Kennung: 4323

München, 23. Juni 1905 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Kraus, Karl

Inhalt

Lieber Herr Kraus!

Herzlichen Dank für die beiden Karten aus dem Café Reclameim Erstdruck: Karten. – Wedekind bezieht sich auf zwei Bildpostkarten [vgl. Karl Kraus, Carl Ferdinand Hollitzer an Wedekind, 19.6.1905; Karl Kraus, Alois Kohn (Ungrad), Fräulein Hansi, Erich Schuch, Eleonore an Wedekind, 21.6.1905], die im Café Reklame (Wien II, Taborstraße 1) [vgl. Lehmanns Allgemeiner Wohnungsanzeiger für Wien 1905, Teil IV, S. 1048] geschrieben waren. Wedekind selbst hat das Café Reklame nach der zweiten Vorstellung seiner Tragödie „Die Büchse der Pandora“ am 15.6.1905 zusammen mit Alexander Rottmann (Darsteller des Rodrigo Quast) und Carl Leopold Hollitzer (siehe unten) besucht: „Rottmann Hollitzer und ich gehen ins Café Reclame.“ [Tb]. Den Totentanz werden Sie erhalten habenWedekind hatte das Manuskript von „Totentanz“ (verschollen) am 20.6.1905 nach Wien gesandt: „Totentanz [...] an Kraus geschickt.“ [Tb] Es war für den Abdruck in der „Fackel“ (siehe unten) spätestens am 24.6.1905 bereits gesetzt [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 24.6.1905].. Wenn er Ihnen für die „Fackel“ zusagt, so möchte ich Sie bitten, eine kleine KorrekturWedekinds Korrekturwunsch wurde „nicht mehr berücksichtigt.“ [KSA 6, S. 617] Im Erstdruck seines Einakters lautet die Stelle: „Casti Piani. Ihre Worte treffen die Todeswunde, die ich mit auf die Welt gebracht habe und an der ich voraussichtlich einmal sterben werde. (Er wirft sich in einen Sessel). – – Ich bin – – – Idealist!“ [Frank Wedekind: Totentanz. Drei Szenen. In: Die Fackel, Jg. 7, Nr. 183/184, 4.7.1905, S. 1-33, hier S. 12] Karl Kraus bemerkte dazu später (anlässlich einer Vorlesung von „Totentanz“ nach einem Auszug aus dem vorliegenden Brief): „Das Werk war inzwischen gedruckt worden und die Korrektur jener Stelle ist vermutlich weil sie zu spät eintraf unterblieben; der Herausgeber erinnert sich nicht und könnte sich nicht vorstellen, daß er sie dem Dichter widerraten habe.“ [Die Fackel, Jg. 27, Nr. 706-711, Dezember 1925, S. 89] In der ersten Buchausgabe von Totentanz“ (1905) im Albert Langen Verlag (und allen weiteren Ausgaben) ist die Stelle korrigiert; das letzte Wort lautet hier: „Moralist!“ [KSA 6, S. 111] vorzunehmen: |

Zwischen Seite 30 und 37 des Manuscriptes findet sich der Passus:

Casti Piani Ihre Worte treffen die Todeswunde e. ct. (er wirft sich in einen Sessel) – – Ich bin – – – Idealist!

Ich halte es für richtiger, s statt „Idealist“ „Moralist“ zu setzen. Wenn Sie meine Ansicht theilen, bitte ich Sie, dementsprechend zu korrigieren.

Ich denke noch immer mit Entzücken der letzten herrlichen | drei Tage in WienWedekind war vom 14. bis 16.6.1905 in Wien [vgl. Tb]: „Zur zweiten Aufführung der ‚Büchse der Pandora‘“ [Kraus 1920, S. 116] am 15.6.1905.. Man muß sich an alles zuerst gewöhnen, besonders an die Annehmlichkeiten des Lebens. Sie zeichnen sich als solche erst in der Erinnerung aus und dadurch daß einem die Alltäglichkeit verleidet wird.

Grüßen Sie bitte alle die lieben Menschen wenn Sie Ihnen begegnen und besonders Herrn Hollitzerim Erstdruck durch vier Auslassungspunkte („....“) ersetzt. – Carl Ferdinand Hollitzer, der Maler des Lulu-Porträts als Pierrot für die Wiener „Büchse der Pandora“-Inszenierung, hatte Wedekind auf einer der erwähnten Bildpostkarten (siehe oben) Grüße gesandt..

Sollte Totentanz für die | Fackel zu lang sein, so werde ich Ihnen eine Ablehnung durchaus nicht verargen.

Mit der Versicherung aufrichtigen Dankes und herzlichen Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.


München 23. Juni 1905.


[Kuvert:]


Herrn Karl Kraus
Wien IV.
Schwindgasse 3.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 5 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14,5 x 22,5 cm. Kuvert. 12 x 10 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Das Kuvert ist mit einer aufgeklebten Briefmarke von 10 Pfennig frankiert. Karl Kraus hat mit Bleistift auf Seite 1 „aus dem Café Reclame“ sowie auf Seite 3 mit vorangestellten vier Punkten („....“) als Auslassungszeichen „und besonders Herrn Hollitzer“ gestrichen.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Uhrzeit im Postausgangsstempel München: „7 – 8 N“ (= 19 bis 20 Uhr). Uhrzeit im Posteingangsstempel Wien: „10. V“ (= 10 Uhr).

Erstdruck

Briefe Frank Wedekinds

Titel des Aufsatzes:
Briefe Frank Wedekinds
Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Karl Kraus
Verlag:
Wien: Verlag "Die Fackel"
Jahrgang:
1920
Seitenangabe:
115-116
Kommentar:
Detaillierter Nachweis: Briefe Frank Wedekinds. In: Die Fackel, Jg. 21, Nr. 521-530, Januar 1920, S. 115-116. Im Erstdruck ist der leicht gekürzte Brief mit zwei Fußnoten versehen. Nach „Totentanz“ ist angemerkt: „Die Handschrift befindet sich in der Reihe der Wedekindschen Fackel-Manuskripte.“ Nach der Bemerkung zu Wien ist angemerkt: „Zur zweiten Aufführung der ‚Büchse der Pandora‘.“ – Neuedition: Nottscheid 2008, S. 40 (Nr. 26).
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Wienbibliothek im Rathaus

Felderstraße 1
1082 Wien
Österreich

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Karl-Kraus-Archiv
Signatur des Dokuments:
H.I.N. 139722
Standort:
Wienbibliothek im Rathaus (Wien)

Danksagung

Wir danken der Wienbibliothek im Rathaus für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstückes.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Karl Kraus, 23.6.1905. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

09.04.2023 10:53