Postkarte
An Herrn
Karl Kraus
in Wien
Wohnung (Straße und Hausnummer) IV. Schwindg. 3. |
Sie Elender Hecht. Eigentlich sollte ich Ihnen nicht mehr schreiben,
weil Sie ein ordinairer‚ordinaire‘ (frz.) = gewöhnlich. FiloujudWortschöpfung aus ‚Filou‘ (frz.) = Spitzbube, Gauner, Schelm (scherzhaft), und ‚Jude‘ (abwertend zu ‚Jud‘ verkürzt); ‚der jüdische Filou‘ war ein antisemitisches Stereotyp. sind und mir nicht ein WortKarl Kraus hatte auf Post von Adele Sandrock nicht reagiert – nicht auf einen von Wedekind mitunterzeichneten schwärmerischen Kartenbrief [vgl. Adele Sandrock, Wedekind an Karl Kraus, 30.11.1905], nicht auf die Liebeserklärung in einer gleich darauf folgenden Postkarte von ihr: „Liebster Carl, Ich liebe Dich wie ich eben Fr. W. beichtete“ [Nottscheid 2008, S. 154]. geschrieben
haben.
Frank hat heute gigantisch gespieltWedekind notierte am 28.12.1905 seinen neunten Auftritt in der Titelrolle des „Marquis von Keith“ [vgl. Tb] am Kleinen Theater in Berlin (nach der Premiere am 13.12.1905); die Vorstellung begann um 20 Uhr [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 34, Nr. 657, 28.12.1905, Morgen-Ausgabe, 3. Beiblatt, S. (3)]. Sein Gastspiel in dieser Rolle fand in der Presse keinen Beifall [vgl. KSA 4, S. 548f.]; man fand ihn „spottschlecht“ [Berliner Tageblatt, Jg. 34, Nr. 635, 14.12.1905, Morgen-Ausgabe, S. (2)] und war „arg enttäuscht“ [Unterhaltungsblatt des Vorwärts, Nr. 244, 15.12.1905, S. 976].. Der Mann ist ein Genie! Gruß Ihre Adele
Darf ich Ihnen meinen lieben Jugendfreund Hans Richard Weinhöppel recht
warm empfehlen. Ich gratuliere zum Wiener CabaretWedekind gratulierte zur Gründung des Künstlerkabaretts Nachtlicht, die in der Presse angekündigt war: Marc Henry, „der Gründer und Leiter der elf Scharfrichter, wird hier ein Original-Kabarett mit dem Titel ‚Nachtlicht‘ eröffnen.“ [Nachtlicht-Kabarett. In: Neues Wiener Journal, Jg. 13, Nr. 4366, 17.12.1905, S.22] Es sollte an den Erfolg der Elf Scharfrichter in München anknüpfen und wurde am 5.1.1906 um 22 Uhr in Wien eröffnet, unter Beteiligung von Wedekinds altem Freund Hans Richard Weinhöppel, der unter seinem Pseudonym (Hannes Ruch) die musikalische Leitung übernahm: „Heute 10 Uhr in Bradys Wintergarten I., Ballgasse 6, Eröffnungsvorstellung des Künstler-Cabarets ‚Nachtlicht‘ unter der Leitung von Mr. Henry und Hannes Ruch (von den Elf Scharfrichtern).“ [Neue Freie Presse, Nr. 14859, 5.1.1906, Morgenblatt, S. 17] Karl Kraus war an dem Unternehmen allerdings nicht direkt beteiligt, wie er zur Eröffnungsvorstellung klarstellte: „Ich ärgere mich immer, daß ich so spät erst von all den Dingen, die ich tue, erfahre. [...] Da habe ich hinter meinem Rücken ein modernes Cabaret gegründet. [...] dies erfahre ich als der letzte. Und freue mich der mythenbildenden Kraft, die ich mir in Wien bereits erworben habe. [...] Daß ich in Gesellschaft des Leiters Mr Henry und seiner Mitarbeiter zu sehen bin, ist unbestreitbar; auch daß ich ab und zu in szenischen Dingen mit Rat helfe. Aber im Ganzen habe ich zu dem Cabaret, das gegründet wird, keine andere Beziehung als die des Interesses, das ein Kunstfreund an einer künstlerischen Gründung nimmt“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 192, 5.1.1906, S. 27].. Herzlichst Frank.
Wenn Sie wollen,
werde ich in wenig Tagen die Freude erleben, Sie zu begrüßen. Bis dahin erlaube
ich mir, Sie schönstens zu grüßen. Ihr Hans Richard Weinhöppel –
Ergebenen Gruß sendet Robert
Eysler.