauspieler erweisen könne,
darin bestehe, daß er die Rollen, die ich seit zwanzig Jahren für ihn
geschrieben, auch ohne meine Mitwirkung darstelle. Ich wies unter anderem
darauf hin, daß zum Beispiel mein Schauspiel „Hidalla“,
das bis jetzt einhundert und zwanzigmal in Deutschland aufgeführt wurde, unter
diesen 120 Malen nur sechsmal in Szene ging, ohne daß ich dabei genötigt war,
die Hauptrolle zu spielen. Ich sagte den Herren, daß es sich bei „Hidalla“
außerdem um ein Theaterstück handle, gegen das weder die Zensur noch die
Kritik, noch das Publikum je den geringsten Einwand erhoben, sondern das bis
jetzt überall die günstigste Aufnahme fand. Was mir die Herren darauf
entgegneten, bedeutete für mich eine ebenso große wie angenehme Überraschung. Sie versicherten mir
nämlich, daß heute hunderte und hunderte junge Schauspieler in Deutschland lebten,
die sich gar nichts sehnlicher wünschten, als die Hauptrollen in meinen Stücken
spielen zu dürfen, denen aber von ihren Direktoren
keine Gelegenheit dazu
gegeben würde. Ich bat die Herren, wo sie einem solchen Schauspieler begegneten,
ihn aufzufordern, er möchte sich doch, wenn er eine der großen Rollen aus
meinen Stücken spielen wolle, direkt an mich wenden. Ich würde mich dann mit
seiner Direktion in Verbindung setzen, der ich bei meinem Verleger vielleicht
sogar besonders günstige Bedingungen für die Aufführung erwirken könnte.