London, 21.III.1894.
Lieber Bruder!
– – – – – – – – – – – – – – – – Ich danke DirHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zu der Buchsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Armin Wedekind an Frank Wedekind, 14.3.1894. für den
RomanWilliam Makepeace Thackerays Roman: „Vanity Fair“ (1847/48) [vgl. GB 1, S. 354].. Er ist allerdings sehr echt, sehr englisch, aber nicht sehr
künstlerisch. Ich habe ihn noch nicht ganz fertig gelesen. Ich glaube aber, daß
die Sachen von Dickens unvergleichlich höher stehen. Immerhin war er mir sehr
willkommen in meiner Einsamkeit. Ich werde ihn jedenfalls auch nicht ohne
großen Nutzen gelesen haben.
Die Marquis PosaFigur aus Friedrich Schillers Drama „Dom Karlos“ (1787). Kontext unklar; seit dem Vorjahr lag im Verlag J. G. Cotta in Stuttgart „Don Karlos, Infant von Spanien“ in Band 2 von „Schiller’s sämtlichen Werken“ in 16 Bänden vor [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 114, 19.5.1893, S. (3054)]. Ausgabe ist erschienen. Ich schicke Dir
in den nächsten Tagen ein Exemplar. Das von mir im Musenalmanach erschienene
Fragment„Bruchstück aus der Komödie ‚Elin’s Erweckung‘“ [KSA 2, S. 507-514], ein Fragment aus Wedekinds nur in Entwürfen überliefertem Stück „Elin’s Erweckung“ [vgl. KSA 2, S. 1135-1144], das Otto Julius Bierbaum mit einer Vorbemerkung Wedekinds in seinem „Modernen Musen-Almanach auf das Jahr 1894“ veröffentlichte [vgl. KSA 2, S. 1144]. habe ich selber bei Mlle Read, der treuesten meiner Freundinnen, in
Paris gelassen. Ich möchte Dich aber davor warnen, das Buch zu kaufen. Es ist
eine schandbare BlütenleseIn einem Briefentwurf äußerte sich Wedekind gegenüber dem Herausgeber ähnlich deutlich [vgl. Wedekind an Otto Julius Bierbaum, 29.1.1894]. von allen erdenklichen Abfällen, langweilig und
werthlos von A bis Z. Ich höre, daß der Verleger bis jetzt fünf Exemplare
abgesetzt hat. Du wirst nicht der sechste sein wollen.
Mein Leben hier in London gestaltet sich nach und nach
aus. Ich habe zwei sehr angenehme französische Dameneinem späteren Brief zufolge [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 14.4.1894] die Schwestern Louise und Jeanne Douste de Fortis (Hornton Street 4, Kensington) [vgl. London Metropolitan Archives. London City Directories. London 1895, S. 2183], zwei in London geborene Pianistinnen, deren Eltern aus den französischen Pyrenäen stammten. Die Geschwister waren bereits als Kinder erfolgreich aufgetreten und später auch als Sängerinnen und Klavierlehrerinnen tätig. kennen gelernt, bin in
einigen englischen Familien gastfreundlich aufgenommen, sodaß ich schließlich
doch habe, wohin mein Haupt legenbiblisch inspirierte Redewendung nach Matthäus 8,20: „Jesus sagt zu ihm: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hin lege.“. Aber Paris – Paris ist es darum noch lange
nicht.